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Nachrichten aus der Chemie: Wie überzeugen Sie die frischgebackenen Nobelpreisträger, in die Inselhalle nach Lindau zu kommen?
Wolfgang Lubitz: Da hilft uns die Beziehung der Bernadottes von der Insel Mainau zum schwedischen Königshaus. Unsere Präsidentin, Bettina Gräfin Bernadotte, fährt jedes Jahr zur Verleihung der Nobelpreise nach Schweden. Ab und zu fahren Kuratoriumsmitglieder mit und sprechen die Laureaten direkt an. Bei Stefan Hell wiederum habe ich ihm sofort, als der Preis bekannt gegeben wurde, per Mail gratuliert und ihn gebeten, zur Lindauer Nobelpreisträgertagung zu kommen. Und jeder, der einmal hier gewesen ist, hat davon geschwärmt.
Nachrichten: Die Tagung findet tief in der Provinz statt, weit weg vom nächsten großen internationalen Flughafen. Sie dauert eine ganze Woche. Wer kann sich heute so etwas noch leisten?
Lubitz: Es ist erstaunlich, ja: Die meisten Laureaten bleiben tatsächlich die ganze Woche. Die reizvolle Lage Lindaus direkt am See und das hochsommerliche Wetter in der letzten Juniwoche, in der die Tagung traditionsgemäß stattfindet, tragen sicher dazu bei. Und echte Provinz ist es auch nicht: Es sind zwei Stunden zum Züricher Flughafen, ein bisschen mehr zum Münchner. Und es gibt auch einen Flughafen in Friedrichshafen.
Nachrichten: Sie sind seit über zehn Jahren im Kuratorium dabei. Wie kamen Sie dazu?
Lubitz: Aus historischen Gründen gab es keinen deutschen Chemiker im Kuratorium. Astrid Gräslund, eine Kollegin, gute Freundin und Sekretärin des Nobelpreiskomitees, hat mich gefragt, ob ich die Aufgabe übernehmen würde — und ich habe mich gerne überreden lassen. Seit 2004 bin ich gewähltes Mitglied des Kuratoriums.


<h2>Interdisziplinarität versus reine Chemie</h2>
Nachrichten: Organisieren Sie nur die Nobelpreisträgertagungen mit, die der Chemie gewidmet sind, oder auch die anderen?
Lubitz: Ich bin überall dabei. In der Medizin und Physiologie sind ja sehr viele Biochemiker unter den Laureaten. Und häufig sind es auch Physikochemiker, die einen Physiknobelpreis bekommen. Die Chemie steht als zentrale Wissenschaft zwischen den Lebenswissenschaften und der Physik sehr gut da. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich Chemie studiert habe und dabei geblieben bin.
Nachrichten: Gestern bei der Paneldiskussion waren vier Chemienobelpreisträger dabei, aber keiner von denen bezeichnete sich als Chemiker. Ist das nicht ein schlechtes Zeichen für die Chemie?
Lubitz: Das ist eher ein gutes Zeichen und spricht für die Interdisziplinarität. Man kann zum Beispiel einem Biochemiker, der sich mit Lebensprozessen beschäftigt, den Chemienobelpreis geben oder den für Physiologie und Medizin — das hängt sehr von den Details der ausgezeichneten Arbeit ab.
Nachrichten: Inzwischen gibt es alle fünf Jahre in Lindau eine interdisziplinäre Nobelpreisträgertagung. Wieso? 
Lubitz: Austausch und Kooperation zwischen den naturwissenschaftlichen Disziplinen sind sehr wichtig, und das sollte man auch in Lindau zeigen. Daher haben wir diese interdisziplinären Tagungen ins Leben gerufen. Wobei uns allerdings deren Organisation logistisch vor große Probleme stellt: Dieses Jahr sind 65 Laureaten gekommen. Vielen genügt aber nicht das Gespräch mit den Studenten, sondern sie wollen einen Vortrag halten. Daher mussten wir parallele Vortragssitzungen einführen, was sicher nicht sehr gut ist.
Nachrichten: Das Prinzip ist aber immer noch, dass die Laureaten reden können, worüber sie wollen?
Lubitz: Ja, sicher. Fast alle haben sich darauf eingestellt, nicht nur zu ihren eigenen Fachleuten zu reden. Es ist fantastisch, einen Vortrag über die Entstehung des Weltalls zu hören, über den Ursprung des Lebens oder über das Higgs-Boson, wenn das Thema nur allgemeinverständlich dargestellt ist.


