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Wissenschaftszeitvertragsgesetz

Für immer Hanna?

Nachrichten aus der Chemie, Juli 2023, S. 20-22, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Im März wurden Vorschläge zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorgelegt, und seit Juni ist der Referentenentwurf öffentlich. Die Wissenschaftswelt bleibt skeptisch. Was sind die Gründe und welche Probleme des Gesetzes sind zu lösen?

Kein Gesetz hat die Wissenschaft so sehr polarisiert wie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Das unter Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn erarbeitete und schließlich im Jahr 2007 erlassene Gesetz regelt das Sonderbefristungsrecht an Universitäten, Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen. Da die typische Dauer einer Promotion oder der Qualifikation für andere, weiterführende Aufgaben im Wissenschaftsbereich – etwa Professur oder wissenschaftliche Leitung – die im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) geregelte Höchstbefristungsdauer von zwei Jahren übersteigt, bedarf es völlig zu Recht einer Ausnahmeregelung.

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Sanduhr als Symbol der Vergänglichkeit. Moderne Wissenschaftspolitik interpretiert diesen barocken Vanitas-Gedanken neu. Foto: Andrey Popov / Adobe Stock

Das WissZeitVG hatte es von Anfang schwer; zum einen, weil unterschiedliche Interessen diametral aufeinander prallten, und zum anderen, weil Hochschulen es jeweils auf ihre Weise auslegten. Daran änderte sich auch mit der 2016 in Kraft getretenen Novelle nicht viel. Deren primäres Ziel war es, die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu verbessern und sachgrundlose Kurzbefristungen – die häufig zu Kettenbefristungen führten – zu unterbinden. In der universitären Praxis führte das mitunter dazu, dass Hochschulen aus Angst vor Klagen bei Einstellungen noch zögerlicher und die Einstellungsformulare noch länger wurden. Vor diesem Hintergrund war die Enttäuschung vieler groß, als das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Mai letzten Jahres die Evaluation des novellierten WissZeitVG vorstellte. In dem 243 Seiten langen Dokument1) kommen die Autor:innen zu dem Schluss, dass es zwar eine positive Entwicklung aber noch keine grundlegende Verbesserung bei der Dauer von Vertragslaufzeiten gegeben hat.

Hauptstreitpunkt Befristungsdauer

Der seit einigen Jahren andauernden Debatte um Befristungen in der Wissenschaft hat es nicht geholfen, dass das BMBF in einem Erklärfilm2) zum WissZeitVG Hanna, eine virtuelle Doktorandin, die scheinbaren Vorteile der Befristung aufzählen lässt. Die Kritik folgte prompt und der Twitter-Hashtag #IchBinHanna war geboren. Dadurch zog das Thema hohe öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, welche die (erneute) Novellierung des WissZeitVG begleitet. Im März gewährte das BMBF erste Einblicke, wie die Reform aussehen könnte, und veröffentlichte an einem Freitag ein Eckpunktepapier,3) das aufgrund breiter Kritik noch am selben Wochenende – wie BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring twitterte – „in die Montagehalle“ zurückgerufen wurde.

Hauptstreitpunkt ist dabei die Befristungsdauer für die R2-Phase, also die Postdoc-Phase. Hierfür sieht das Eckpunktepapier drei Jahre inklusive R3-Phase (früher Habilitation) vor. Die Kritik kam aus allen Richtungen und die Vorstellungen über eine angemessene Zeit liegen weit auseinander. Während die #IchBinHanna-Initiative4) keine Befristung (ohne Anschlusszusage) nach der Promotion mehr zulassen möchte, fordert zum Beispiel die Allianz der Wissenschaftsorganisationen5) vier Jahre plus weitere zusätzliche Jahre der Befristung für die dauerhafte Tätigkeit in der Wissenschaft ohne Berufung oder die Herstellung der Berufungsfähigkeit.

Aus der Debatte und der Vielfalt der Forderungen wird klar, dass die Anforderungen in der Wissenschaft weit auseinandergehen und stark fachabhängig sind. Damit hat es das Gesetz schwer, allen gerecht zu werden.

Die Junge Akademie hat den Vorschlag gemacht,6) den Anteil der befristeten Verträge in der R2-Phase an der Gesamtzahl der aus Haushaltsmitteln finanzierten Verträge über einen Richtwert auf institutioneller Ebene zu regeln. Dieser ist mit einem Belohnungs- und Sanktionierungsmechanismus verbunden, damit es nicht wie bisher kostengünstiger ist (durch den Stufenaufstieg im Tarifvertrag der Länder), Wissenschaftler:innen sehr lange in der R2-Phase zu halten. Den Richtwert sollte eine bundesweite Kommission fachspezifisch festlegen.

