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Die Rechenleistung oder Datenspeicherkapazität elektronischer Geräte verbessern – das geht mit nanostrukturierten Chips. Je kleiner die Schaltkreise, desto leistungsfähiger der Chip. Wie sich mit ultrakurzwelligem Licht nanometerkleine Strukturen erzeugen lassen, was dabei chemisch passiert und wie die Herstellung ökonomischer werden kann.<p>Integrierte Schaltkreise – oder <link href="#nadc20254146788-fig-0001">Mikrochips – vereinen elektrische Bauteile wie Transistoren, Dioden und Widerstände auf einem wenige Quadratmillimeter großen Halbleiterplättchen. Stetig optimiert und miniaturisiert ermöglichen sie immer leistungsfähigere Computer, schnellere Kommunikationssysteme und etliche neue Anwendungen wie selbstfahrende Autos sowie Smart-Home- und Gesundheitsmonitoring-Anwendungen.</p><figure xml:id="nadc20254146788-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/5phujw6nRsX01UUEzQLC"><figcaption><label>Abb.1: </label>Optisches System für die EUV-Lithografie der Firma Zeiss mit präzise gefertigten gekrümmten Mehrschichtspiegeln. Bild: Zeiss</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Wie EUV-Lithografie funktioniert</h2><p>Moderne Mikrochips beherbergen mehrere Milliarden weniger Nanometer kleiner Transistoren. Herstellen lassen sich solche integrierten Schaltkreise beispielsweise mit Extrem-ultraviolett-Fotolithografie (EUV-Fotolithografie).</p><p>Dabei wird ein Siliciumwafer mit Fotolack beschichtet. Die rund 30 nm dicke Lackschicht lässt sich mit EUV-Licht bestrahlen – also Licht mit Wellenlängen zwischen 5 und 50 nm –, das durch eine Maske die Form das Schaltkreises auf den Wafer projiziert (<link href="#nadc20254146788-fig-0002">Schema rechts oben). In den belichteten Bereichen des Fotolacks kommt es zu chemischen Reaktionen, die den Lack an diesen Stellen mehr oder weniger löslich machen. Die löslicheren Stellen der Lackschicht lassen sich dann mit einem Lösungsmittel entfernen. Die verbleibenden durch den Lack maskierten Bereiche dienen als Schablone, um das abgebildete Schaltkreismuster in den Siliciumwafer zu übertragen. Beschleunigte Ionen tragen dabei das Halbleitermaterial an den freiliegenden Stellen ab. Dieses Trockenätzen wird beim Herstellen von Mikrochips mehrfach angewandt, abwechselnd mit erneutem Beschichten, Lithografieren und Auf- oder Einbringen anderen Materials – Dotierungsatome, Metalle für Leiterbahnen oder isolierende Zwischenschichten. In häufig über 50 Lithografieschritten lässt sich der Chip so nach und nach aufbauen. Für jede Schicht lässt sich die passende Lithografietechnik nutzen: für die kleinsten Strukturen EUV-Lithografie, für größere Strukturen Tief-ultraviolett-Fotolithografie (DUV-Fotolithografie).</p><figure xml:id="nadc20254146788-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/oomLnjUTFu5WUpZqtJMJ"><figcaption><label>Abb.2: </label>Herstellen einzelner Chips Schicht für Schicht auf einem Wafer. Je nach Strukturgröße kommt Extrem- ultraviolett(EUV)- oder Tief-ultraviolett(DUV)-Lithografie zum Einsatz. Abbildung: L. Lohmann / RWTH Aachen</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Kleinere Wellenlängen für kleinere Strukturen</h2><p>Die Auflösung der Fotolithografie ist durch die Wellenlänge des Lichts begrenzt. Erstmals in den 1970er-Jahren wurden Chips mit mikrometergroßen Strukturen industriell mit sichtbarem und ultraviolettem Licht fotolithografisch hergestellt. Kurzwelligeres Licht führte schrittweise zu höherer Auflösung: Die Tief-ultraviolett-Fotolithografie (DUV-Fotolithografie), die Wellenlängen von zunächst 248 nm nutzte und später auch 193 nm, gibt es seit den frühen 1990er- Jahren; bis Ende der 2000er ermöglichte sie, Strukturen herzustellen, die kleiner als 100 nm sind.