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Für über 1300 Teilnehmer verbanden sich die Chemiedozententagung (CDT) (mit GDCh-Festsitzung) als etabliertem Branchentreff und das 125-Jahre-Festsymposium der Angewandten Chemie zu großem Kino. Zum Fest in Berlin hatte der für seine beispiellos erfolgreiche Arbeit gelobte Peter Gölitz fachlich tief schürfende, kompetente und anerkannte Chemiker eingeladen. Darunter auch solche, die wie Roald Hoffmann und George Whitesides im Showfach und in der Metaebene überzeugend unterwegs sind.
In Berlin trafen zwei Systeme zusammen, die auf unterschiedlichen Wegen Wissen zusammenführen: Auf der einen Seite Menschen, die sich auf Kongressen treffen, loben — Benjamin List erhielt den Horst-Pracejus-Preis —, miteinander reden, diskutieren, feiern; auf der anderen Seite die Angewandte als eine Zeitschrift, die seit 125 Jahren Wissen auf Papier (und inzwischen in Bits und Bites) prüft, fixiert und verteilt. Beide Installationen sind Maschinen, die neues Wissen der Chemie und der unterschiedlichsten mit ihr verbunden Wissenschaften verlinken. Carl-Duisberg-Preis-Preisträger Mathias Christmann hatte in seinem Vortrag gesagt: “Alkin klickt gut.” Das tun auch solche Tagungen und Zeitschriften sowie das Internet — 3500 Interessierte verfolgten das Symposium online.
Damit niemand ausgeschlossen war, haben in Berlin drei Gebärdensprachdolmetscher alle englischen Festvorträge in die Deutsche Gebärdensprache übersetzt. Und der Kabarettist (“Dumm nickt gut”) Michael Feindler brachte einen Hauch von Tucholsky und AKW-Kritik auf die Aduc-Bühne.
Mehr zu den Aduc-Preisträgern: diese Nachrichten, S. 462. EG

Die Klick‐Maschinen

Für über 1300 Teilnehmer verbanden sich die Chemiedozententagung (CDT) (mit GDCh-Festsitzung) als etabliertem Branchentreff und das 125-Jahre-Festsymposium der Angewandten Chemie zu großem Kino. Zum Fest in Berlin hatte der für seine beispiellos erfolgreiche Arbeit gelobte Peter Gölitz fachlich t...

Prof.Dr.

Eine Arbeitsgruppe fand ein π-System, geeignet für physikochemische Untersuchungen. Es entstand einige Euphorie, denn die Lewis-Valenzstrichformeln zeigten, dass die molekularen Längsachsen von Teilstrukturen des Systems orthogonal stehen. Das System wurde synthetisiert und physikalische Untersuchungen belegten die ungewöhnlichen Effekte: Die Euphorie stieg.1
Die Gruppe reichte ein Manuskript bei einem international renommierten, früher mehr national orientierten Journal ein und stellte bei der DFG einen Förderantrag. Die Zeitschrift lehnte die Veröffentlichung ab, da die Systeme nicht orthogonal seien.2 Der Förderantrag wurde mit einer sprachlich ähnlichen Begründung abgelehnt. Der Gutachter war wohl eine renommierte Persönlichkeit und wusste offensichtlich mehr.
Die Arbeitsgruppe führte Kraftfeld-Rechnungen aus: Die Systeme standen senkrecht aufeinander. Der Gutachter meinte, dass sie nicht senkrecht aufeinander stehen könnten, weil sie mit Einfachbindungen zusammengehalten würden; der Gutachter wusste offensichtlich mehr.
Die Arbeitsgruppe arbeitete weiter; das Geld wurde knapp. Nächster Versuch war die Quantenchemie: Die Geometrie des Systems wurde mit AM1-Rechnungen optimiert und die orthogonale Anordnung der Systeme rechnerisch bestätigt. Der Gutachter meinte, AM1-Rechnungen seien obsolet (trotz Ref.3?) und die Systeme stünden nicht orthogonal.
Weitere Vorarbeiten machten das Geld noch knapper; eine befreundete Gruppe Physiker half mit Chemikalien aus, die hausinternen Spektroskopiekosten konnten aber nicht aufgebracht werden; eine Petition zu deren Stundung wurde abgewiesen, eine Doktorandenstelle zum Begleichen der Kosten vom Department eingezogen. Das Department konfiszierte Patenterträge der Gruppe,4 die Mitarbeiter stöberten im Sperrmüll nach Glasgeräten.
Auf das Zielsystem wurden DFT-Rechnungen angewandt: Der Rechner wurde hochgetaktet, lief tagelang, und Studenten schlugen vor, auf dem Kühlblech Eier zu braten; die Berechnung ergab eine orthogonale Anordnung. Der Gutachter meinte, dass die Systeme nicht orthogonal seien. Die Bitte nach einem Kommentar dazu oder einem Ombudsmann für Antragsteller wurde abgewiesen. Eine Bewertung gebe es nur für Antragsteller, nicht aber für Gutachter, und es gebe auch keine Evaluation von Gutachtern, und es sei auch keine geplant. Selbst der Hinweis, dass ein Lot über einem waagerechten Tisch senkrecht hänge, wurde nicht berücksichtigt.5


