Magazin

<h2>Der Pionier: US News &amp; World Report ”Best Colleges“</h2>
USA, seit 1983. Der US News &amp; World Report ”Best Colleges“ wendet sich vor allem an Studierwillige und deren Angehörige und hat folgenden Kriteriensatz (2009): 25 % Einstufung durch Hochschuladministratoren, 20 % bis 25 % Bindung der Studierenden (Rückmeldungen im zweiten Jahr und Studienabschlüsse innerhalb von sechs Jahren im Verhältnis 1:4), 20 % Lehrkörper-Eigenschaften, 15 % Selektivität in der Zulassung, 10 % finanzielle Ressourcen, 5 % ”Alumni Giving Rate“. Seit der Erstpublikation differenzierte sich der Report stark. Er macht ausführliche Angaben zur Methode, methodische Veränderungen folgen einer kritischen Leserdiskussion. Lesenswert ist dazu der Aufsatz von Wendy Nelson Espeland und Michael Sauder: ”Rankings and Reactivity. How Public Measures Recreate Social Worlds“.1
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://colleges.usnews.rankingsandreviews.com" target="_blank">http://colleges.usnews.rankingsandreviews.com</a></ext-link>


<h2>Für Studierwillige und Angehörige: The Good University Guide</h2>
Großbritannien, seit 1993, zuerst von The Times, mehrere Nachahmer (u. a. Guardian, Daily Telegraph). The Good University Guide wendet sich an Studierwillige und Angehörige und bewertet u. a. Zufriedenheit der Studierenden, Forschungsqualität, Betreuungsrelation, Ausgaben für ”Dienstleistungen und Einrichtungen“, Zulassungsstandards, Abschlussrate, Notenspiegel und Berufsaussichten der Absolventen für 114 Institutionen (Stand 2009). Er präsentiert ausführliche Tabellen geordnet nach Fächern, es gibt eine Internetversion für interaktive Auswahl, zudem erscheint er als Buch.
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://extras.timesonline.co.uk/tol_gug/gooduniversityguide.php" target="_blank">http://extras.timesonline.co.uk/tol_gug/gooduniversityguide.php</a></ext-link>


<h2>Der ”Weltklasse“-Sucher: Academic Ranking of World Universities</h2>
China, seit 2003. Die weltweite Rangliste hat den Adressatenkreis: Hochschulleitungen und Hochschulpolitiker. Das Academic Ranking of World Universities (Arwu) entstand im Rahmen des Projekts 985 der chinesischen Regierung auf der Suche nach Kriterien für ”Weltklasse-Universitäten“. Der Erfinder, Liu Nian Cai, war ursprünglich Professor für Chemie an der Shanghai Jiaotong Universität; er leitet seit 1999 das dortige Institut für Hochschulforschung. Der Indikatorensatz setzt sich zusammen aus Nobelpreisen und vergleichbaren Auszeichnungen (etwa der Fields Medal für Mathematiker) für Absolventen und für Mitglieder der Universität, aus der Anzahl häufig zitierter Forscher, die dort arbeiten, und verschiedenen Daten über Veröffentlichungen (Jahrgang 2009 zu gleichen Teilen Publikationen in Zeitschriften, die vom ISI (Thomson Reuters) ausgewertet werden, und den 20 % meistzitierten Zeitschriften aus diesem Datensatz.
Arwu verwendet keine Umfragedaten und benutzt nur öffentlich zugängliche Quellen (einschließlich der Zeitschriften- und Zitationen-Datenbanken von Thomson Reuters).
Bei der Erstveröffentlichung im Juli 2003 enthielt das ARWU Ranglisten für 500 Universitäten, seitdem wurde es erweitert um Listen nach Wissenschaftsgebieten (ARWU-Field) und seit 2009 nach Fächern (ARWU Subject, bisher Mathematik, Physik, Chemie, Informatik, Wirtschaft). Das Ranking erfuhr großes Echo in der Fachöffentlichkeit. Lesenswert ist dazu ”Fatal Attraction. Conceptual and methodological problems in the ranking of universities by bibliometric methods“ von Anthony F. J. van Raan.2 Neben den Erweiterungen des Auswerteprogramms gab es von Jahr zu Jahr methodische Veränderungen. Im öffentlich zugänglichen Bereich der Internetseite steht nur die Methode des jeweiligen Jahres.
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.arwu.org" target="_blank">www.arwu.org</a></ext-link>