</p><p>In den 1990er-Jahren begannen Forschende Nachfolgetechniken zu suchen, um die Mikroelektronik noch kleiner zu machen. Gegenüber konkurrierenden Ansätzen wie Nanoprägelithografie und Elektronenstrahllithografie setzte sich die EUV-Lithografie um das Jahr 2010 durch.</p><p>Schwierig dabei: Alle Materialien absorbieren EUV-Licht, sodass das gesamte Lithografie-System im Vakuum zu betreiben ist. Zudem eignen sich konventionelle Linsen nicht zum Fokussieren von EUV-Licht. Über Mehrschichtspiegel lässt sich das EUV-Licht allerdings fokussieren und umlenken, am effizientesten bei einer Wellenlänge von 13,5 nm. Die Spiegel funktionieren durch Interferenz an Schichten mit verschiedenen Brechungsindices. Zu Verlusten durch Absorption und Streuung kommt es trotzdem: Weniger als drei Prozent des ursprünglich eingestrahlten EUV-Lichts treffen am Ende auf die Fotolackschicht. Das entspricht nur etwa einem Vierzehntel der Bestrahlungsintensität in DUV-Lithografieanlagen. Die EUV-Lichtquelle muss daher möglichst viel Licht erzeugen. Nur so lässt sich der Lack trotz des Lichtverlusts bei kurzer Belichtungszeit vollständig bestrahlen – und so ein Durchsatz von mehr als hundert Wafern pro Stunde erreichen. Dieser ist nötig für den wirtschaftlichen Betrieb der Anlage.</p><p>Seit dem Jahr 2017 vertreibt das niederländische Unternehmen ASML EUV-Lithografieanlagen. Diese EUV-Scanner sind das Ergebnis jahrzehntelanger Grundlagenforschung und Entwicklung bis zur Marktreife. Herzstücke des Scanners sind eine plasmabasierte EUV-Strahlungsquelle, ein optisches System aus Mehrschichtspiegeln und EUV-Fotolacke, mit denen sich wenige Nanometer kleine Strukturen mit kurzen Belichtungszeiten erzeugen lassen.</p><p>Den CO<sub>2</sub>-Laser für die EUV-Strahlungsquelle hat die Firma Trumpf entwickelt: Fünfzigtausendmal pro Sekunde trifft ein Laserpuls auf ein mikroskopisch kleines Zinntröpfchen. Dabei entsteht ein Plasma, das EUV-Strahlung emittiert. Auf dem Weg zum Halbleitersubstrat durchläuft das EUV-Licht ein Beleuchtungssystem und eine Projektionsoptik des Unternehmensbereichs Halbleiterfertigungsequipment der Firma Zeiss (Zeiss SMT). Beide Systeme enthalten Mehrschichtspiegel, die aus bis zu 100 wenigen Nanometer dicken Silicium- und Molybdänschichten auf einer Glasoberfläche bestehen. Diese Spiegel sind hochpräzise, denn selbst kleinste Unregelmäßigkeiten führen zu Abbildungsfehlern.</p><h2 type="main">Präziser und rentabler mit mehr Licht</h2><p>Eine Weiterentwicklung der EUV-Lithografie für künftige Mikrochipgenerationen ist die High-NA-EUV-Lithografie. Die NA ist die numerische Apertur – ein Maß für den Raum, in dem ein optisches System Licht einfangen und fokussieren kann. Bei der High-NA-EUV-Lithografie ist die NA um das 1,6-Fache erhöht, von 0,33 bei bisherigen EUV-Scannern auf 0,55 in High-NA-Scannern. Der EUV-Scanner erzeugt dadurch noch feinere Strukturen: High-NA-EUV-Lithografie erzielt Strukturauflösungen von 8 nm, während mit der EUV-Lithografie derzeit 13 nm erreicht werden; in der Praxis lassen sich durch die höhere NA zwei- bis dreimal mehr Strukturen auf einem Chip gleicher Größe abbilden.</p><p>Allerdings braucht die High-NA-EUV-Lithografie komplexere optische Systeme als die EUV-Lithografie: Volumen und Gewicht der High-NA-Optik übersteigen die der derzeitigen EUV-Optik um etwa das Siebenfache. Auch die Mehrschichtspiegel sind noch präziser gefertigt: Auf die Größe Deutschlands skaliert wäre die größte Unebenheit nur ein Zehntelmillimeter groß. Um diese Präzision beim Fertigen zu erreichen, wird ein interferometrisches System genutzt, das die Oberflächen subatomar vermisst.