Gesellschaft Deutscher Chemiker

Meinungsbeitrag

Chemie braucht Charisma

Nachrichten aus der Chemie, September 2025, Seite 3, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Ein Leitartikel von Sascha Vogel

Vor Kurzem stand ich auf einer Kleinkunstbühne und erklärte, wie Wissenschaft in Hollywood-Filmen funktioniert – oder eben nicht. Vor einem Publikum, das nichts mit Wissenschaft zu tun hat. Es kam freiwillig, verbrachte den Samstagabend mit Formeln und Berechnungen und hat dafür sogar Geld bezahlt. Dieses Erlebnis zeigt: Wenn wir Wissenschaft kreativ vermitteln, können wir Menschen erreichen, die wir sonst nie dafür begeistern würden. Genau das brauchen wir heute dringend.

Wissenschaftliche Themen sind heute so sichtbar und für die Gesellschaft wichtig wie nie zuvor – trotzdem zögern viele, öffentlich über ihre Forschung zu sprechen. Oft wird Kommunikation im akademischen System nicht honoriert. Sie kostet Zeit, und niemand möchte sich unnötig der Kritik im Netz aussetzen. Doch ohne unser Zutun würde ein großer Teil der Öffentlichkeit nie erfahren, wie Wissenschaft überhaupt funktioniert. Nur gut die Hälfte der Deutschen vertraut laut Wissenschaftsbarometer 2024 überhaupt der Wissenschaft – und die verlieren wir auch noch, wenn wir in unseren jeweiligen Fachblasen bleiben.

Hier setzt kreative Wissenschaftskommunikation an. Unterhaltsame Formate sind ein Türöffner für Menschen, die keinen Zugang zur Wissenschaft haben. Science Slams etwa bringen Forschung in die Clubs, wissenschaftliche Escape Rooms sind beliebter als je zuvor, und auf YouTube erreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Humor und Verständlichkeit Millionen von Menschen. In Kindersendungen oder auf der Bühne gehen Lachen und Lernen Hand in Hand – die Menschen kommen für den Spaß und bleiben für die Wissenschaft.

Wichtig dabei ist: Es muss nicht immer hundertprozentig genau sein. Das tut an der einen oder anderen Stelle weh, verinnerlichen wir im Lauf unserer wissenschaftlichen Karriere doch eben diesen Wert, nämlich so exakt wie möglich zu sein. Es hat einen Grund, dass ein Chemiestudium mehrere Jahre dauert. Doch für viele Zielgruppen reicht ein „richtig genug“ vollkommen aus.

Viele Forschende befürchten, durch zu viel Spaß an Glaubwürdigkeit einzubüßen. Doch richtig dosiert ist Humor kein Tabu, sondern (Achtung: Chemiewortwitz) ein Katalysator fürs Verständnis. Er senkt Hemmschwellen, weckt Neugier und macht komplexe Inhalte verdaulicher. Wie Studien zeigen, lässt Humor die Absender sympathischer und ihre Botschaften glaubwürdiger wirken – ohne an Ernsthaftigkeit zu verlieren. Wer gemeinsam lacht, hört besser zu und behält mehr.

Wer nun denkt, das funktioniere nur für Einzelpersonen, täuscht sich: Gerade Institute können mit kreativen Formaten Sichtbarkeit erlangen – bei Förderungen, in der Politik und in der Gesellschaft insgesamt. Denn auch für das Wissenschaftssystem ist gute und kreative Wissenschaftskommunikation keine Spielerei, kein Extra, sondern eine Notwendigkeit. Jeder Schritt aus der Komfortzone schärft den Blick für das Wesentliche und erinnert uns daran, warum wir Wissenschaft nicht nur als Beruf lieben. Außerdem: Wenn wir uns nicht verständlich machen, überlassen wir das Feld anderen – im schlimmsten Fall jenen, die Desinformation und Unwahrheiten verbreiten.

Trauen wir uns, ungewohnte Pfade zu beschreiten und unterstützen wir kreative Formate und die, die sie ausprobieren. Wissenschaft lebt davon, geteilt zu werden, also teilen wir sie so weit und so viel, wie wir können.

Sascha Vogel ist Physiker und Wissenschaftskommunikator. Mit science 42 (science42.de) unterstützt er Institutionen dabei, ihre Forschung besser zu kommunizieren.https://eu-central-1.graphassets.com/Aype6X9u2QGewIgZKbFflz/cmewbfdq3h9vq07rvmqot8lu8

LeitartikelSchlaglicht Wissenschaftskommunikation

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