<h2>Vor allem Umfragen: THE University Rankings</h2>
Großbritannien, seit 2004, weltweite Ranglisten. Times Higher Education (THE), damals noch das Times Higher Education Supplement, tat sich für seine Rangliste mit Quacquarelli Symonds zusammen, einem mittelständischen Internet-Unternehmen, das auf Beratung und Vernetzung von Studierenden und Absolventen von Hochschulen spezialisiert ist.
Die World University Rankings haben einen gemischten Kriteriensatz aus gewichteten Indikatoren. Im Jahr 2009 gehörten dazu: je 20 % Zitate der Publikationen aus der Einrichtung pro Mitarbeiter und Betreuungsrelation (Studierende pro Mitarbeiter), je 5 % für den Anteil ausländischer Mitarbeiter und Studierender, 50 % für Umfrageergebnisse bei etwa 10 000 Akademikern (40 Prozentpunkte) und 3 000 Arbeitgebern (10 Prozentpunkte) weltweit. Die Antworten blieben bis zu drei Jahre in der Auswertung. Es gab von Anfang an eine Auswertung nach Fachgebieten — fast ausschließlich auf Grundlage der Umfrageergebnisse.
Angaben zur Methodologie werden jährlich bei Erscheinen neu veröffentlicht. Nach kleineren methodischen Veränderungen in den ersten fünf Jahren will sich Times Higher Education mit Wirkung für 2010 von Quacquarelli Symonds trennen und stattdessen mit Thomson Reuters zusammenarbeiten.
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.timeshighereducation.co.uk" target="_blank">www.timeshighereducation.co.uk</a></ext-link>


<h2>Fakten und Meinungen: Hochschulranking des CHE</h2>
 Erhebungsgebiet: Deutschland (z. T. mit Schweiz und Österreich), seit 1998. Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), 1994 von der Bertelsmann-Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz gegründet, wendet sich an unterschiedliche Adressatenkreise von Studierenden bis zu Hochschulleitungen und wissenschaftspolitisch Interessierten. Es liegt inzwischen für 32 Fächer vor.
Das Ranking erhebt einen breiten Datensatz von Fakten (z. B. Finanzierung, Ausstattung) und Meinungen (z. B. Einschätzungen der Qualität von Lehrveranstaltungen) bei den Hochschulen und bei Einzelpersonen. Über die Methodologie gibt das CHE umfassend Auskunft. Es empfiehlt die Nutzung seines Hochschulrankings (das es auch als Studienführer in Buchformat gibt) über das Internet, weil so die Möglichkeit besteht, sich seine eigenen Rankings nach den Kriterien wiedergeben zu lassen, die man am wichtigsten findet. In jüngerer Zeit versucht das CHE einen Einstieg in eine europäische Berichterstattung in einzelnen Fächern mit einem ”Excellence Ranking“ und dem gemeinsam mit Organisationen in Belgien und Holland vorgelegten Angebot für ein EU-weites Ranking-System.
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.che-ranking.de" target="_blank">www.che-ranking.de</a></ext-link>
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://ranking.zeit.de/che10/CHE" target="_blank">http://ranking.zeit.de/che10/CHE</a></ext-link>


<h2>Schwerpunkt Forschungsförderung: DFG-Förderranking</h2>
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat jahrzehntelang aus prinzipiellen Erwägungen keine nach Orten oder Institutionen gegliederte Förderstatistik veröffentlicht. Auf Bitten von Mitgliedsuniversitäten veröffentlichte sie im Jahr 1997 gemeinsam mit der Hochschulrektorenkonferenz erstmals einen Bericht über ihre Bewilligungen und hat ihn seitdem mehrmals, jeweils mit einem erweiterten Datenangebot und erweiterten Auswertungsmodellen fortgeschrieben. Die Veröffentlichung erschien 2009 zum fünften Mal.
Anders als das CHE-Hochschulranking legt die DFG den Schwerpunkt auf Daten zur Forschungsförderung und verwendet nur Daten der jeweiligen Mittelgeber sowie der amtlichen Statistik; von Anfang an enthielten die Berichte auch Ranglisten.
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.dfg.de/dfg_profil/evaluation_statistik/ranking/ranking_2009/index.html" target="_blank">www.dfg.de/dfg_profil/evaluation_statistik/ranking/ranking_2009/index.html</a></ext-link>


