Industrie & Technik

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<p>Der Definition der Reinheit von Reinstwasser für die Produktion liegen verschiedene physikalische, chemische und mikrobiologische Parameter zugrunde. Ein zentraler Summenparameter ist der Gehalt an gesamtem organischen Kohlenstoff, TOC (Total Organic Carbon). Er umfasst die größte aller Stoffgruppen.</p><p>Um den TOC zu bestimmen, wird die Reinstwasserprobe mit einer Säure versetzt, welche die anorganischen Kohlenstoffverbindungen, Carbonate und Hydrogencarbonate, zu Kohlendioxid umsetzt. Ein Spülgas, in der Regel synthetische Luft, treibt das entstehende CO<sub>2</sub> aus. Anschließend wird ein Aliquot der Probe oxidiert, um die gelösten organischen Substanzen zu Kohlendioxid umzusetzen, das ein NDIR-Detektor (non-dispersive infrared) erfasst.</p><h2>Regelmäßige Kontrolle</h2><p>Ganz gleich, wie ein Reinstwasser hergestellt wird, es ist niemals völlig frei von Fremdstoffen, etwa organischen Verbindungen. Mit der Zeit steigt der Kohlenstoffgehalt im Wasser. So geben Materialien, mit denen das Wasser in Kontakt kommt, organische Stoffe ab, und aus der Umgebungsluft lösen sich organische und anorganische Substanzen im Reinstwasser. Daher sind Lagerung und Handhabung von Reinstwasser anspruchsvoll, und es muss vor der Verwendung kontrolliert werden.</p><p>Reinstwasser ist in der TOC-Analyse zugleich Probe wie Betriebsmittel, es ist in den Spüllösungen der TOC-Analysatoren enthalten oder wird zum Ansetzen der Kalibrierlösungen eingesetzt. Durch den Blindwert oder Grundeintrag des verwendeten Reinstwassers in den Standardlösungen verschieben sich die Ergebnisse zu höheren Messwerten, und damit bekommt die Kalibriergerade einen positiven Y-Achsenabschnitt. Je kleiner der Messbereich, desto größer ist der Einfluss des Blindwerts auf die Kalibrierung.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/cxWIOW6dQXypg9y2BqMp"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Verwendeter TOC-Analysator TOC-L CPH von Shimadzu.</figcaption></figure>
<p>Bei der TOC-Messung von Reinstwasserproben und Proben im Spurenbereich ist ein solcher Achsenabschnitt nicht erwünscht, da solche Proben keinen Grundeintrag mitbringen. Bei der Quantifizierung über Kalibrierkurve nach der Formel: TOC-Gehalt = (gemessener Flächenwert minus Achsenabschnitt) geteilt durch die Steigung würde der TOC-Gehalt ungewollt verändert. Um dies zu vermeiden, steht vor der Auswertung eine Nullpunktverschiebung (NPV), die Parallelverschiebung der Kalibriergeraden durch den Nullpunkt, um den Blindwert aus der Herstellung der Standardlösungen im TOC-Gehalt herauszurechnen.</p><h2>Verunreinigungen aus der Umgebung</h2><p>Neben den Blindwerten aus dem verwendeten Reinstwasser und den Reagenzien können bei der TOC-Messung Verunreinigungen aus der Umgebung hinzukommen. Diese sind oft zufällig, in vielen Fällen weder reproduzierbar noch eindeutig bestimmbar. Sie stammen beispielsweise aus den Rückständen in Probenflaschen, Messgefäßen und Chemikalien oder kommen aus der Laborumgebung.</p><p>Um diesen Verunreinigungsprozess zu veranschaulichen, wurde ein Reinstwasser aus einer Flasche (HPLC-Reinstwasser) analysiert. Die TOC-Spezifikation des Wassers lag bei unter 5 μg·L<sup>–1</sup>. Ein Aliquot der Probe wurde entnommen, analysiert und die Flasche wieder fest verschlossen. Bereits der erste Analysenwert entsprach nicht den Spezifikationen, sondern wies einen höheren TOC-Gehalt von 25 μg·L<sup>–1</sup> auf. Dieser Versuch wurde innerhalb von drei Stunden einige Male wiederholt. In diesem Zeitraum stieg der TOC-Gehalt bis auf mehr als das Dreifache des Anfangswerts (Tabelle).</p><table-wrap>

<label>Table 1</label><h2>Ergebnisse des Versuchs mit dem HPLC-Flaschenwasser bei vier Injektionen pro Messung. (NOPC: Non Purgeable Organic Carbon).</h2><img src="https://media.graphcms.com/Gvv6BoqGQhQ0p7koaa4l">