</p><p>Damit es sich für Chiphersteller lohnt, in High-NA-Scanner zu investieren, braucht es künftig einen Durchsatz von mehreren hundert Wafern pro Stunde. Das geht mit starken Lichtquellen. Der CO<sub>2</sub>-Laser der Firma Trumpf, der für die EUV-Strahlungsquelle genutzt wird, hat eine Pulsleistung von mehreren zehn Kilowatt durchschnittlich und mehreren Megawatt in der Spitze.</p><h2 type="main">Auf der Suche nach besseren Fotolacken</h2><p>Bei EUV-Fotolacken besteht weiterhin Forschungsbedarf. Die Fotolackschablone für die Schaltkreismuster muss defektfrei weniger als 20 nm kleine Strukturen erzeugen. Um einen hohen Durchsatz zu erreichen, muss der Lack möglichst empfindlich auf das EUV-Licht reagieren. Zudem muss er stabil gegenüber dem Strukturtransfer durch Trockenätzen sein.</p><p>Die DUV-Lithografie nutzt überwiegend polymere chemisch verstärkte Fotolacke (chemically amplified resist, Car). Diese basieren häufig auf Acrylaten und Poly(norbornen)-co-maleinsäureanhydrid (Coma). Bei Cars setzt das Belichten chemisch aktive Fotosäuren frei, die durch den Polymerlack diffundieren und Vernetzung oder Kettenspaltung auslösen. Ein einziges Photon kann dabei Hunderte bis Tausende säurekatalysierte Reaktionen starten. Eine solche Verstärkung verkürzt die Belichtungszeit auf weniger als die Hälfte und erhöht so den Durchsatz.</p><p>Polymerbasierte Cars eignen sich auch als Basis für EUV-Fotolacke. Mit kürzerkettigen Polymermolekülen lassen sich noch kleinere Strukturen erzeugen; Metallverbindungen als Additive verbessern die EUV-Absorption und steigern dadurch die Strahlungsempfindlichkeit. Amorphe Fotolackschichten reduzieren außerdem die Zahl der Defekte in den Schaltkreisschablonen: Molekulare Gläser aus vernetzbaren Molekülen einheitlicher Größe – rund zwei bis fünf Nanometer – ohne Kettenverschlaufungen sind ein Ansatz. Diese molekularen Gläser lassen sich aus verschiedenen Klassen organischer Makromoleküle aufbauen, häufig kommen phenolbasierte Grundbausteine wie Calixarene oder Resorcine zum Einsatz.</p><p>Allerdings lässt sich bei allen Arten von Cars schwer kontrollieren, wie weit die Fotosäuren durch den Lack diffundieren – das macht es schwierig, nanometergroße Muster defektfrei herzustellen.</p><p>Eine neuere Alternative sind metallbasierte EUV-Fotolacke. Sie bieten Vorteile gegenüber herkömmlichen polymerbasierten Lacken: Metalloxide absorbieren zwei- bis dreimal mehr EUV-Photonen als Polymerlacke. Zudem werden sie durch den Ionenstrahl beim Trockenätzen weniger schnell geschädigt als organische Polymere und ermöglichen daher noch dünnere Lackschichten unter 20 nm. Erforscht werden etwa Fotolacke mit Hafniumoxid- und Zirkoniumoxid-Nanopartikeln sowie organometallische Lacke mit Zinn- und Bismutverbindungen. Bestrahlen mit EUV-Licht führt dabei zu Decarboxylierung oder Kreuzvernetzung, wodurch sich stabile und defektarme Muster mit Abmessungen von unter 10 nm bilden können.</p><p>Geforscht wird derzeit auch an Strukturierungsverfahren ohne Fotolacke. Bei der bereichsselektiven Abscheidung (area selective deposition, ASD) lässt sich die Oberfläche auf dem Halbleiterchip mit EUV-Licht chemisch modifizieren. Metallverbindungen lassen sich dann an spezifischen Stellen abscheiden – vorteilhaft für besonders komplexe Muster. Durch gerichtete Selbstanordnung (directed self assembly, DSA) von Block-Copolymeren lassen sich regelmäßige defektarme Muster mit Dimensionen zwischen 5 und 30 nm sogar ohne EUV-Lithografie erzeugen: Das kann potenziell die EUV-Lithografie ergänzen und Kosten sparen.</p><h2 type="main">Wie es weitergeht mit der EUV-Technik</h2><p>Forschung in der EUV-Lithografie ist komplex und teuer. Die Gruppe für EUV-Technologie am Lehrstuhl für Technologie Optischer Systeme (Tos) der RWTH Aachen ist eine weniger Gruppen in Deutschland, die sich mit EUV-Lithografie beschäftigt. Die Forschenden in Aachen entwickeln neue Verfahren der EUV-Lithografie und EUV-Metrologie und untersuchen, wie EUV-Licht mit Materialien wechselwirkt. Dafür nutzen sie flexibel einsetzbare, gasentladungsbasierte EUV-Strahlungsquellen des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik (ILT) und bauen damit kompakte <link href="#nadc20254146788-fig-0003">EUV-Bestrahlungsanlagen (Fotos links).