<h2>Es geht nicht nur um Nobelpreisträger</h2>
Nachrichten: Inzwischen dürfen ja sogar Nichtnobelpreisträger bei Ihnen vortragen.
Lubitz: Das stimmt: in den Masterclasses. Die jungen Wissenschaftler können sich mit einem Abstract ihrer Arbeit bewerben, und der entsprechende Laureat wählt dann maximal vier bis sechs aus, und diese halten in den Masterclasses ihren Vortrag. Daran schließt sich eine Diskussion mit Fragen und eben auch Kritik von dem Laureaten an. Es ist für die jungen Leute sehr hilfreich zu hören, was man in der Forschung oder auch einfach in der Präsentation der Ergebnisse besser machen kann.
Nachrichten: Was hat sich bei der Nobelpreisträgertagung noch verändert, seit Sie dabei sind?
Lubitz: Am wichtigsten ist sicher die sehr viel professionellere Auswahl der Nachwuchswissenschaftler aus aller Welt. Ferner hat sich auch der Charakter der Tagung geändert, zum Beispiel haben wir regelmäßig die interdisziplinären Tagungen und laden jetzt sogar Laureaten aus ganz anderen Gebieten ein. Dieses Jahr waren beispielsweise der Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka aus Nigeria und der Kinderrechtsaktivist Kailash Satyarthi aus Indien da. Letzterer hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit Malala Yousafzai aus Pakistan den Friedensnobelpreis bekommen. Ferner gibt es seit 2004 auch eine zusätzliche Lindauer Tagung zu den Wirtschaftswissenschaften.
Nachrichten: Sie tragen mit der Lindauer Nobelpreisträgertagung ein bisschen dazu bei, die Mystifizierung des Nobelpreises noch weiter zu drehen. Viele Leute — auch solche, die jetzt unverdächtig sind, aus Neid zu sprechen — halten den Nobelpreis für den am meisten überschätzten Wissenschaftspreis.
Lubitz: Ich finde, es ist schon etwas Besonderes, einen Nobelpreis zu bekommen. Die Laureaten haben eine herausragende Lebensleistung vollbracht oder auch eine einzelne ganz besondere wissenschaftliche Leistung. Der Nobelpreis dient natürlich in einem Land auch als Aushängeschild für die Qualität der wissenschaftlichen Forschung — und damit wird der Preis vielleicht tatsächlich überbewertet. Aber der eigentliche Grund für unsere Veranstaltung ist nicht, dass Nobelpreisträger vortragen, sondern wir wollen die besten jungen Leute aus möglichst vielen Nationen der Welt hierherholen, damit sie von den Nobelpreisträgern lernen und andere junge Forscher kennenlernen.
Nachrichten: Welchen Einfluss, meinen Sie, hat die Tagung international?
Lubitz: Für Deutschland ist es eine großartige Möglichkeit, sich mit einer solchen gut organisierten Tagung jedes Jahr im Sommer international zu präsentieren. Sie müssen bedenken: Die erste Tagung war bereits 1951, also kurz nach dem Krieg, als die deutsche Wissenschaft nach dem Nationalsozialismus keinen guten Namen hatte, teilweise sogar diskreditiert war. Ich denke, dass auch der Erfolg der Lindauer Tagungen dazu beigetragen hat, dass das heute anders ist.
Nachrichten: Was wird sich in Zukunft ändern?
Lubitz: Die Wissenschaft wird immer internationaler, und das muss sich niederschlagen in der Verteilung der jungen Teilnehmer. Es werden sicher nicht mehr so viele Deutsche wie in der Vergangenheit kommen können, da der Anteil der Teilnehmer aus den Schwellenländern beständig wächst. Wir brauchen mehr junge Wissenschaftler aus China, Indien, Lateinamerika und insbesondere aus Afrika.
Nachrichten: Und im nächsten Jahr? Gibt es da bereits Pläne?
Lubitz: Die Inselhalle wird umgebaut. Daher müssen wir die nächste Tagung, die übrigens der Physik gewidmet ist, kleiner gestalten. Wir hatten dieses Jahr über 650 Studenten. Beim nächsten Mal dürfen es nur 450 sein. Die Stadt hat aber versprochen, in zwei Jahren fertig zu sein. Bayern eilt ein sehr guter Ruf voraus; wir hoffen also, dass der Umbau zur Chemietagung 2017 tatsächlich abgeschlossen ist.
Mit Wolfgang Lubitz sprach Nachrichten-Redakteur Christian Remenyi. Redaktion: B. Osterath