</table-wrap><p>Die Art und Zahl an Verunreinigungsquellen, deren Einfluss und Auswirkung auf die Spurenanalytik ist unter anderem abhängig von Aufbau, Ausstattung und Analysenparametern eines Labors. Daher ist es notwendig, dass jedes Labor, das solche Reinstwasser-Messungen durchführt, sich über Kohlenstoffquellen Klarheit verschafft. Durch Versuche und Untersuchung der Laborabläufe sind die Verunreinigungsquellen zu identifizieren und zu bewerten. Auf Basis einer Risikoabschätzung sind Maßnahmen zu treffen, die den Kohlenstoffeintrag auf ein vertretbares Maß begrenzen. Nach der EN 1484 soll der Blindwert des Verdünnungswassers bei Messungen von Reinstwasser unter 100 ppb liegen.</p><h2>Verunreinigungsquellen identifizieren</h2><p>Ein einfacher Versuch zeigt, wie groß der TOC-Eintrag aus der Laborluft ist:</p><p>Vier Bechergläser mit je 100 mL bleiben offen in dem Labor stehen, in dem die TOC-Analytik stattfindet. Das Reinstwasser aus einem fünften Becherglas wird direkt für die Messung abgefüllt und angesäuert. Alle zwei Stunden wird eines der vier offenen Bechergläser für die Analytik abgefüllt und angesäuert. Am Arbeitsende werden alle fünf Proben (0 h, 2 h, 4 h, 6 h und 8 h) auf TOC untersucht.</p><p>Neben den Laborbereichen kann es sinnvoll sein, angrenzende Bereiche oder die Außenluft zu untersuchen, um Kontaminationspfade zu finden. Dieser Versuchsaufbau funktioniert analog ohne Ansäuern für leitfähigkeitsaktive anorganische und organische Verbindungen.</p><p>Ein weiterer Versuch, der auch bei gut funktionierendem Laborablauf immer wieder sinnvoll ist, ist die Überprüfung des Laborglassatzes auf TOC-Eintrag:</p><p>Von den Glasgeräten für die TOC-Analytik werden aus dem Laborschrank willkürlich jeweils mindestens zwei entnommen. Von den Pärchen wird jeweils ein Glasgerät gemäß Arbeitsanweisung vorgespült. Das oder die weiteren Glasgeräte werden ohne weitere Vorbereitung verwendet. Für den eigentlichen Versuch werden die Glasgefäße mit Reinstwasser mit bekanntem TOC-Gehalt (Blindwert-Messung) befüllt und mindestens zwei Stunden stehen gelassen. Danach werden die Proben für die TOC-Analytik abgefüllt. Bei kleinen Glasgefäßen wie 10-mL-Messkolben können auch mehrere Glasgefäße gespült werden.</p><p>Bei Probennahmegefäßen oder Lagerbehältnissen für Säuren, Standards oder Spüllösungen ist es sinnvoll, die Standzeit auf die für die Probenahme oder die Analytik übliche Zeit auszudehnen.</p><p>Kunststoffgefäße zu verwenden ist bei der TOC-Spurenanalytik nicht empfehlenswert. Falls diese dennoch im Einsatz sind, lassen sich so Glas und Kunststoff vergleichen.</p><h2>Fazit</h2><p>Versuche zum Eintrag organischer Substanzen in Reinstwasser sind leicht durchführbar und geben Anwendern Anhaltspunkte, inwieweit sich die Arbeitsumgebung auf die Verunreinigung von Reinstwässer auswirkt. Damit ist es möglich, den Kohlenstoffeintrag zu erfassen und zu mindern.</p><p>Arno Bayerl ist Bereichsleiter Reinigungsvalidierung und Hygiene beim Auftragslabor Techpharm in Bruchsal. Sascha Hupach ist Produktspezialist TOC bei Shimadzu Deutschland, Duisburg. <a href="mailto:info@shimadzu.de">info@shimadzu.de</a></p>

Artikel

Der Kohlenstoffgehalt im Reinstwasser

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Bildung & Gesellschaft

<p>Es war der bewegendste Moment des GDCh-Wissenschaftsforums in Berlin. Minutenlang applaudierte das Publikum bei der Eröffnungsveranstaltung Roald Hoffmann, der soeben den neu gestifteten Primo-Levi-Preis erhalten hatte. Die Nachrichten aus der Chemie fragten ihn, was ihn mit Primo Levi verbindet und warum er seine Studenten in der Grundvorlesung Levis Buch „Das Periodische System“ lesen ließ.</p>