</p><figure xml:id="nadc20254146788-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/BXCm9MUsQryw6eNW2qI0"><figcaption><label>Abb.3: </label>EUV-Lithografieanlage an der RWTH Aachen (links). Ein nanoskaliges Beugungsgitter und präzise Abstandssensoren (rechts) ermöglichen EUV-Interferenzlithografie in der kompakten Bestrahlungsanlage. Fotos: RWTH Aachen</figcaption></figure></figure><p>Mit solchen Anlagen erzeugen sie etwa großflächige periodische Strukturen, indem sie nanoskalige Beugungsgitter einsetzen, hinter denen die EUV-Strahlung durch Interferenz Muster formt. So lassen sich auf belackten Siliciumwafern Strukturen bilden, die kleiner als 30 nm sind.</p><p>Damit sie bald noch kleinere und noch komplexere Muster schaffen können, entwickeln die Forschenden der RWTH Aachen Simulationsmodelle für das Design der Beugungsgitter. Dadurch könnten sich Quantenbauelemente und Nanophotonikbauteile zukünftig kostengünstig herstellen lassen.</p><p>Unterdessen plant das Unternehmen ASML mit seinen Partnern und Zulieferern, die EUV-Lithografie bis zum Jahr 2030 weiterzuentwickeln und rentabler zu machen: Integrierte Schaltkreise sollen durch Hyper-NA-EUV-Lithografie mit einer noch höheren numerischen Apertur von 0,75 kleiner, der Durchsatz der EUV-Scanner soll höher werden.</p><h2 type="main">PreisE: Ausgezeichnete EUV-Lithografen</h2><p>Das Potenzial der EUV-Lithografie für die Mikrochipherstellung zeigen besonders zwei Auszeichnungen im derzeitigen Jahrzehnt: Im Jahr 2020 erhielten Peter Kürz von Zeiss SMT und Michael Kösters von Trumpf zusammen mit Sergiy Yulin vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF den Deutschen Zukunftspreis für ihre Beiträge zur Entwicklung der EUV-Lithografie.</p><p>Für ihre Entwicklungen in der High-NA-EUV-Lithografie (NA: numerische Apertur) und deren industrielle Umsetzung wurden Peter Kürz und Michael Kösters zudem im Jahr 2024 mit dem 42. Werner-von-Siemens-Ring ausgezeichnet. Die Auszeichnung würdigte ihre Beiträge zur Zukunft der Mikrochipherstellung.</p><h2 type="main">AUF EINEN BLICK</h2><p>Mit extrem-ultravioletter (EUV) Strahlung und Fotolacken lassen sich nanometerkleine Schaltkreismuster fotolithografisch auf Halbleiter übertragen.</p><p>Durch abwechselndes Beschichten, Bestrahlen und Trockenätzen mit beschleunigten Ionen entstehen integrierte Schaltkreise (Mikrochips).</p><p>Stärkere Lichtquellen, empfindlichere Fotolacke und präzisere optische Systeme können die EUV-Lithografie noch leistungsfähiger und ökonomischer machen.</p><h2 type="main">Der Autor</h2><p>Lars Lohmann ist Doktorand an der RWTH Aachen. Er hat seinen Bachelor- und Masterabschluss in Chemie mit dem Schwerpunkt Magnetresonanzspektroskopie abgeschlossen. Seit dem Jahr 2023 arbeitet er in der Gruppe EUV-Technologie am Lehrstuhl für Technologie Optischer Systeme. Zu seinen Forschungsthemen gehören die EUV-Interferenzlithografie mit kompakten EUV-Quellen und damit verbundene Prozessierungsmethoden.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/eZ7l5DadRv6YbKrx2uDR"></p>

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Extrem‐ultraviolettes Licht für Mikrochips

Die Rechenleistung oder Datenspeicherkapazität elektronischer Geräte verbessern – das geht mit nanostrukturierten Chips. Je kleiner die Schaltkreise, desto leistungsfähiger der Chip. Wie sich mit ultrakurzwelligem Licht nanometerkleine Strukturen erzeugen lassen, was dabei chemisch passiert und w...