Grundproblem: Beschäftigungsstrukturen in der Wissenschaft

Neben den unterschiedlichen Erwartungen zur Höchstbefristung in der R2-Phase wird die aktuelle Debatte auch dadurch kompliziert, dass die verschiedenen Akteur:innen unterschiedliche Interessen verfolgen.7) Diese reichen von einer Diskussion darüber, welche Vertragslaufzeiten in den verschiedenen Phasen sinnvoll sind, bis zum Anspruch, mit der WissZeitVG-Novelle die Beschäftigungsstrukturen in der Wissenschaft umzubauen.

Dem hohen Anteil befristet Beschäftigter an Universitäten muss begegnet werden, darin besteht kein Zweifel, denn Universitäten spüren immer stärker den Fachkräftemangel. Im Jahr 2020 waren 81 Prozent des wissenschaftlichen Personals der Hochschulen ohne Professor:innen befristet beschäftigt. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt 2021 waren 7,4 Prozent der Arbeitnehmer:innen über 25 Jahren befristet beschäftigt. Die Novellierung des WissZeitVG, also eines Gesetzes, das Befristungszeiten regelt, dafür zu nutzen, ist nicht angemessen. Die Länder und Hochschulen könnten hier selbst tätig werden und zum Beispiel in den Zielvereinbarungen zwischen Land und Hochschule eine stetig steigende Zahl entfristeter Beschäftigter bis zum Erreichen einer Zielmarke verankern. Auch diese muss für die Universität als Ganzes gelten, um die unterschiedlichen Anforderungen der jeweiligen Fächer abzubilden. Hochschulleitungen könnten außerdem Hürden abbauen und den Fakultäten, Instituten und Professor:innen mehr Möglichkeiten zur Entfristung einräumen. Eine Überregulierung durch das WissZeitVG und damit der Abbau von Flexibilität, die sowohl Mitarbeitende als auch Hochschulen in der täglichen Arbeit benötigen, ließen sich so verhindern.

Der Referentenentwurf

Mit Spannung wurde der Referentenentwurf erwartet, der Anfang Juni erschienen ist. Nach Aussagen der Koalitionspartner ist dies kein Konsenspapier, der Entwurf wird somit sicher in Teilen verändert werden. Doch was steht nun drin?

Erstens: Es soll Mindestlaufzeiten für Erstverträge geben. Diese sind drei Jahre für Verträge bis zur Promotion und zwei Jahre für Anstellungen danach. Interessant dürfte es werden, wenn Drittmittelgeber, wie beispielsweise das BMBF selbst, bei ihrer Praxis bleiben und Bewilligungen für Projekte mit dreijähriger Laufzeit rückwirkend ausstellen.

Denn, zweitens: Die Qualifizierungsbefristung hat Vorrang vor der Drittmittelbefristung. Das bedeutet, dass letztere erst möglich ist, wenn erstere ausgeschöpft ist. Damit muss zu Beginn einer Promotion die Finanzierung für mindestens 36 Monate sicher sein – auch wenn das Projekt nur noch 34 Monate läuft.

Drittens: Für die R2-Phase ist ein 4+2-Modell vorgesehen. Damit wird die Höchstbefristung zur Qualifizierung nach der Promotion von sechs auf vier Jahre verkürzt. Eine weitere Befristung ist danach nur noch für maximal zwei Jahre möglich und erfordert die Zusage, dass anschließend ein unbefristeter Vertrag geschlossen wird. Für die Chemie sollte das ein tragfähiger Kompromiss sein, da sich die meisten Projekte in einem solchen Zeitraum bearbeiten lassen. Auch für die Forschenden, die eine Professur anstreben, ist dies eine faire Regelung. Da davon auszugehen ist, dass sich der Tenure Track als Hauptweg zur Professur etablieren wird,8) lohnt der Blick in die Landeshochschulgesetze. Die meisten lassen die Berufung auf eine Juniorprofessur (egal ob mit oder ohne Tenure Track) in der Regel nur bis zu vier Jahre nach der Promotion zu. Das wird durch das Gesetz noch einmal betont.