<p>Am Tag nach der Eröffnung des Wissenschaftsforums und der Preisverleihung an Roald Hoffmann treffen wir ihn zum Interview. Das startet mit einer Überraschung: GDCh-Ehrenmitglied Hoffmann gibt sich als regelmäßiger Leser der Nachrichten aus der Chemie zu erkennen. Dass er das nicht nur aus Höflichkeit sagt, macht er gleich mit einer kurzen Heftkritik deutlich: Das April-Heft sei für ihn immer ein Spaß und auch die Trendberichte, „ja, die lese ich gerne, sie sind natürlich sehr spezifisch und hängen stark von der Auswahl der Autoren ab“. Da stimmen wir zu und berichten, dass sich manche Autoren mit der Auswahl nicht leicht tun, um niemand Wichtigen vor den Kopf zu stoßen. „Nur Mut,“ meint Roald Hoffmann, „das Risiko soll man eingehen.“</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/v5KaaV4pR6WZbbz0po0o"><figcaption><label>Abb. 1: </label>„Ein Buch, das völlig von Chemie handelt und doch so viel mehr ist.“ Roald Hoffmann über „Das periodische System“ von Primo Levi. <named-content>Fotos: Eliza Leusmann</named-content></figcaption></figure>
<p>Als Wissenschaftler ist Roald Hoffmann, emeritierter Chemieprofessor der Cornell University in Ithaca, New York, wo er ab dem Jahr 1965 lehrte, insbesondere für seine Beiträge zur Theorie der organisch-chemischen Reaktionen bekannt. In den Woodward-Hoffmann-Regeln ist sein Name verewigt; unzählige Preise hat er für seine Forschungen und Entdeckungen erhalten – über allem steht der Chemienobelpreis des Jahres 1981.</p><p>Doch der Preis, den er bei der Eröffnungsveranstaltung des GDCh-Wissenschaftsforums in Berlin entgegennimmt, hat nichts mit seinem wissenschaftlichen Lebenswerk zu tun. Hoffmann erhält als erster den Primo-Levi-Preis. Mit dem im Jahr 2017 neu gestifteten Preis wollen die GDCh und die Società Chimica Italiana künftig Chemiker auszeichnen, die sich in besonderem Maße für die Würde des Menschen und die Menschenrechte einsetzen und damit den Dialog zwischen Chemie und Gesellschaft voranbringen – Roald Hoffmann tut dies insbesondere in seinem literarischen Schaffen.</p><p>Der Preis erinnert an den italienischen Schriftsteller und Chemiker Primo Levi, der als jüdischer Widerstandskämpfer von den Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurde und überlebte (s. Kasten S. 535). Mit seinen später geschriebenen autobiografischen Romanen wurde Levi einer der bedeutendsten Schriftsteller der Holocaustliteratur. Auch seine übrigen Werke behandeln existenzielle Fragen der Menschlichkeit und zudem Levis Selbstverständnis als Chemiker sowie seine Sicht auf diese Wissenschaft.</p><p>Mit seiner Biografie scheint Roald Hoffmann prädestiniert dafür, der erste Primo-Levi-Preisträger zu sein. Hoffmann wurde 1937 im damals polnischen, heute ukrainischen Solotschiw geboren. Sein Vater und fast seine ganze Familie fielen den Mördern des Holocausts zum Opfer. Hoffmann und seine Mutter konnten sich versteckt halten und überlebten den Völkermord.</p><h2>Wer war Primo Levi?</h2><p>Der italienische Chemiker und Schriftsteller Primo Levi (1919 – 1987) gilt aus der Perspektive von Naturwissenschaftlern als einer der bedeutendsten Zeitzeugen der NS-Zeit. Im Jahr 1941 promovierte er in seiner Heimatstadt Turin. 1943 schloss er sich einer Partisanengruppe an, faschistische Milizen nahmen ihn kurz darauf fest. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung brachten sie ihn in ein Konzentrationslager nach Modena. Von dort wurde er 1944 nach Auschwitz ins Arbeitslager Buna/Monowitz deportiert. Er war dort Zwangsarbeiter im Labor für die I.G. Farbenindustrie. Die Rote Armee befreite ihn am 27. Januar 1945. In seinen Werken „Ist das ein Mensch“ (1947) und „Das periodische System“ (1975) berichtet er unter anderem über seine Zeit in Gefangenschaft. Die Royal Institution of Great Britain kürte „Das periodische System“ im Jahr 2006 zum „besten populärwissenschaftlichen Buch aller Zeiten“.</p><p>Bis 1977 arbeitete Levi hauptberuflich als Chemiker. Am 11. April 1987 beging er in Turin Suizid (s. auch „Das ist ein Mensch“, Nachr. Chem. 2013, 61, 129).