<h2>Ranglisten vermeiden: Forschungsrating des Wissenschaftsrates</h2>
”Bund und Länder haben den Wissenschaftsrat im Mai 2003 gebeten, ein Konzept für ein Ranking zu entwickeln“, heißt es in den Ende 2004 erschienenen ”Empfehlungen zu Rankings im Wissenschaftssystem. Teil I: Forschung“. Entsprechend diesen Empfehlungen hat der Wissenschaftsrat dann zunächst an zwei sehr unterschiedlichen Fächern, der Soziologie und der Chemie, in einer Pilotstudie die von ihm entwickelte Methode erprobt und die daraus entstandenen ”Ratings“ im Dezember 2007 (Chemie) und im April 2008 (Soziologie) veröffentlicht. Die Studie vermeidet Ranglisten und begründet im Methodenteil die für jedes der beiden Fächer unterschiedliche Vorgehensweise. Wer sich über die Möglichkeiten und Grenzen indikatorengestützter Forschungsbewertung zuverlässig informieren will, findet in Deutschland augenblicklich keine bessere Grundlage.
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.wissenschaftsrat.de/texte/pilot_ergeb_chemie.pdf" target="_blank">www.wissenschaftsrat.de/texte/pilot_ergeb_chemie.pdf</a></ext-link>
Christoph Schneider ist Berater für Wissenschaftsverwaltung in Bonn. Von 1973 bis 1983 war der promovierte Altertumswissenschaftler Planungsreferent der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), von 1987 bis 2005 leitete er die DFG-Abteilung ”Fachliche Angelegenheiten“, zwischenzeitlich arbeitete er für den Wissenschaftsrat.



<ul>
<li>
1 

 
W. N. Espeland, 
M. Sauder, 
<source>American Journal of Sociology 
(2007), 
113, 
1–<lpage>40.</lpage>
</li>
<li>
2 

 
A. F. J. van Raan, 
<source>Scientometrics 
(2005), 
62, 
133–<lpage>143.</lpage>
</li>
</ul>

Artikel

Das Ranking der Rankings

Der Pionier: US News & World Report ”Best Colleges“ USA, seit 1983. Der US News & World Report ”Best Colleges“ wendet sich vor allem an Studierwillige und deren Angehörige und hat folgenden Kriteriensatz (2009): 25 % Einstufung durch Hochschuladministratoren, 20 % bis 25 % Bindung der Studierende...

Am 16. August 1809 wurde auf Initiative Wilhelm von Humboldts (1767—1835) die Alma Mater Berolinensis gegründet, im Folgejahr nahm sie ihren Betrieb auf. Von 1828 bis 1946 trug sie den Namen Friedrich-Wilhelms-Universität, seit 1949 heißt sie Humboldt-Universität. Sie ist heute die älteste und mit mehr als 35 000 Studenten (inklusive der Charité), über 1 600 wissenschaftlichen Angestellten und 384 Professuren nach der Freien Universität die zweitgrößte der Berliner Hochschulen.1 Seit ihrer Gründung hat auch die Chemie ihren festen Platz im Spektrum der universitären Fächer.