Viertens: Für Studierende wird eine Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr eingeführt. Diese Forderung stand bereits im Eckpunktepapier, trat aber bei der Debatte über die Höchstbefristung in der Postdocphase in den Hintergrund. Der Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultätentag (MNFT) hat in seiner Stellungnahme bereits zu Recht darauf hingewiesen,9) dass das BMBF hier den Bezug zur Realität herstellen sollte. Viele dieser Stellen sind nämlich in der Lehre verortet und viele Praktika, Seminare und Tutorien werden nur halbjährig angeboten – entweder im Winter- oder im Sommersemester. Der semesterweise stattfindende Lehrbetrieb lässt sich nicht oder nur sehr schwer mit einer Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr vereinbaren. Tutor:innen für unterschiedliche Veranstaltungen, die andere Erfahrungen erfordern, einzustellen, dürfte auch nicht die Studienqualität steigern. Die Frage ist außerdem, ob die Studierenden, die nach meiner Erfahrung eher weniger als mehr langfristige Verpflichtungen eingehen möchten, an einer einjährigen Mindestvertragslaufzeit Interesse haben.

Fünftens: Durch Tariföffnung sollen Regelungen zum WissZeitVG durch die Tarifpartner einvernehmlich geändert werden können, was bislang aufgrund der Tarifsperre nicht möglich ist.

Probleme, die der Entwurf nicht löst

Schade ist, dass der Referentenentwurf keine Flexibilität vorsieht – weder bei Brücken- und Anschlussbeschäftigungen für Übergänge zwischen den Qualifizierungsphasen als auch für den Wechsel in den außeruniversitären Arbeitsmarkt. Wer nach der Promotion bereits eine Postdocstelle oder einen anderen Arbeitsvertrag in Aussicht hat, der wurde bisher meist noch für ein paar Wochen und Monate in der bisherigen Arbeitsgruppe angestellt. Ob das in Zukunft noch der Fall sein wird, dürfte mit Blick auf die Mindestvertragslaufzeiten und dem Vorrang der Qualifizierungs- vor der Drittmittelbefristung fraglich sein. Ähnlich dürfte es Postdocs gehen, die in die Industrie wechseln oder den Ruf auf eine (Junior-)Professur zum nächsten Semester angenommen haben, deren vierjährige Vertragslaufzeit aber zwei Monate vorher endet. Sie erwartet vermutlich die Arbeitslosigkeit. Hier wäre es zu begrüßen, wenn das BMBF oder die Tarifparteien für solche Fälle Ausnahmeregelungen etablieren.

Der Autor

Robert Kretschmer ist seit dem Jahr 2022 Professor für anorganische Chemie an der TU Chemnitz. Als Mitglied der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2017 – 2022) und Beiratsmitglied im Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultätentag verfolgt und kommentiert er die Wissenschaftspolitik aus eigener Anschauung – etwa im Leitartikel „Wie auf Schienen“ in Nachr. Chem. 2019, 67(10), 3.https://media.graphassets.com/lEZOx3rNSjC8ZQtXh6sk

INFO: WissZeitVG – eine Chronologie

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wurde im Jahr 2007 erlassen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) leitete damals Annette Schavan, CDU, während der ersten großen Koalition unter Angela Merkel. Das BMBF hatte das Gesetz noch unter der Ministerin Edelgard Bulmahn, SPD, erarbeitet, Regierungschef war noch Gerhard Schröder. Anlass war die Änderung des Arbeitsrechts, das Kettenbefristungen bei Arbeitsverträgen untersagt.

Die erste Novelle des Gesetzes trat im Jahr 2016 in Kraft, Johanna Wanka, CDU, war zu der Zeit Forschungsministerin in der schwarz-gelben Regierung unter Angela Merkel. Seitdem sind sachgrundlose Befristungen nur noch dann zulässig, wenn die Beschäftigung der wissenschaftlichen Qualifikation dient. Zudem dürfen wissenschaftliche Hilfskräfte maximal sechs Jahre beschäftigt werden. Die Zeit als Hilfskraft fällt nicht unter die zwölf Jahre, die das Gesetz als Höchstbefristungsdauer erlaubt. Zum 1. Januar 2018 wurden die Regelungen zum Mutterschutz angepasst.

Im Jahr 2020 verlängerte der Bundestag wegen der Coronapandemie die Höchstbefristungsdauer übergangsweise um sechs Monate. Forschungsministerin war Anja Karliczek, CDU.

Quelle: www.buzer.de/gesetz/7670/l.htm

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