</p><p>Im Jahr 2016 stifteten die GDCh und die Società Chimica Italiana zum Gedenken an den italienischen Chemiker den Primo-Levi-Preis. Mit diesem Preis sollen Chemiker und chemienahe Wissenschaftler geehrt werden, die sich über ihr Fach hinaus in besonderer Weise für humanitäre Ziele einsetzen. Der Preis wurde zum ersten Mal beim GDCh-Wissenschaftsforum Chemie am 10. September 2017 in Berlin verliehen.</p><h2>Ethisches Handeln als Antwort auf Barbarei</h2><p>Wie entsteht ethisches Handeln? Dies ist eine der Grundfragen, mit der sich Hoffmann auseinandersetzt. Auch für die Wissenschaft fordert er hohe moralische Standards. Doch er beschränkt sein schriftstellerisches Schaffen nicht auf Essays in Fachzeitschriften, zu seinem Werk gehören auch Dramen und Dichtung.</p><p>Der Philosoph Theodor W. Adorno provozierte einst mit dem Satz: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“. Doch Hoffmann widerspricht: „Adorno lag falsch. Die Barbarei hat die Menschlichkeit nicht besiegt. Der Holocaust erschüttert durch die gewaltige Dimension des Verbrechens – aber die Fähigkeit des Menschen, kreativ zu sein, zu helfen und zu heilen scheint unendlich groß. Das Gute: Das heißt ethisch handeln, freundlich zu seinen Eltern und Kindern sein – und gute Gedichte schreiben und gute Wissenschaft machen.“</p><p>Für Hoffmann ist Literatur ein Weg, Wahrheit auszudrücken – „auf eine andere Art und Weise, als es die Naturwissenschaft tut“. Beispielsweise in seinem Theaterstück „Something that belongs to you“. Obwohl es autobiografische Züge hat, betont Hoffmann den universellen Charakter des Stücks: „Es geht darum, wie sich Menschen in schrecklichen Zeiten für das Gute oder das Böse entscheiden können.“</p><p>Eine Entscheidung für das Gute war das Offenhalten der deutschen Grenzen in der großen Flüchtlingskrise des Jahres 2015 – dies betonte Hoffmann bei seiner Rede am Vorabend ausdrücklich. „Wenn man sich nicht gegen Flüchtlinge abschottet, trifft man eine Wahl für das Gute.“ Es war ihm wichtig, auf diese ethische Dimension hinzuweisen, auch wenn er meint: „Selbstverständlich ist es ein Risiko für einen Naturwissenschaftler, über ein soziales und politisches Thema zu sprechen. Über solche Themen können intelligente Leute durchaus verschiedene Ansichten haben.“</p><p>Zu Anfang des Gesprächs trägt Roald Hoffmann gut sichtbar seinen Pass in der Brusttasche seines Hemds. „Gewohnheit“, meint er, und nicht späte Nachwirkungen seiner eigenen Erfahrungen als Flüchtling. Nach dem Ende der Nazidiktatur lebte Roald Hoffmann mit seiner Mutter in Flüchtlingscamps, im Jahr 1949 emigrierten sie schließlich in die USA. Ironie des Schicksals: Von den Lagern für die Überlebenden des Holocausts, mehrere Tausend jüdische Menschen, die das überstandene Grauen in Europa hinter sich lassen wollten, befanden sich einige in Deutschland. Hoffmann erinnert sich gleichwohl an eine schöne Zeit: „Diese Lager waren nicht so wie heutige Lager für syrische Flüchtlinge in Griechenland beispielsweise, es waren meist Kasernengebäude, die umfunktioniert wurden. Nach den schrecklichen Kriegsjahren waren die Menschen einfach froh, am Leben zu sein. Es gab zu essen und es war alles so lebhaft, die Leute hatten viel nachzuholen.“ In den letzten Monaten, bevor Hoffmann mit seiner Mutter nach Amerika ging, lebten sie dann in einer kleinen Wohnung in München. „Ich fuhr Schlitten beim Maximilianeum und lieh mir aus der Bücherei Karl-May-Bücher aus.“</p><p>Fühlt er sich – drei Generationen, nachdem Deutschland der Barbarei verfallen war – als Sieger der Geschichte? Das sind nicht die Kategorien, in denen Hoffmann denkt. Er macht klar: „Anders als manche Holocaust-Überlebende habe ich keine Probleme mit Deutschland. Ich bin nicht darüber hinweg, und es ist nichts vergessen.“ Doch es gehe nicht um Schuldzuweisung, die nachfolgenden Generationen seien nicht verantwortlich für die Verbrechen. Wenn Hoffmann an Deutsche denke, so sagt er, „dann habe ich meine Postdocs vor Augen, 22 wunderbare junge Menschen.