Bildung + Gesellschaft

<p>Chemie und Elemente in der Alltagssprache – nicht immer hör-, aber geschrieben oft sichtbar.</p>
<p>Na? Alles chlor bei Ihnen? Das internationale Jahr des Periodensystems hat bei mir mAu angefangen. Habe ziemlich lange an einer Erkältung rumlaboriert, und dann wollte auch noch ein Einbrecher Al meine Sachen stibidzen. Vetter Fluorian hat den Kerl glücklicherweise gestellt – ich sag mir ja immer: Bismut kommt, feige bleiben, echt bewundernswert, der Mann – und der Ganove kommt jetzt vor den Kali. Riesen Halligallium die Sache. Ob der Kerl die Aktion jetzt immer noch für zinnvoll hält – wer weiß.</p><h2>Sie und Ihr Element</h2><p>Jetzt will ich mal nachboren: Sind Sie denn voll in Ihrem Element? Prinzipiell schön, allerdings nicht, ist‘s eins von den 118 bekannten. Und von den alchemistischen fünf bringen eigentlich auch nur zwei wirklich Freude. Aber auch bei denen gilt es, aufzupassen: Geht einem die Luft aus oder steht das Wasser bis zum Hals, wird’s unangenehm. Besonders dann, wenn‘s zusätzlich dicke Luft gibt.</p><p>Jedenfalls, Sie und Ihr Lieblingshundertachtzehntel: Wie sehr fühlen Sie sich verbunden? Bei zweien, die zusammenkleben wie Pech und Schwefel, konstatiert die Gesellschaft ja gemeinhin: Hier stimmt die Chemie. Kluger Volksmund. Er empfiehlt auch: „Immer der Nase nach.“ Und das klappt zuverlässig, insbesondere bei Schwefelhaltigem. Wer jetzt ein faules Ei vermutet, ist auf der richtigen Fährte. In solchen Fällen sollte die Chemie vielleicht mal wieder gestimmt werden.</p><h2>Edel, edel</h2><p>Apropos Chemie. Die ging ja schon früh los. Und was den Alchemisten eins der höchsten Ziele war, ist heute herausragendste Eigenschaft mancher Wissenschaftler: Aus Sch****, pargon, Fäkalien Gold machen. Rumpelstilzchen ist das Ganze etwas niveauvoller angegangen und hat Stroh benutzt. Wer jetzt wie Meister Röhrich fragt: „Tut das denn not, dass das hier so rumoxidiert?“, hat das Prinzip nicht verstanden. Strohmann möchte bei dieser Geschichte sicher auch keiner sein. Rumpelstilzchens Botschaft jedenfalls ist klar: Ist kein Stroh mehr da, schaut man in die Röhre. Empfiehlt sich natürlich nicht für Kristallographen. Und falls Sie nicht zur Fraktion „Nur unter Druck entstehen Diamanten“ gehören – wie wäre es mit einfach mal blaumachen? Warum nicht. Aber bitte ohne Indigo.</p><p>Sie sehen, Gold herzustellen hat zwei Seiten. Aber das gilt ja eigentlich für alles. So verdanken wir dem Quecksilber die Wörter keck, erquicken und quicklebendig, aber auch den Quacksalber (siehe auch diese <i>Nachrichten</i>, S. 75). Überhaupt sind Elemente eine schöne Anregung für Sprichwörter, insbesondere die Edelmetalle: Wir Redakteure zum Beispiel legen jedes Wort auf die Goldwaage. Und falls Sie nicht ohnehin im goldenen Käfig sitzen – wann hat man Ihnen zuletzt goldene Brücken gebaut? Haben Sie schon mal etwas getan, was nicht in Gold aufzuwiegen war? Oder mussten Sie jemandem klarmachen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt? Das Herz aus Gold wäre natürlich inzwischen besser aus Platin oder Palladium, aber das kannte man früher noch nicht. Fangen Sie deswegen aber bloß nicht an, irgendwo etwas abzukupfern – bleiben Sie eisern bei Ihrer Meinung, und beschaffen Sie sich Nerven wie Stahlseile! Und auch wenn Sie mal in die Luft gehen, ist das nachvollziehbar und nicht verwerflich. Schließlich hatte auch Superman sein Krypton.</p><p>Was noch keinen Eingang in den Sprachgebrauch gefunden hat, kann ja noch werden. Warum nicht mal einen knackigen Oxalat servieren? Da sollten wir über unseren Jahn-Tellerrand hinausschauen. Mit einem Bleiweißshake zum Abendessen sollten Sie dennoch vorsichtig sein, und Si, liebe Leser, sollten auch nicht Ihre Selen verkaufen. Auf jeden Fall gilt: Lassen Sie sich kein Xe für ein U vormachen!</p><p>Nachrichten-Redakteurin Eliza Leusmann sammelt Redewendungen, Stilblüten und alles aus der Wortspielhölle.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/xDFJZxbStkinQKpcg1DQ"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Illustration:Fotolia/WoGi</figcaption></figure>


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Chemie und Elemente in der Alltagssprache – nicht immer hör-, aber geschrieben oft sichtbar. Na? Alles chlor bei Ihnen? Das internationale Jahr des Periodensystems hat bei mir mAu angefangen. Habe ziemlich lange an einer Erkältung rumlaboriert, und dann wollte auch noch ein Einbrecher Al meine Sa...