<h2>ZUR PERSON</h2>
Wolfgang Lubitz ist seit dem Jahr 2004 Mitglied des Komitees der Lindauer Nobelpreisträgertagung. In diesem Jahr übernahm er die Position des Vizepräsidenten.
Lubitz, Jahrgang 1949, ist Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr. Er studierte Chemie und promovierte an der FU Berlin und habilitierte sich im Jahr 1982 in organischer Chemie.
Lubitz forscht mit seiner Abteilung Biophysikalische Chemie an den katalytischen Zentren von Metalloproteinen, an Prozessen der Photosynthese und an bioanorganischen Modellkomplexen.


<h2>Damals in Lindau</h2>
Der deutsch-peruanische Chemiker Walter Leidinger, Jahrgang 1952, verbindet bis heute “wunderbare Erinnerungen” mit der Lindauer Nobelpreisträgertagung. Der ehemalige Leiter des Chemparks in Dormagen war gleich nach seinem Diplom im Jahr 1977 in Lindau dabei. “Ich habe mir damals ein Fotoalbum gemacht, weil das alles für mich so einprägend war”, erzählt er. Er hat sogar seine Einladung aufbewahrt, aber “die ist inzwischen schon etwas verblichen.”
Er fuhr mit einem Kollegen in dessen Citroën-Ente von Heidelberg nach Lindau, erinnert sich Leidinger und lacht. “Es war so heiß im Juli, und wir hatten die Windschutzscheibe auf.” Zunächst zögerte er, zur Tagung zu fahren — immerhin ist es keine der typischen Fachkonferenzen, auf denen man sich über sein Forschungsthema weiterbildet. “Wo sind da die Inputs für meine Arbeit?”, habe er sich gefragt. Aber dann bekam er in Lindau mit, wie sehr Nobelpreisträger selbst im Ruhestand noch an der Chemie hängen — “was für eine Motivation die brachten, einfach unglaublich!” Um die 15 Nobelpreisträger waren damals anwesend, “und es gab genug Zeit, um mit ihnen über Gott und die Welt zu reden.” 
Leidinger traf Vladimir Prelog, Chemienobelpreis 1975 (Abbildung 1), und Robert B. Woodward, Laureat von 1965. Schönstes Erlebnis war für Leidinger sein Treffen mit dem zweifachen Nobelpreisträger Linus Pauling, der damals 76 Jahre alt war (Abbildung 2). “Ich erzählte ihm, dass ich Abkömmlinge des Trifluormethylamins hergestellt hatte, und zwar auf Basis einer Chlorstickstoffverbindung. Er war total begeistert.” Eine gute Viertelstunde habe Pauling sich mit ihm über seine Diplomarbeit unterhalten. “Dass sich dieser Mann so viel Zeit für mich nahm, fand ich toll.” Leidinger hat sich dieses Erlebnis zu Herzen genommen: “Später, als Chemieparkleiter habe ich mir auch immer gerne angehört, was die jungen Auszubildenden auf dem Herzen hatten. Ich hab ihnen viel Zeit geschenkt, um sie zu motivieren — so wie die Nobelpreisträger in Lindau mich damals motivierten.”
Leidinger sagt, er sei dabei, wenn es mal ein Lindauer Alumni-Treffen gebe. Das könnte nun Wirklichkeit werden. Das Kuratorium der Lindauer Nobelpreisträgertagung plant, ehemalige Teilnehmer miteinander zu vernetzen. Regelmäßig laden sie bereits jetzt Alumni zu den Tagungen ein. Sie haben auch eine Online-Datenbank eingerichtet, in der bereits alle Besucher ab dem Jahr 2003 mit Kontaktendaten und Foto gespeichert sind: <ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://alumni.lindau-nobel.org/directory" target="_blank">http://alumni.lindau-nobel.org/directory</a></ext-link> (Login erforderlich). Diese Datenbank soll demnächst zu einer Online-Plattform werden, womöglich mit Newsfeed und Diskussionsgruppen, über die sich alle ehemaligen und derzeitigen Teilnehmer austauschen können. In einem Mentoring-Programm sollen Nobelpreisträger, aber auch andere Alumni junge Wissenschaftler betreuen und sie für Projekte begeistern; beispielsweise hofft das Kuratorium, dass Tagungsteilnehmer in Schulen und Kindergärten mehr Begeisterung für Wissenschaft wecken. Und ja, ein Alumni-Treffen sei angedacht, heißt es aus Lindau. Ob so ein Treffen allerdings für alle Ehemaligen am Bodensee stattfinden wird oder man stattdessen viele Treffen in den Ländern organisiert, aus denen die Teilnehmer kommen, ist noch offen.
Brigitte Osterath, Frankfurt