<h2>Analytische Chemie</h2>
”Die moderne Chemie hat sich mit Hilfe der Analyse entwickelt, allen ihren wichtigeren Ergebnissen ging ein Fortschritt der chemischen Analyse voraus.“ 2)
Mit dem Paradigmenwechsel von der Phlogistontheorie zur Oxidationstheorie waren zur Gründungszeit der Berliner Universität die Voraussetzungen für die Entwicklung der quantitativen analytischen Chemie gegeben. Doch nur wenige Forscher beherrschten die notwendige Meisterschaft der ”Scheidekunst“. Der Berliner Apotheker und Chemiker Martin Heinrich Klaproth (1743—1817) gehörte durch seine hohe Experimentierkunst und methodisch exakte Arbeitsweise zu den Begründern der Analytik. Er wurde durch seine etwa 300 Mineralanalysen und die große Zahl der von ihm entdeckten chemischen Elemente (U, Zr, Ti, Te, Sr, Cr, Be und Ce) berühmt. Außerdem war er der erste Gelehrte, der im Jahr 1795 eine archäometrische Arbeit vorlegte. Seine Arbeiten trugen zusammen mit Fortschritten der Oxidationslehre, der Nomenklatur und Stöchiometrie maßgeblich dazu bei, den Rang der Chemie als exakte Wissenschaft zu festigen.
Das trifft auch auf die Arbeiten seiner Nachfolger Eilhard Mitscherlich (1794—1863) und Heinrich Rose (1795—1864) zu. Durch die Konstruktion von analytischen Messgeräten — darunter ein Repetitionsgoniometer für kristallographische Präzisionsmessungen (1827), eine Apparatur zur Dampfdichtebestimmung (1833) und ein Saccharimeter (1844) — wurde Mitscherlich zu einem frühen Wegbereiter der instrumentellen Analytik. Nachhaltigen Einfluss hatte sein zweibändiges ”Lehrbuch der Chemie“,3) das als eines der ersten modernen deutschen Chemielehrbücher gilt.
Heinrich Rose, eine anerkannte Kapazität in der Analytik, befasste sich besonders mit quantitativen Analysen anorganischer Spezies, über die er in außerordentlicher Fülle publizierte. Im Jahr 1844 entdeckte er das Element Niob. In seinem ”Handbuch der analytischen Chemie“4) beschreibt er den systematischen Gang für qualitative und quantitative Analysen mit den damals modernsten Methoden. Da es wegen seiner Ausführlichkeit als Lehrbuch für Studenten weniger geeignet war, veröffentlichten danach die damaligen Privatdozenten an der Berliner Universität Carl Friedrich Rammelsberg (1813—1899) und Franz Leopold Sonnenschein (1817—1879) für Anfänger gedachte Lehrbücher,5,6) die zugleich die Systematik des Trennungsganges weiterentwickelten.
Bedeutende innovative Leistungen zur Analytik kamen auch aus den Instituten der Berliner Ordinarien August Wilhelm von Hofmann (1818—1892) und Emil Fischer (1852—1919). Hier ging es um die Trennung, Reinigung und Strukturaufklärung organischer Verbindungen. Fischer demonstrierte, dass Analyse und Synthese untrennbare Bestandteile der (organischen) Chemie sind. Er entwickelte das Konzept der Molekülstruktur weiter, indem er die Konstitution und Konfiguration von Naturstoffen bestimmte und Projektionsformeln für die graphische Darstellung der Konfiguration einführte (Fischer-Projektion). Dem damaligen Zeitgeist entsprechend galt für ihn die Analytik als unverzichtbares Werkzeug jeder chemischen Tätigkeit, hingegen hielt er nichts von der Spektroskopie.
Das Niveau der chemischen Analytik blieb an der Berliner Universität bis in die 1930er Jahre hoch; die Kriegs- und Nachkriegszeit brachte die analytische Chemie dann fast zum Erliegen. Beginnend mit den 1950er Jahren spezialisierte sich weltweit die Analytik. Es entstanden die modernen analytischen Methoden zur Strukturaufklärung und instrumentellen Analytik, Spurenanalytik, Sensorik sowie Oberflächen-, Umwelt- und Festkörperanalytik. Dabei führen die Spuren in einigen Fällen auf Lehrer der Berliner Universität zurück. Beispiele sind Erika Cremer (1900—1996) und Josef Mattauch (1895—1976). Erika Cremer wurde im Jahr 1927 bei Max Bodenstein promoviert, 1944 entwickelte sie in Innsbruck die Adsorptionsgaschromatographie. Mattauch, ab 1939 am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie und seit 1940 auch als außerordentlicher Professor an der Universität in Berlin tätig, trug wesentlich zur Entwicklung der modernen Massenspektroskopie bei (Mattauchsche Isobarenregel).