<h2>Nichts ist im Lot</h2>
Hier war entweder etwas aus dem Lot oder der Gutachter hatte von Dingen Kenntnis, die der Antragsteller nicht kannte, behielt aber sein Wissen für sich. Eine Bemerkung des Gutachters, dass eine elektronische π-Konjugation auch durch ausgedehnte, aliphatische Strukturen über viele Sigmabindungen hinweg erfolge, machte nachdenklich.
Die Arbeitsgruppe setzte sich weiter mit Müll auseinander; ein diesbezügliches Forschungsprojekt wurde an anderer Stelle eingereicht und bewilligt. Die finanzielle Situation der Gruppe entspannte sich, die Doktorandenstelle blieb aber eingezogen, und Reparaturkosten von Praktikumsgeräten wurden zu 50 Prozent auf Forschungsrestmittel des Arbeitskreises umgelegt.
Da weder die Chemie noch die Quantenchemie eine Lösung zu bringen schienen, suchte die Gruppe in der Physik weiter. Sie zog die quantenmechanisch postulierte spontane Bildung virtueller Materie und Antimaterie im Vakuum in Betracht, eine Art Nullpunktschwingung des Raums, die als Casimir-Effekt bekannt ist und im Jahr 1958 durch das Sparnaay-Experiment nachgewiesen worden war.6 Bei π-Systemen sollte sich dieser Effekt wegen der Verschiebbarkeit der Elektronen bemerkbar machen. Es ist auch ein Verbiegen von starren Aromaten auf anorganischen Oberflächen beschrieben worden,7 an dem vielleicht dieser Effekt beteiligt ist; der Casimir-Effekt ist in den üblichen quantenchemischen Rechenprogrammen nicht implementiert und findet bei der Syntheseplanung kaum Beachtung. Bei T-förmigen Molekülen sollte der Effekt auf den Teil, der dem waagerechten Strich entspricht, allerdings symmetrisch wirken. Außerdem ist der Effekt vielleicht doch verhältnismäßig klein und müsste im molekularen Bereich zeitabhängig angesetzt werden.


<h2>Der Nullpunkt schwingt</h2>
Die Idee mit den Nullpunktsschwingungen im Vakuum wollte der Arbeitsgruppenleiter weiter angehen; die Kritik des Gutachters trug erste Früchte — bei meso-Formen organischer Moleküle beispielsweise kann es gar kein Symmetrieelement geben, denn es gibt zumindest die Nullpunktschwingung; die Wahrscheinlichkeit, dass alle Molekülbestandteile an geeigneten räumlichen Positionen sind und dass auch noch deren Impulse die Symmetriebedingung erfüllen, wird infinitesimal klein; hier sollte man auch die Unschärferelation berücksichtigen.8 Ein chemisch relevantes Symmetrieelement ist nur eine statistische, dynamische9 Angelegenheit, bei der beispielsweise meso-Formen durch schnell racemisierende Enantiomeren-Ensembles entstehen; dies ändert allerdings nichts an der Nützlichkeit des Symmetriekonzepts in der Chemie.
Ein weiteres Bewegen aus der Orthogonalität ist grundsätzlich durch eine Krümmung des Raums möglich; Astrophysiker haben zur Klärung sehr große Dreiecke ausgemessen, und dabei eine Winkelsumme von exakt 180° gefunden, die ein Beleg für eine euklidische Geometrie ist. Widerspricht eine exakte euklidische Geometrie der Unschärferelation? Man hätte dann etwa Fluktuationen zwischen einer hyperbolischen und einer ellipsoidischen Raumkrümmung. Da die erste zu einem unbegrenzten, die zweite aber zu einem begrenzten Weltall führte, müssten solche Fluktuationen wegen der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit — vgl. die Relativitätstheorie — intensive Raumwellen ergeben, die bisher nicht beobachtet worden sind. Berücksichtigt man eine Raumkrümmung in höheren Ordnungen als 2, ist dieses Problem, insbesondere für ungeradzahlige Ordnungen, weniger gravierend. Eine fluktuierende Raumkrümmung macht den Raum allerdings chiral, und dies hätte Konsequenzen für den Begriff der Chiralität. Denn nun sind chemische Enantiomere zusammen mit dem implementierenden chiralen Raum lediglich Diastereomere; die Enantioselektivität geht hierdurch z. B. in Diastereoselektivität über.10 Eine fluktuierende Raumkrümmung vereitelt zudem den Begriff der Orthogonalität von Molekülteilen.
Der Gutachter hat also recht, oder?11
Heinz Langhals ist Professor für organische und makromolekulare Chemie an der LMU München. Er bedankt sich bei denen, welche die Verfassung dieses Beitrags anregten und bei allen, welche die Arbeiten unterstützten. <a href="mailto:Langhals@lrz.uni-muenchen.de">Langhals@lrz.uni-muenchen.de</a>, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.cup.uni-muenchen.de/oc/langhals/index.html" target="_blank">www.cup.uni-muenchen.de/oc/langhals/index.html</a></ext-link>