“Es ist fantastisch, einen Vortrag über das Higgs‐Boson zu hören”

Nachrichten aus der Chemie: Wie überzeugen Sie die frischgebackenen Nobelpreisträger, in die Inselhalle nach Lindau zu kommen? Wolfgang Lubitz: Da hilft uns die Beziehung der Bernadottes von der Insel Mainau zum schwedischen Königshaus. Unsere Präsidentin, Bettina Gräfin Bernadotte, fährt jedes J...

Prof.Dr.

Viele selbstassemblierte Systeme wie Helikate und Gitterstrukturen binden keine Gastmoleküle; einige Wirtsysteme wiederum lassen sich nur kovalent synthetisieren, etwa Cyclodextrine, Cucurbiturile und Calixarene. Besonders reizvoll ist eine Kombination aus beidem: selbstassemblierte Käfigverbindungen.
Kontrolle über Größe, Form und Topologie sowie ausgefeilte Funktionalisierungen verleihen solchen Systemen neue Eigenschaften. So sind Gastselektivität und -affinität gezielt justierbar. Aufnahme und Abgabe der Gastmoleküle lassen sich aktiv durch externe Stimuli wie chemische Signalsubstanzen oder Licht steuern — das bringt die synthetischen Strukturen einen Schritt näher an ihre natürlichen Vorbilder, zum Beispiel Enzyme und Transportproteine, heran.1


<h2>Reversibel</h2>
Ohne viel Syntheseaufwand entstehen aus wenigen einfachen Bausteinen überraschend komplexe Strukturen. Der modulare Charakter der Assemblierung ermöglicht viele Derivate. Selbstreparaturmechanismen auf Basis reversibler Bindungen garantieren eine hohe Ausbeute der Verbindung, sofern diese das thermodynamische Minimum des Gesamtsystems darstellt. Dies bedarf im Vorfeld, Form, Funktionalisierung und Konnektivität der Bausteine gut zu durchdenken.
 Die dynamische Bindungsknüpfung hat auch Nachteile: Selbstassemblierte Strukturen sind oft wenig stabil gegen harsche chemische Umgebungen oder gegen Verdünnen, da sich dabei das Bindungsgleichgewicht verschieben kann. Kinetische Stabilisierung oder nachträgliche kovalente Fixierung (Abbildung 1a, S. 995) schaffen Abhilfe.2
 Bei der Bildung selbstassemblierter Strukturen spielen nichtkovalente Wechselwirkungen eine wichtige Rolle, insbesondere Wasserstoffbrücken und reversible Metall-Ligand-Bindungen.