Die Umsätze der deutschen Chemieunternehmen stagnieren, die Weltmarktanteile der europäischen Chemieindustrie sinken. Bei der Basischemie fallen rückläufige Produktion und kaum Investitionen auf – obwohl Deutschland immer noch die meisten davon in Europa anzieht. Welche Konsequenzen hat das, und wie geht es weiter?<p>Der globale Chemiemarkt ist in den letzten zwei Dekaden rasant gewachsen. So stiegen die Umsätze weltweit von 1618 Mrd. Euro im Jahr 2003 auf 5195 Mrd. Euro im Jahr 2023. Das entspricht einem durchschnittlichen Wachstum von 6 % pro Jahr.</p><h2 type="main">China dominiert das Chemiegeschäft</h2><p>Dieses Wachstum geht vorwiegend auf den chinesischen Markt zurück. Bei einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 18 % ist Chinas globaler Marktanteil innerhalb von zwanzig Jahren von 5 % (2003) auf 43 % (2023) gewachsen. Das entspricht einem Umsatz von 2238 Mrd. Euro. Der bis zur Lehman-Pleite im Jahr 2008 führende US-amerikanische Chemiemarkt scheint demgegenüber abgehängt. Mit 585 Mrd. Euro betrug der Umsatz im Jahr 2023 nur etwa ein Viertel des Umsatzes des chinesischen Chemiemarkts.</p><p>Wie alle anderen etablierten Industrieregionen hat auch die Chemieindustrie der 27 EU-Länder weltweit Marktanteile verloren. Diese sanken von 33 % im Jahr 2003 auf 13 % im Jahr 2023. Auch wenn die relative Marktmacht merklich sank, wuchs die europäische Chemieindustrie: Der Umsatz des EU-Chemiemarkts stieg von 2003 bis 2023 von 534 Mrd. Euro auf 655 Mrd. Euro – ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 1 %.</p><p>Innerhalb der EU ist die deutsche Chemieindustrie führend. Sie erwirtschaftete im Jahr 2023 etwa ein Drittel des europäischen Gesamtumsatzes. Attraktiv ist der deutsche Chemiemarkt für Auslandsinvestitionen (Foreign Direct Investment, FDI): In den Jahren von 2019 bis 2023 wurden die meisten ausländischen Chemieinvestitionen in der EU in Deutschland realisiert. Das zeigen Auswertungen von fDi Markets, der weltweit umfassendsten Datenbank zu ausländischen Direktinvestitionen. Ähnlich erfolgreich ist die deutsche Chemieindustrie beim Exportumsatz und bei den Patentanmeldungen am europäischen Patentamt: Im weltweiten Länderranking belegt Deutschland jeweils den dritten Platz, beim Exportumsatz hinter China und den USA und bei den Patentanmeldungen hinter den USA und Japan.</p><h2 type="main">Umsatzkrise in der deutschen Chemieindustrie</h2><p>Von der Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist die deutsche Chemieindustrie derzeit weit entfernt. Zwar stiegen die Umsätze von 143 Mrd. Euro im Jahr 2020 auf 172 Mrd. (2021) und 202 Mrd. (2022). Allerdings sank der Umsatz im Jahr 2023 wieder auf 167 Mrd. Euro. Für 2024 zeichnet sich ein ähnlicher Umsatz wie 2023 ab, was sich aus den nahezu gleichgebliebenen Produktionsmengen ableiten lässt.</p><h2 type="main">Sorgenkind Basischemie</h2><p>Die Basischemie produzierte im Jahr 2024 zwar 8 % mehr als 2023, jedoch lassen sich die Produktionsrückgänge von etwa 25 % aus vorherigen Jahren damit nicht aufholen. Alle anderen Segmente wie Polymere und Spezialchemie erreichten im Jahr 2024 nahezu gleichbleibende Produktionsmengen wie 2023.