<h2>Von Anwerbung bis Webcomic</h2>
Allenthalben stößt der Chemiker auf Probleme und ein ums andere Mal hilft das Internet heraus. Zum Beispiel mit selbst gemachter Musik. Auf Youtube wirbt Bayer um Nachwuchs: “It's gonna be a good day — Bayer's Recruiting-Song”. Zudem dürfen Bayer-Mitarbeiter einen Song zum 150-jährigen Jubiläum schreiben.
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Nudelholz im Erdbeerjoghurt, Schweineknorpel im Meeresfrüchtesalat, Pferdefleisch in Köttbullar… In seinem Programm “Futter — streng verdaulich” widmet sich der Komiker und Chemiker Philip Weber den Lebensmittelskandalen. Sein Blog ist hier zu lesen:
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://futterblog.weberphilipp.de" target="_blank">http://futterblog.weberphilipp.de</a></ext-link>
Die Gestalter von “The Naked Scientist” sind Wissenschaftler der Universität Cambridge, die Radio und Internet nutzen, “to strip science down to its bare essentials”. Ihr wöchentliches Radioprogramm erreicht bis zu 6 Mio. Zuhörer im Osten Englands, die Anhängerschaft im Web ist internationaler.
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.thenakedscientists.com" target="_blank">www.thenakedscientists.com</a></ext-link>
Der Zugang zum Journal ungelöster Fragen:
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://junq.info" target="_blank">http://junq.info</a></ext-link>
Hier bleiben schneckenstreichelnde Physiker nicht lange unter sich:
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://sciencebusters.agentur-o.de" target="_blank">http://sciencebusters.agentur-o.de</a></ext-link>
Unwahrscheinliche Forschung:
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.improbable.com" target="_blank">www.improbable.com</a></ext-link>
Molekülschmuck zum Anschauen und Kaufen:
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Ein Webcomic über Romantik, Sarkasmus, Mathematik und Sprache:
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1 

 
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1a 

 
P. Falk, 
<source>Just One More Thing — Stories From My Life. <publisher-name>Carroll &amp; Graf</publisher-name>, 2007.

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M. Striss, 
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1c 

 
J. Campbell, 
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J. Campbell, 
<source>Der Heros in tausend Gestalten, 6. Aufl., <publisher-name>Insel Verlag</publisher-name>, 1999.

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1e 

 
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<source>Die Odyssee des Drehbuchschreibens, 2. Aufl., <publisher-name>Zweitausendeins</publisher-name>, <publisher-loc>Frankfurt</publisher-loc>, 1998.

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J. W. von Goethe, 
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S. M. Bachrach, 
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Verwaltungstechnisch war alles korrekt.
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P. Heimbach, T. Bartik, U. Drescher, I. Gerdes, W. Knott, R. Rienäcker, H.-G. Schulte, K. Tani, unveröffentlicht, Univ. Essen 1988.
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11 

Die meisten Gutachter sind integre Persönlichkeiten, deren Tätigkeit wenig auffällig, aber eine wesentliche Stütze des Wissenschaftsbetriebs ist; jeder Autor/Antragsteller sollte ihre konstruktive Kritik — auch unbequeme — schätzen. Ihre Tätigkeit sollte durch Evaluationen und Ombudspersonen honoriert werden.
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Die Klick‐Maschinen

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