<h2>Organische Chemie</h2>
Die organische Chemie befand sich im Gründungsjahr der Friedrich-Wilhelms-Universität noch in statu nascendi. Erst im Jahr 1808 hatte Jöns Jakob Berzelius (1779— 1848) den Begriff ”organische Chemie“ für den Teil der Chemie eingeführt, der sich mit dem inneren Bau von Lebewesen und mit deren Leben verbundenen chemischen Prozessen befasst. Nur wenige, aus Naturstoffen isolierte organische Verbindungen waren bekannt. Von 1800 bis 1910 stieg deren Zahl von weniger als 500 auf über 150 000. Möglich machten dies vor allem die Synthese neuer organischer Verbindungen seit den 1830er Jahren und die zunehmende theoretische Durchdringung des neuen Gebietes der Chemie.7
Die Ordinarien für Chemie waren in der Anfangszeit der Universität zumeist in der ganzen Breite der Chemie tätig. Erst Eilhard Mitscherlich leistete auch bedeutende Beiträge zur organischen Chemie.8 Hierzu zählen die Darstellungen von Benzen durch trockene Destillation von Calciumbenzoat und von Nitrobenzen durch Umsetzung von Benzen mit rauchender Salpetersäure. 1834 erklärte er die Funktion der Schwefelsäure bei der Etherbildung als die eines wasserentziehenden ”Kontaktes“. Bei der Besprechung der Arbeiten Mitscherlichs hat Berzelius 1835 die Begriffe ”katalytische Kraft“ und ”Katalyse“ eingeführt.
Unter August Wilhelm von Hofmann begann die große Zeit der organischen Chemie in Berlin.9 Zu seinen intensiv bearbeiteten Gebieten zählen die Chemie der Amine, Isonitrile und Senföle sowie die Synthese zahlreicher Triphenylmethanfarbstoffe. Den Rahmen für Hofmanns äußerst erfolgreiche Tätigkeit bildeten das 1869 eröffnete Chemische Institut, die beginnende Etablierung einer organisch-chemischen Industrie und viele von Hofmann initiierte wissenschaftsorganisatorische Aktivitäten, darunter die Gründung der Deutschen Chemischen Gesellschaft (1867).
Die von Hofmann eingeleitete große Berliner Ära der organischen Chemie führte Emil Fischer weiter.10 Fischer bearbeitete in Berlin große Teilgebiete der Naturstoffchemie, wie Kohlenhydrate, Aminosäuren, Polypeptide und Gerbsäuren. Unter ihm wurde 1900 anstelle des alten das damals in der Welt modernste Chemische Institut mit 250 Arbeitsplätzen eröffnet. Es entstand eine wissenschaftliche Schule der organischen Chemie mit weltweiter Ausstrahlung. Fischers Berliner Institut war ein Weltzentrum der Naturstoffchemie mit Orientierung auf biochemisch relevante Themen.
Fischer erhielt 1902 für seine Arbeiten zu Zucker- und Purinsynthesen den Nobelpreis — den ersten Nobelpreis für Leistungen in der organischen Chemie.
Nach Fischers Tod im Jahr 1919 wurde dessen langjähriger Abteilungsvorsteher der anorganischen Chemie, Siegmund Gabriel (1851— 1924), kommissarischer Direktor des Instituts. Er hat eine Reihe grundlegender Synthesen für N-Heterocyclen entwickelt, die seinen Namen tragen.11 
Von 1921 bis 1935 leitete Wilhelm Schlenk (1879—1943) das Institut.12 Er brachte neue zukunftsträchtige Arbeitsgebiete ein, darunter die Chemie freier Radikale und metallorganischer Verbindungen.
Nachdem Schlenk seinen Berliner Lehrstuhl im Jahr 1935 wegen seiner aufrechten Haltung gegenüber dem NS-Regime aufgeben musste, wurde Hermann Leuchs (1879 — 1945) kommissarischer Institutsdirektor. Seine Arbeiten standen in der Tradition von Fischer, unter dem er 1902 ins Institut eingetreten war. Neben synthetisch-methodischen Arbeiten zu Polypeptiden befasste er sich mit den Strychnos-Alkaloiden.
Als Leuchs 1942 in den Ruhestand ging, folgte kriegsbedingt eine Zeit des Niedergangs. Das Chemische Institut in der Hessischen Straße wurde durch Luftangriffe im Februar und März 1945 fast vollständig zerstört. Beim Neuanfang 1946 unter dem Anorganiker Erich Thilo (1898—1977) galt es zunächst, den Unterricht wieder zu beleben. Erst als im Jahr 1951 ein anorganisch- und ein organisch-chemisches Institut gegründet wurden, konnte sich die organische Chemie erneut entwickeln.13