</p><p>Der Rückgang in der Basischemie ist kein kurzfristiges Phänomen – der Ausstoß wird bereits seit Mitte der 2010er Jahre gedrosselt (<link href="#nadc20254148657-fig-0001">Grafik). Dies lässt sich besonders an den Produktionsmengen von Ethen, Propen und Chlor beobachten – Chemikalien mit einem erheblichen Anteil an der Wertschöpfung in der chemischen Industrie. Deren Produktionsvolumina gingen seit 2015 jeweils um etwa ein Viertel zurück.</p><figure xml:id="nadc20254148657-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/mB8d9WGWQwmfwdr1QLVg"><figcaption><label>Abb.1: </label>Produktionsmengen von Basischemikalien in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2023. Daten des Verbands der Chemischen Industrie (VCI)</figcaption></figure></figure><p>Energieintensive Großanlagen stehen derzeit wegen der geopolitischen Lage unter Wettbewerbsdruck, etwa wegen steigender Strompreise. So hat der Chemiekonzern BASF im Jahr 2023 drei Großanlagen an seinem Stammsitz in Ludwigshafen stillgelegt. Diese produzierten 380 000 Tonnen Ammoniak, 165 000 Tonnen Methanol und 51 000 Tonnen Melamin pro Jahr. BASF bietet diese Anlagen derzeit über den US-amerikanischen Makler für verfahrenstechnische Anlagen International Process Plants (IPP) zum Verkauf an.</p><p>Diese Entwicklung spiegelt sich in den Investitionsaktivitäten in der Basischemie: Publiziert wurde seit dem Jahr 2021 in diesem Segment eine Neuanlage – Ineos investierte in eine neue Cumol-Anlage in Marl mit einer Jahreskapazität von 750 000 Tonnen, die im Jahr 2023 in Betrieb gegangen ist (<link href="#nadc20254148657-tbl-0001">Tabelle S. 34, Eintrag Nr. 16).</p><tabular xml:id="nadc20254148657-tbl-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/3zvwKyTIQD2nL0SZwPjU"><figcaption><label>Tab.1: </label>Publizierte Investitionen in Chemieanlagen in Deutschland seit 2021, sortiert nach Inbetriebnahmedatum (tatsächlichem oder prognostiziertem). Quelle: Verband der Chemischen Industrie (VCI)</figcaption></figure></tabular><p>Zwei neue Großanlagen nutzen biobasierte statt petrochemischer Rohstoffe: Die Produktionsanlage von Cropenergies in Zeitz liefert jährlich 50 000 Tonnen Ethylacetat aus Bioethanol (Nr. 8), und eine noch größere Neuanlage des Unternehmens UPM in Leuna mit einer Kapazität von 220 000 Jahrestonnen produziert Ethylenglykol (BioMEG) und Propylenglykol (BioMPG) aus Buchenholz (Nr. 12).</p><p>Unabhängig davon sind seit dem letzten Beitrag [Nachr. Chem. 2019, 67(7), 26] die Investitionen in die Basischemie von etwa einem Drittel auf ein Zehntel aller Investitionen zurückgegangen – wenige Erweiterungsinvestitionen eingeschlossen.</p><h2 type="main">Spezialchemie auf dem Vormarsch</h2><p>Das Segment Spezialchemie vereint etwa zwei Drittel aller hier gelisteten Investitionen – überwiegend Erweiterungsinvestitionen. Investiert wurde in Vorprodukte für die Nahrungsergänzungsmittelindustrie, etwa Acetate (Nr. 21) oder Methional (Nr. 22). Auch in der Spezialchemie entsteht eine Neuanlage, die biobasierte Rohstoffe verarbeitet: Das Unternehmen Verbio in Bitterfeld errichtet eine Anlage, die Methyl-9-decenoat und 1-Decen aus Rapsmethylester durch Schrock-Kreuzmetathese herstellt (Nr. 4).