<h2>Variationsreich</h2>
Klassische Komplexchemie und metallorganische Prinzipien erlauben die Assemblierung von polymeren oder dreidimensional-ausgedehnten organisch-anorganischen Hybridverbindungen, beispielsweise Metal Organic Frameworks (Mofs). Inhalt dieser Übersicht sind aber nur diskrete, lösliche Strukturen mit einer Kavität für Gastmoleküle. Dabei lässt sich unterscheiden zwischen großporigen Käfigen, die schnellen Gastaustausch ermöglichen, und Kapseln, die den Gast in einem rundum geschlossenen Hohlraum beherbergen.
Frühe Beispiele für Käfigverbindungen hatten meist hochsymmetrische, den platonischen Körpern entsprechende Strukturen. In den letzten Jahren entstand der Trend, die Komplexität der modular passgenauen Bausteine zu erhöhen und so Form und Topologie des Käfigs sowie dessen Funktion zu verändern.3 Orthogonale Donoren in multifunktionellen Liganden erlauben es, gezielt heteronukleare Strukturen zu synthetisieren, meist auf Basis des HSAB-Prinzips (harte und weiche Säuren und Basen; Abbildung 2).4,5
Ein abgewandeltes Prinzip findet sich in Architekturen, deren Liganden zwar nur gleichartige Donoren enthalten, diese aber dreidimensional unterschiedlich ausrichten. Es bilden sich dann unterscheidbare Koordinationsumgebungen im Käfig, und die Gesamtsymmetrie sinkt (Abbildung 3).6 Komplementär dazu wurden heterometallische Käfige entwickelt, die aus mehreren Ligandentypen mit gut definierten Koordinationsumgebungen bestehen.7
Solche gezielten Eingriffe in die Ligandenpositionierung und Koordinationssphäre “by Design” erlauben es, eine beeindruckende Bandbreite an Formen, Größen und Topologien zu realisieren. Das macht die Entwicklung neuer, maßgeschneiderter Käfige zu einem erfolgversprechenden Unterfangen.


<h2>Knoten, Ringe, Käfige</h2>
Strukturell besonders komplex sind Knoten, also einzelne, in sich verschlungene Ringe, und Catenane, bestehend aus mindestens zwei mechanisch verschränkten Ringen. Ein Hybrid aus Knoten und Käfig ist der von unserer Arbeitsgruppe vorgestellte doppelte Kleeblattknoten (Abbildung 1b, S. 995).8 Beispiele für selbstassemblierte Catenane sind Leighs Davidstern (Abbildung 1a) und die von unserer Gruppe untersuchte Familie von interpenetrierten [Pd4L8]-Doppelkäfigen (Abbildungen 4 — 6).9 Letztere bilden sich als thermodynamisches Endprodukt aus der Dimerisierung von zwei einfachen Käfigen [Pd2L4]. Diese sind wiederum die kinetischen Produkte der quantitativen Reaktion von vier bananenförmigen, bismonodentaten Pyridinliganden und zwei quadratisch-planar koordinierten Palladium(II)-Kationen.10


<h2>An und aus</h2>
Relativ neu ist es, Größe, Stöchiometrie und sogar Topologie von selbstassemblierten Strukturen zu schalten. So steuerten Fujita und Mitarbeiter die Größe selbstassemblierter Ringe über das Lösungsmittel, Dunbar Analoges über das Anion. Yoshizawa wechselte zwischen Quecksilber(II)-basierten Ringen und Käfigen durch die Ligand-zu-Metall-Stöchiometrie.11 Unsere Arbeitsgruppe wandelte durch Halogenidionen monomere [Pd2L4]-Käfige zu interpenetrierten [Pd4L8]-Doppelkäfigen um und dann weiter zu einem Triple-Catenan (Abbildung 4).12
Nach dem Vorbild der Natur ließen sich Verkapselungsprozesse mit einer passiven oder aktiven Steuerung nachahmen. Passives Steuerelement ist zum Beispiel der allosterische Effekt, bei dem eine positive oder negative Kooperativität von aufeinanderfolgenden Gastbindungsprozessen am gleichen Wirt eine Änderung seiner Struktur hervorruft. Auch kann die Bindung eines Gastes nicht nur die Affinität, sondern auch die Selektivität einer nachfolgenden Substrataufnahme steuern. Die Übergänge zu aktiven Steuermechanismen sind fließend; bei diesen schaltet ein chemisches Signal, zum Beispiel eine Phosphorylierung, die Gastbindung eines Wirtes an- oder ab. Besonders reizvoll, aber in der Natur nur selten anzutreffen sind photoschaltbare Bindungsprozesse, in denen ein Lichtimpuls die Bindung oder Freisetzung eines kleinen Moleküls auslöst. Alle genannten Phänomene wurden inzwischen in selbstassemblierten Koordinationskäfigen umgesetzt. Das mag man als biomimetischen Ansatz bezeichnen, auch wenn die bislang beschriebenen Systeme meist keine biologisch relevanten Substrate binden, sondern kleine Ionen oder Moleküle mit Modellcharakter.
So zeigen einige der von uns beschriebenen Doppelkäfige eine hohe Affinität für Halogenidionen, besonders Chlorid und Bromid. Diese binden mit positiver Kooperativität unter allosterischer Kompression des Doppelkäfigs entlang der Pd4-Achse in den beiden äußeren Taschen; das zentrale Tetrafluoroboratanion bleibt dabei unberührt (Abbildung 5a).10 Dosy- und Noesy-NMR-Experimente, eine Einkristallstrukturanalyse und quantenmechanische Rechnungen bestätigten die Größenänderung.
Wir untersuchten, wie die Selektivität der Anionenbindung in den äußeren Taschen der Doppelkäfige gesteuert wird. Demnach hat die Ligandenlänge einen geringeren Einfluss als erhofft. Allerdings ließ sich mit einer Variation der Größe des zentralen Templats die Bindungsselektivität in den beiden äußeren Taschen von kleinen Halogeniden hin zu großen, mehratomigen Anionen wie ReO4− verschieben (Abbildung 5b).13
Funktionell noch komplexer ist folgendes Beispiel: Halogenidionen aktivieren die zentrale Kavität des Acridon-Doppelkäfigsystems für die Aufnahme von neutralen Gastmolekülen allosterisch (Abbildung 6). Sowohl in Lösung als auch im kristallinen Festkörper führte die Aktivierung des Käfigs durch Bromid- und Chloridionen zur Verkapselung von etwa Benzol, Cyclohexan oder Norbornadien. Bemerkenswerterweise verdrängt dabei ein Neutralmolekül ein Anion aus einem kationischen Käfig.