“ Hoffmann glaubt, dass sich in Deutschland die Verbrechen der Nazis nicht wiederholen können, „denn das Wissen um den Holocaust wird in Deutschland sehr gut in den Schulen gelehrt, und die Verantwortung wird klar übernommen. In Deutschland versteht man, dass der Holocaust nicht vergessen werden darf.“</p><h2>Primo Levi – Literatur für Chemiker</h2><p>Roald Hoffmann setzte als Professor an der Cornell University das Buch „Das periodische System“ von Primo Levi als Lehrbuch in der Grundvorlesung Chemie ein. Dieses Buch empfiehlt er allen, die Primo Levi noch nicht kennen, als Einstieg in sein Werk. Dass aber Schmeichelei Hoffmanns Sache nicht ist, zeigt seine Werkkritik: Der Einstieg beim „Periodischen System“ sei nicht so gut gelungen, sondern schwer zu lesen. „Richtig los geht es erst mit dem zweiten Kapitel, dem Wasserstoff.“</p><p>Dass nicht alle einen einfachen Zugang zur Literatur finden, merkte Hoffmann an seinen Studenten. Als er zum ersten Mal „Das periodische System“ in der Vorlesung einsetzen wollte, hatte er alle 1000 Studenten aus dem Kurs verpflichtet, das Buch zu kaufen. „Aber ich merkte schnell, dass viele damit nicht zurechtkamen.“ In den nächsten beiden Jahren – Hoffmann hielt den Kurs insgesamt drei Jahre – lehrt er anhand des Buchs dann auf Freiwilligenbasis. „Es gab drei Zusatzstunden, in denen wir aus dem Buch lasen und diskutierten. Es kamen da zwar nur etwa 100 Studenten, aber die waren ernsthaft und mit Begeisterung bei der Sache.“</p><p>Als nächstes empfiehlt Hoffmann Levi-Neulesern die beiden autobiografischen Holocaust-Bücher: „Ist das ein Mensch?“ („Se questo è un uomo?“) und „Die Atempause“ („La Tregua“). Für Chemiker als besonders gewinnbringend schätzt er die Erzählung „Der Ringschlüssel“ („La chiave a stella“) ein. Es geht darin um eine Unterhaltung zwischen einem Monteur und einem Architekten. Für Hoffmann ist das Buch deshalb besonders interessant, „weil Levi darin in wunderbaren Analogien beschreibt, was ein synthetischer Chemiker tut und wie.“</p><p>Roald Hoffmann hat Primo Levi nie getroffen, was er bedauert: „Ich hätte ihn gerne kennengelernt, aber es hat nicht sein sollen.“ Dafür ist wohl auch die Tatsache verantwortlich, dass sich die wissenschaftliche Welt lange schwer getan hat mit Primo Levi, dessen Werk sich zwischen existenzieller Literatur und populärwissenschaftlicher Leichtigkeit nur schwer einordnen ließ. Seine Bücher wurden zudem spät ins Englische übersetzt, was Hoffmann insbesondere beim „Periodischen System“ schade findet. Dieses erschien erst 1984 auf Englisch, also neun Jahre nach der Erstveröffentlichung und drei Jahre vor Levis Tod: „Ich wünschte, die italienischen Kollegen hätten uns früher erzählt, was für einen Schatz Primo Levi uns da geschrieben hat – ein Buch, das völlig von Chemie handelt und doch so viel mehr ist.“</p><p>Besonders eines hält Hoffmann für wichtig: „Primo Levi ist sich – so schreibt er – gewahr, dass er nicht das ist, was man einen ‚großen‘ Chemiker nennt. Er ist keine Heldengestalt der Chemiegeschichte, sondern ein einfacher Industriechemiker, der in einer Fabrik arbeitet. Aber „Das periodische System“ und fast mehr noch „Der Ringschlüssel“ können in fantastischer Sprache und Bildern Chemikern und Nichtchemikern einen neuen Blick auf unsere Wissenschaft lehren.“</p><p>Mit dem ersten Primo-Levi-Preisträger Roald Hoffmann sprach Nachrichten-Chefredakteur Christian Remenyi auf dem GDCh-Jubiläumswissenschaftsforum in Berlin. Das beim gleichen Anlass entstandene Video „Why diversity is important“ ist zu sehen auf Chemistry Views: <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://doi.org/10.1002/chemv.201800022" target="_blank">https://doi.org/10.1002/chemv.201800022</a></ext-link></p>

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