<p>Die Geschichte der Farbstoffsolarzellen wäre anders verlaufen, hätte Michael Grätzel sich an das gehalten, was ihm geraten wurde.</p>
<p>Michael Grätzel, Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne, kann jeden Tag sehen, wie wichtig seine Forschung geworden ist: Die Brücke am Genfersee in Lausanne ist mit Farbstoffsolarzellen versehen, und auch in Basel findet man die Energiespender, zum Beispiel in Form farbiger Balkonverkleidungen. Farbstoffsolarzellen (dye sensitized solar cells, DSSC) basieren auf dem Konzept der Photosynthese und wandeln Licht über einen metallhaltigen farbigen Komplex in Elektrizität um. Dabei kann bei hohen Temperaturen die Hofmann-Eliminierung ablaufen – etwas, an das Grätzel denken muss, als er im August 2018 die August-Wilhelm-von-Hofmann-Denkmünze der GDCh in Liverpool erhält. „Vor der Hofmann-Eliminierung hatten wir immer Angst“, sagt er und lacht. Passiert sei das aber nie. „Natürlich gab es immer wieder Rückschläge, aber keine, die uns aus der Bahn geworfen hätten.“</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/cr3nAp0rTJ62wNjdQiS8"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Michael Grätzel, Optimist von Natur aus. Foto: EPFL</figcaption></figure>
<p>Grätzel, Jahrgang 1944, wuchs in Sachsen auf. Die Photosynthese als über alle Maßen effizienter Umwandlungsprozess packte ihn schon früh, und er wollte sie praktisch umsetzen. Daher kam als Studienfach Biologie für ihn nicht in Frage, er habe zwischen Physik und Chemie geschwankt: „Jetzt mache ich physikalische Chemie, das ist genau dazwischen.“</p><p>Studiert hat Grätzel in Westberlin. Die Kriegsnachwirkungen habe man als junger Mensch gar nicht so gefühlt, sagt er, Westberlin war eine sehr schöne Stadt. Die Situation war ihm dennoch bewusst: „Wir konnten ja nicht raus, waren eingesperrt.“ Dass er darunter gelitten habe, glaubt er aber nicht.</p><p>Sein Studium hat Grätzel in guter Erinnerung, auch wenn einige Vorlesungen „ein bisschen hinterm Mond“ waren: „Theoretische Chemie war wenig vertreten, Quantenchemie; als Postdoc musste ich Vorlesungen hören, um das nachzuholen.“ Dennoch: Insgesamt sei er „absolut zufrieden“.</p><h2>Energiewende</h2><p>Michael Grätzel ist auch mit 74 Jahren von Forschergeist erfüllt, und das nicht nur aus Spaß: Er sieht die Menschheit bezüglich des Klimawandels auf einem bedenklichen Stand. Das Problem würde ja zum Teil nicht mal ernst genommen, etwa vom derzeitigen Präsidenten der USA. Grätzel sieht seine Forschung auch als gesellschaftlichen Auftrag: „Der Klimawandel ist eine dringende Gefahr – man soll die Sache nicht weiter hinausschieben. Der Pariser Vertrag, das Zwei-Grad-Ziel muss eingehalten werden. Das ist ja auch die Motivation unserer Forschung, dass wir für die erneuerbaren Energien einen Beitrag leisten.“</p><p>Hält Grätzel es für realistisch, dass das Zwei-Grad-Ziel eingehalten wird? Hier wiegt er den Kopf. „Es wird schwer werden“, sagt er, „aber wenn man heute sofort anfängt und nicht weiter alles Jahrzehnte hinausschiebt, kann es funktionieren.“ Dazu müssten, sagt Grätzel, die erneuerbaren Energien in den nächsten 50 Jahren um den Faktor 200 wachsen. Der Mann, der als Solarpionier gilt, sieht das Hauptpotenzial natürlich in der Photovoltaik. Und das nicht erst seit kurzem.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/PlP920nVSVuR4f5qxjhi"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Das Swiss Tech Convention Center auf dem Gelände der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne ist mit transparenten Farbstoffsolarzellen ausgestattet. Foto: David Martineau, Solaronix</figcaption></figure>