<h2>Photoschalter</h2>
Besonders reizvoll ist Licht als externer Stimulus: In Kombination mit photochemisch sauber ansprechbaren und robusten Photoschaltern wie den Dithienylethenen (DTE) lassen sich so supramolekulare Prozesse zeitlich und räumlich kontrollieren und steuern.
Unsere Arbeitsgruppe synthetisierte einen Koordinationskäfig aus vier DTE-Bispyridylliganden und zwei quadratisch-planar koordinierten Palladium(II)-Kationen, dessen photochrome Liganden ein quantitatives Schalten zwischen einem konformationell flexiblen Wirt und seinem verwindungssteifen Photoisomer erlauben (Abbildung 7). Die Photoisomerisierung beeinflusst die Affinität des Käfigs für Gastmoleküle und macht es so möglich, Aufnahme und Abgabe von Anionen wie [B12F12]2− zu steuern.15
Die fortschreitende Funktionalisierung von Koordinationskäfigen hat bereits selektive Rezeptoren, chemische Transportsysteme und Reagenzien hervorgebracht, um reaktive Verbindungen zu stabilisieren und Giftstoffe zu maskieren. Die vielleicht spannendste Entwicklung ist die Synthese von nanometergroßen Reaktionsräumen, quasi künstliche Analoga zu Enzymen — auch wenn der Weg zur Kopie der Natur noch weit ist.7,16
Um Komplexität und Anwendbarkeit weiter zu steigern, wird neben neuen steuerbaren Elementen in Zukunft auch das Zusammenwirken verschiedener Funktionalitäten im selben System eine Rolle spielen. Die Techniken, um gezielt chemische Einheiten in multifunktionellen, supramolekularen Strukturen zu kombinieren, gehören zu den heißesten Aspekten bei den derzeitigen Entwicklungen in der Selbstassemblierung.


<h2>QUERGELESEN</h2>
Nanometergroße Koordinationskäfige setzen sich selbst aus organischen Liganden und Metallkationen zusammen.
Die Systeme werden komplexer durch orthogonale Wechselwirkungen, Templateffekte und topologische Variation.
Schaltbare Funktionen machen es möglich, Assemblierung und Gastbindung über chemische Signale und über Licht zu steuern.


Guido H. Clever, Jahrgang 1976, ist seit September 2015 W3-Professor für anorganische Chemie an der TU Dortmund. Er studierte von 1997 bis 2003 Chemie in Heidelberg und promovierte an der Universität Marburg und der LMU München. Von 2007 bis 2010 forschte er an der Universität Tokio. Ab 2010 war er Juniorprofessor, ab 2013 W2-Professor am Göttinger Institut für Anorganische Chemie. Seine Arbeiten wurden mit dem Aduc-Preis der GDCh und dem Dozentenpreis des Fonds der Chemischen Industrie ausgezeichnet.



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Veranstaltungen

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