<h2>Physikalische Chemie 14)</h2>
”Die physikalische Chemie …  verfolgt die Einwirkungen, welche physikalische Eigenschaften erleiden, wenn in den Molecülen zusammengesetzter Substanzen die Art, Zahl und Verbindungsweise der Atome sich ändert“,15) hatte Hans Landolt (1831—1910)16) definiert und festgestellt, dass Eilhard Mitscherlich diesen ihn zur Entdeckung der Isomorphie führenden Gesichtspunkt 1819 ”zuerst festgehalten“ hat. Somit war ein Begründer der physikalischen Chemie an der Berliner Universität tätig.
Aber erst mit der Berufung Landolts im Jahr 1891 auf den ersten Berliner Lehrstuhl für dieses Fach war die Disziplin physikalische Chemie an der Berliner Universität wirklich etabliert.14 Damit wurde ein Institut geschaffen, wie es damals in Deutschland nur ein zweites gab, jenes von Wilhelm Ostwald (1853—1932) in Leipzig. Landolt war bereits im Jahr 1880 als Gründungsrektor der Landwirtschaftlichen Hochschule nach Berlin gekommen. Sein bevorzugtes Arbeitsgebiet betraf die Verbindung von organischer Chemie und Optik. Ab 1883 gab er zusammen mit Richard Börnstein (1852—1913) die ”Physikalisch-chemischen Tabellen“ heraus, aus denen sich das LB-Nachschlagewerk entwickelte. Ab 1890 bis zu seinem Tod arbeitete Landolt erfolgreich an dem Grundlagenproblem der Masseerhaltung bei chemischen Reaktionen.
Zum Nachfolger Landolts wurde im Jahr 1905 der bereits international anerkannte Göttinger Gelehrte Walther Nernst (1864—1941) berufen.17) Zusammen mit Jacobus Henricus van't Hoff (1852—1911), Wilhelm Ostwald und Svante Arrhenius (1859—1927) zählt er zu den Vollendern der klassischen physikalischen Chemie. Am Berliner Physikalisch-chemischen Institut erreichte er den Gipfel seiner Bedeutung und seines Wirkens. Geprägt ist diese Periode durch Nernsts Entdeckung des Dritten Hauptsatzes der Thermodynamik und dessen experimentelle und theoretische Fundierung. Die hierbei erhaltenen Resultate waren überaus wertvoll für die Behandlung chemischer Gleichgewichte, die Tieftemperaturphysik und die Quantentheorie.18 Für den diesbezüglichen thermochemischen Beitrag wurde Nernst mit dem Chemie-Nobelpreis von 1920 geehrt. Aus der Berliner Nernst-Schule ging Arnold Eucken (1884—1950) hervor. Er stellte im Jahr 1930 neben die physikalische Chemie eine neue Fachrichtung: die chemische Physik.
Unter Max Bodenstein,19) der bereits in den Jahren 1906 bis 1908 Abteilungsvorsteher bei Nernst gewesen war, wurde am Berliner Institut die chemische Kinetik, zu deren Mitbegründern Bodenstein zählt, Forschungsschwerpunkt. Die Arbeiten Bodensteins dieser Zeit wurzelten in seinen richtungweisenden Beiträgen zur insbesondere die katalysierten und photochemischen Gasreaktionen betreffenden chemische Kinetik und Photochemie. Das nach Bodenstein benannte Prinzip des quasistationären Zustands (1927) ist eine theoretische Leistung aus Berlin. Zu erwähnen sind auch Bodensteins Untersuchungen zu den chemischen Grundlagen der Photographie.
Wie bereits Schlenk musste auch Bodenstein 1936 wegen fehlender Systemtreue aus dem Ordinariat ausscheiden, an seiner Stelle wurde der Nernst-Schüler Paul Günther (1892—1969) als Institutsleiter eingesetzt. Er war ein Pionier der Strahlenchemie. Dieses Gebiet, insbesondere die chemischen Wirkungen von Röntgenstrahlen, bearbeitete er am Berliner Institut seit dem Ende der 1920er Jahre bis etwa 1942 und legte Arbeiten mit höchster theoretischer und praktischer Bedeutung vor. Weiterhin beschäftigte er sich mit thermodynamischen Fragen und mit Röntgenspektralanalyse. Während des Krieges musste das Institut auch für die ”Abteilung Abwehr“ der Wehrmacht (Spionageabwehr etc.) apparative Entwicklungsarbeiten ausführen.
Im Jahr 1946 nahm Günther einen Ruf nach Karlsruhe an. Von den nachfolgenden Institutsdirektoren seien Karl Friedrich Bonhoeffer (1899—1957, Direktor 1946—1948, Elektrochemie, Membranpotentiale, Leitungsmechanismen in Nerven), Robert Havemann (1910—1982, Direktor 1950—1964, Protein-, Magneto-, Photochemie) und Rolf Landsberg (1920—2003, Direktor 1964—1968, Elektrochemie) genannt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich an der Humboldt-Universität anfangs noch Traditionen und Strukturen der Vergangenheit erhalten. Im Jahr 1968 wurden diese durch die 3. Hochschulreform der DDR zerstört und haben ihre klassische Form nicht wieder erreicht. Mit der Ansiedlung der Naturwissenschaften im neu errichteten Berliner ”Campus Adlershof“ (Institut für Chemie im Jahr 2001) sind heute jene Voraussetzungen vorhanden, um mutatis mutandis die Traditionen der Humboldt-Universität in Lehre und Forschung fortzusetzen.