<h2>Forscher durch und durch</h2><p>Die Idee, die Photosynthese chemisch zu imitieren, fand Grätzel so überzeugend, dass er sich Mitte der 1970er Jahre trotz gegenteiliger Ratschläge nicht davon abhielten ließ, an Farbstoffsolarzellen zu forschen. Grätzel meint, diese Empfehlungen beruhten wohl auf dem damaligen Zeitgeist: „Während und nach meinem Studium war die Photovoltaik ganz in den Händen der Physik, und der Ruf dieser molekularen Systeme war schlecht, weil die Versuche nur schlechte Ergebnisse lieferten.“ Aber Grätzel brachte seine Ideen ein: „Wir sind von einer ganz anderen Seite gekommen, wir kamen ja von der Corey-Chemie mit unseren kolloidalen Halbleitern und haben die Probleme umschifft. Wir waren naiv und neugierig genug für Grundlagenforschung.“</p><p>Warum hat Grätzel sich mit seinem Konzept nicht selbstständig gemacht? „Wollte ich“, sagt er, „aber die Patente gehören unserer Hochschule. Da konnte ich ja nicht mit einer eigenen Firma Konkurrenz machen.“ Stattdessen war er in Aufsichtsräten und als Berater tätig. „Inzwischen versuche ich aber, das auf ein Minimum herunterzudrehen – es gibt jetzt so viele erfahrene Leute, da muss man nicht unbedingt immer zu mir kommen.“ Denn: „Ich möchte ja auch weiter Forschung betreiben, und meine Zeit ist doch sehr begrenzt.“</p><p>Der Solarpionier ist praktisch veranlagt; in seinem Vortrag anlässlich der Preisverleihung in Liverpool hat er eine Firma vorgestellt, die DSSC-betriebene E-Book-Reader herstellt. Deren Stellenanzeige hat er auch gleich an die Wand projiziert. „Bewerben Sie sich“, rät Grätzel, „die Solarindustrie boomt!“</p><p>Heutigen Nachwuchswissenschaftlern rät er, mit Leidenschaft zu forschen – oder gar nicht. „Es gibt immer wieder Momente, in denen man zweifelt und schlechte Resultate hat, und das muss man durchstehen – mit einer Persistenz, aber auch einer Passion für die Forschung.“ Getreu diesem Motto kann Grätzel keine größte Enttäuschung in seinem Werdegang ausmachen: „Es passiert immer wieder, dass man gehofft hat, etwas realisiert sich, und das kommt dann nicht. Aber ich bin ein Optimist von Natur aus.“</p><h2>Zur Person: Michael Grätzel</h2><p>Michael Grätzel wurde am 11. Mai 1944 in Dorfchemnitz in Sachsen geboren. Er studierte Chemie an der Freien Universität Berlin (FU) und erhielt im Jahr 1968 sein Diplom. Zur Doktorarbeit wechselte er an die Technische Universität Berlin, wo er im Jahr 1971 bei Arnim Henglein über kurzlebige Stickstoff-Sauerstoffverbindungen promovierte. Für seine Habilitation, die er im Jahr 1976 abschloss, ging er zurück an die FU. Ab 1977 war er zunächst Associated Professor für physikalische Chemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne, seit 1981 ist er Professor und Direktor des dortigen Photonik- und Grenzflächenlaboratoriums.</p><p>Die Publikationen, die ihn berühmt gemacht haben, erschienen in den Jahren 1985 und 1991 (J. Am. Chem. Soc. 1985, 107, 2988 beziehungsweise Nature 1991, 353, 7377). Die Nature-Publikation wurde inzwischen über 20 000-mal zitiert.</p><h2>Chemiker – unter sich und von außen betrachtet</h2><p>Was denkt Grätzel, wie der zunehmende Nationalismus – also auch der Brexit – Wissenschaft und Forscher beeinflusst? Da seien die Forscher strikt dagegen, glaubt Grätzel. Er sagt: „Wir müssen miteinander, zusammen arbeiten. Ich habe noch nie einen nationalistischen Forscher getroffen – ganz im Gegenteil, wir sind stark beunruhigt über solche Tendenzen, die nur schädlich sein können.“</p><p>Sind Chemiker Problemlöser? Oder doch eher Problemverursacher? „Vielleicht beides“, sagt Grätzel und lacht. „Die Chemie ist in den letzten Jahrzehnten in ein günstigeres Licht gerückt, öffentlich. Man sollte auf jeden Fall versuchen, die Reputation weiter zu verbessern.“ Und dazu könne jeder Chemiker beitragen: „Man selbst muss öffentlich Arbeit leisten. Es liegt nicht nur an den anderen; es liegt auch an Chemikern selbst, dass sie sich präsentieren, Fortschritte und die guten Seiten der Chemie aufzeigen. Und wenn es Probleme gibt, müssen wir die auch ernst nehmen.“</p><p>Nachrichten-Redakteurin Eliza Leusmann traf Michael Grätzel beim Euchems-Kongress in Liverpool.</p>

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