</p><h2 type="main">Neue Margen-Bringer: Batterien</h2><p>Aus der Mobilitätswende vom Verbrennungsmotor hin zu batterieelektrischen Fahrzeugen (BEV), die ihren Ursprung im EU Green Deal hat, resultiert ein Wachstumsmarkt innerhalb der Spezialchemie. Allein in Deutschland wurden im Jahr 2023 rund 1,5 Mio. BEVs neu zugelassen – 500 000 mehr als im Jahr zuvor. Dies waren allerdings nur 18 % aller Neuzulassungen. Der BEV-Bestand in Deutschland macht derzeit nur etwa 3 % des Gesamtbestands von rund 50 Millionen Fahrzeugen aus. Bis zum Jahr 2030 will die Bundesregierung den BEV-Bestand auf 15 Mio. Fahrzeuge erhöhen.</p><p>Die chemische Industrie liefert bereits Produkte wie Klebstoffe und Kunststoffe an Autohersteller. Durch die Elektrifizierung der Individualmobilität kommen nun Anoden- und Kathodenmaterialien sowie Elektrolyte für die Batteriezellproduktion hinzu.</p><p>Diese Entwicklung wirkt verzögert auch auf Investitionsaktivitäten. So hat der Chemiekonzern BASF im Jahr 2023 in Schwarzheide eine Anlage in Betrieb genommen, die Kathodenmaterial für Lithium-Ionen-Batterien basierend auf Nickel, Mangan und Cobalt (NMC) herstellt (Nr. 19). Zudem hat das Unternehmen AMG Lithium mit einem Investitionsvolumen von 140 Mio. Euro die in Europa erste großtechnische Anlage errichtet und in Betrieb genommen, die 20 000 Jahrestonnen Lithiumhydroxid in Batteriequalität produziert (Nr. 14).</p><h2 type="main">Batterierecycling</h2><p>Anders als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor eröffnen BEVs durch Batterierecycling einen zusätzlichen attraktiven Wachstumsmarkt für die chemische Industrie. Haben die Batterien ihr Leistungsende erreicht, lassen sie sich nach hydrometallurgischem Recycling der Schwarzmasse – einem Granulatgemisch aus Lithium, Graphit, Cobalt, Nickel und Mangan – wiederverwenden, um neue Batterien herzustellen. Die erste Recyclinganlage dieser Art nahm der Automobilhersteller Mercedes-Benz mit dem Unternehmen Primobius Ende 2024 in Betrieb. Die Anlage steht in Kuppenheim und hat eine Verarbeitungskapazität von über 2500 Jahrestonnen Schwarzmasse (Nr. 13). Eine zweite Anlage mit einer Jahreskapazität von 10 000 Tonnen errichtet das Start-up Cylib im Chemiepark Dormagen. Nordrhein-Westfalen unterstützt dabei mit einem zweistelligen Millionenbetrag. Die Anlage soll im Jahr 2026 in Betrieb gehen und 170 Arbeitsplätze schaffen (Nr. 3).</p><h2 type="main">Halbleiter</h2><p>Der Spezialchemie lassen sich auch die Investitionsaktivitäten bei den Halbleiterchemikalien zuordnen. Die Halbleiterindustrie hat ihren weltweiten Umsatz zwischen 2012 und 2021 von 300 Mrd. US-Dollar auf 583,5 Mrd. US-Dollar gesteigert. Deutschland – insbesondere die Region Dresden – ist mit den Unternehmen Bosch, Globalfoundries und Infineon das Zentrum der europäischen Halbleiterindustrie und sicherte sich mehr als die Hälfte aller neuen EU-Mikrochip-Projekte. Dazu zählt auch die bereits begonnene Investition der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) gemeinsam mit den Unternehmen Bosch, Infineon und NXP. Die geplante Fabrik mit einem Investitionsvolumen von 10 Mrd. Euro soll ab dem Jahr 2028 monatlich 40 000 300-mm-Wafer ausstoßen und 2000 Arbeitsplätze schaffen.