— — — Hans-Georg Bartel, Jahrgang 1943, ist seit dem Jahr 1988 Dozent und seit 1999 Privatdozent für physikalische und theoretische Chemie an Humboldt-Universität zu Berlin. Neben der theoretischen Chemie zählen Archäometrie, Chemometrie und Wissenschaftsgeschichte sowie Ägyptologie zu seinen Forschungsgebieten. Adolf Zschunke wurde im Jahr 1984 Professor für analytische Chemie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 1993 bis 2002 leitete er die Abteilung ”Analytische Chemie — Referenzmaterialien“ an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung. Horst Remane, Jahrgang 1941, ist Chemiker und Wissenschaftshistoriker. Vom Jahr 1987 an war er Hochschuldozent für Geschichte der Naturwissenschaften/Chemie und von 2004 an außerplanmäßiger Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.



<ul>
<li>
1 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.hu-berlin.de/ueberblick/zahlen/" target="_blank">www.hu-berlin.de/ueberblick/zahlen/</a></ext-link>( Stand: 30.1.2010)
</li>
<li>
2 


F. Szabadvαry: 
<source>Geschichte der analytischen Chemie, <publisher-name>Akadémiai Kiadó</publisher-name>, <publisher-loc>Budapest</publisher-loc> 1966, 5.

</li>
<li>
3 


E. Mitscherlich: 
<source>Lehrbuch der Chemie. <publisher-name>Mittler</publisher-name>, <publisher-loc>Berlin</publisher-loc> 1834.

</li>
<li>
4 


H. Rose: 
<source>Handbuch der analytischen Chemie. <publisher-name>Mittler</publisher-name>, <publisher-loc>Berlin</publisher-loc> 1829.

</li>
<li>
5 


C. F. Rammelsberg: 
<source>Leitfaden für die qualitative chemische Analyse, mit besonderer Rücksicht auf Heinrich Rose's ausführliches Handbuch der analytischen Chemie (IV. Auflage), für Anfänger bearbeitet. <publisher-name>Lüderitz</publisher-name>, <publisher-loc>Berlin</publisher-loc> 1843.

</li>
<li>
6 


F. L. Sonnenschein: 
<source>Anleitung zur chemischen Analyse für Anfänger. <publisher-name>Moeser &amp; Kühn</publisher-name>, <publisher-loc>Berlin</publisher-loc> 1852.

</li>
<li>
7 

 
E. Fischer, 
Das chemische Institut. In: <source>Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin [Hrsg.: M. Lenz], Band III, 
<publisher-name>Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses</publisher-name>, <publisher-loc>Halle/S.</publisher-loc>, 1910, 296–<lpage>306</lpage>; 

 
F. Herneck: 
<source>Z. Chem. 
(1976), 
16, 
209–<lpage>214.</lpage>
</li>
<li>
8 


G. Bugge (Hrsg.): 
<source>Das Buch der großen Chemiker. Erster Band: Von Zosimos bis Schönbein. <publisher-name>Verlag Chemie</publisher-name>, <publisher-loc>Weinheim</publisher-loc> 1955, 450–<lpage>457</lpage>.

</li>
<li>
9 


G. Bugge (Hrsg.): 
<source>Das Buch der großen Chemiker. Zweiter Band: Von Liebig bis Arrhenius. <publisher-name>Verlag Chemie</publisher-name>, <publisher-loc>Weinheim</publisher-loc> 1955, 136–<lpage>153</lpage>.

</li>
<li>
10 


H. Remane (Hrsg.), 
Emil Fischer (Hrsg.): 
(<source>Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, Bd. 74). <publisher-name>Teubner</publisher-name>, <publisher-loc>Leipzig</publisher-loc> 1984.

</li>
<li>
11 

 
J. Colman, 
<source>Ber. deutsch. chem. Ges. 
(1926), 
59, 
7A–<lpage>26A.</lpage>
</li>
<li>
12 

 
T. Tidwell, 
<source>Angew. Chem. 
(2001), 
113, 
342 –<lpage> 349.</lpage>
</li>
<li>
13 

Ergebnisse und Probleme der organisch-chemischen Synthese. Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin — Mathematisch-naturwissenschaftliche Reihe, 1989, 38, Heft 3 (271 Seiten).
</li>
<li>
14 

 
W. Nernst, 
J. Sand, 
Das physikalisch-chemische Institut. In: <source>Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin [Hrsg.: M. Lenz], Band III, 
<publisher-name>Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses</publisher-name>, <publisher-loc>Halle/S.</publisher-loc>, 1910, 306–<lpage>310</lpage>; 


H.-G. Bartel, 
<source> Mitt.blatt Chem. Ges. DDR, 
1884, 
31, 
12–<lpage>13.</lpage>

 
Ders., 
<source>Z. Chem. , 
1987, 
27, 
237–<lpage>246</lpage>;


Ders., 
<source>Berichte der Humboldt-Universität zu Berlin 
1988, 
8, 
16–<lpage>29.</lpage>
</li>
<li>
15 


H. Landolt, 
<source>Sitzungsberichte der königl. preuß, <publisher-name>Akad. der Wiss. zu Berlin</publisher-name>, 1882, 724.

</li>
<li>
16 


R. Pøibram, 
<source>Ber. Deutsch. Chem. Ges., 
1912, 
44 B, 
3337–<lpage>3394.</lpage>

</li>
<li>
17 

 
H.-G. Bartel, 
R. P. Huebener, 
Walther Nernst - 
<source>Pioneer of Physics and of Chemistry, <publisher-name>World Scientific</publisher-name>, <publisher-loc>New Jersey, London</publisher-loc>, 2007, 133–<lpage>266</lpage>.

</li>
<li>
18 


H.-G. Bartel, 
<source>Nachr. Chem. , 
2005, 
53, 
747–<lpage>750</lpage>.


H.-G. Bartel, 
<source>Bunsen-Magazin, 
2005, 
7, 
172–<lpage>176</lpage>.


H.-G. Bartel, 
<source>Dahlemer Archivgespräche, 
2005, 
11, 
108–<lpage>140</lpage>.

</li>
<li>
19 

 
E. Cremer, 
<source>Chem. Ber. 
(1967), 
100, 
XCV–<lpage>Cxxvi.</lpage>
</li>
<li>
20 


A. Asen, 
<source>Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers der Universität Berlin. Bd. I: 1810 — 1945, <publisher-name>Harrassowitz</publisher-name>, <publisher-loc>Leipzig</publisher-loc>, 1955.

</li>
</ul>

Veranstaltungen

Auszeichnungen

Allgemein

Artikel

Das Ranking der Rankings

Der Pionier: US News & World Report ”Best Colleges“

Für Studierwillige und Angehörige: The Good University Guide

Vollzugriff für GDCh-Mitglieder

Anonymous

Veranstaltungen

Auszeichnungen

Allgemein

Artikel

Das Ranking der Rankings

Der Pionier: US News & World Report ”Best Colleges“

Für Studierwillige und Angehörige: The Good University Guide

Vollzugriff für GDCh-Mitglieder