</p><p>Durch die Halbleiter ergibt sich – ebenso wie durch BEVs – ein enormer Markt für die chemische Industrie. Denn die Halbleiterindustrie benötigt mehrere Dutzend Chemikalien und Gase in großen Mengen. Die Reinheitsanforderungen sind dabei hoch. Das ermöglicht der chemischen Industrie hohe Gewinnspannen. Das Spezialchemieunternehmen Wacker in Burghausen hat seine bereits bestehende Anlage zum Aufreinigen von HCl-Gas mit einem niedrigen zweistelligen Millionenbetrag erweitert, um HCl zu 99,9995 % rein herzustellen (Nr. 18). Eine Anlage, die jährlich 400 bis 600 Tonnen hochreines Siliziumcarbid herstellt, errichtete das Unternehmen Silicon Products in Bitterfeld (Nr. 15).</p><h2 type="main">Basischemikalien importieren</h2><p>Die hier gelisteten Investitionen beziehen sich lediglich auf veröffentlichte Vorhaben. Sie weisen darauf hin, dass im Gegensatz zu den 2010er Jahren weniger investiert wird, besonders in der Basischemie. Dies spiegelt sich in einer im November 2024 erschienenen Studie der Boston Consulting Group (BCG) und des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) zum Industriestandort Deutschland: 74 % der etwa 300 befragten Chemieunternehmen gaben an, einen Ausbau ihrer Produktion in Deutschland für unwahrscheinlich oder sehr unwahrscheinlich zu halten.</p><p>Die niedrigeren Produktionsmengen sowie die geringen Investitionen in der Basischemie lassen erwarten, dass die europäische Chemieindustrie zukünftig Basischemikalien importieren wird. Die Rohstoffabhängigkeit Deutschlands führte bisher nicht zu verstärkter Minentätigkeit, Erdgas- und Erdölförderung im eigenen Land und wird durch den Wandel der Basischemie nicht verschärft werden.</p><h2 type="main">Spezialchemie stärken</h2><p>Wie die regen Investitionsaktivitäten in der Spezialchemie zeigen, hat dieses Segment bereits auf die veränderten geopolitischen Einflüsse reagiert. Die Spezialchemie erfordert meist eine anspruchsvolle Prozessführung, hochqualifizierte Mitarbeitende unterschiedlicher Disziplinen sowie ein Verständnis der Abnehmerindustrie und ermöglicht die Margen, die der chemischen Industrie weiterhin profitables Wirtschaften erlauben. Dabei sind vor allem die Lithium-Ionen-Batterieproduktion und die Halbleiterindustrie aussichtsreich.</p><p>Wie in den Ölkrisen in den Jahren 1973 und 1979/1980, den Immobilienkrisen in Japan 1991 und den USA 2008 oder der Eurokrise ab 2010 wird die chemische Industrie mit ihrem Innovationspotenzial vermutlich auch die derzeitigen Probleme lösen und Produkte für neue Märkte entwickeln. Allerdings werden Produktionskapazitäten mit sensibler Kostenstruktur aufgrund der globalen Wettbewerbssituation weiterhin aus den Industrieländern verlagert werden. Aufgrund spezifischer Stärken, insbesondere der hohen Innovationskraft, Produktivität und Ressourceneffizienz, wird Deutschland neben den USA und Japan trotzdem weiterhin ein attraktiver Produktionsstandort für die chemische Industrie bleiben.</p><h2 type="main">Der Autor</h2><p>Thorsten Bug ist seit 2008 Senior Manager Chemicals bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Germany Trade &amp; Invest, einer dem Wirtschaftsministerium zugeordneten Bundes-GmbH. Davor war er fünf Jahre selbstständig in der strategischen Vermögensberatung. Bug promovierte 2003 nach dem Chemiestudium in Regensburg bei Herbert Mayr an der LMU München. Zuvor hatte er eine Ausbildung als Chemielaborant absolviert.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/kWh5EY8ORVa63qqDmsqH"></p><p><email><a href="mailto:thorsten.bug@gtai.de">thorsten.bug@gtai.de</a></email></p>

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