Industrie + Technik

Wegweisend für zukünftige Verfahren im Patentrecht sind Urteile europäischer und deutscher Gerichte aus dem Jahr 2024. Wie wirken sich diese Entscheidungen auf Patentwesen, Wirtschaft und Innovation aus?<p>Das Einheitliche Europäische Patentgericht (<link href="#nadc20254146791-fig-0001">EPG) entscheidet darüber, ob europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Wirkung in den teilnehmenden Mitgliedstaaten – genannt Einheitspatente – verletzt wurden oder zu widerrufen sind.<sup>1)</sup> EPG-Grundsatzentscheidungen aus dem Jahr 2024 sind ebenso richtungsweisend für künftige Verfahren wie solche des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Europäischen Patentamts (EPA).</p><figure xml:id="nadc20254146791-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/w1xo9BuPS6oUf2k5SSSr"><figcaption><label>Abb.1: </label>Bild: Metanee , generiert mit KI / Adobe Stock</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Patentansprüche auslegen</h2><p>Ein Beispiel ist der Fall des Biotechnologie-Unternehmens 10x Genomics gegen das Biotechnologie-Unternehmen Nanostring Technologies: 10x Genomics hatte einen Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen gestellt, weil Nanostring mutmaßlich ein 10x Genomic-Patent zum bildgebenden Nachweis von Ribonukleinsäuren (RNA) und bestimmten Proteinen in einzelnen Zellen verletzt haben soll. Nachdem die Lokalkammer München des EPG dem Antrag zunächst stattgegeben hatte, hob das Berufungsgericht diese Entscheidung auf. Das geltend gemachte Patent sei nicht rechtsbeständig, da nicht erfinderisch, urteilte das Gericht. Diese Entscheidung ist wegweisend dafür, wie Patentansprüche auszulegen sind und welche Voraussetzungen zu erfüllen sind, um einstweilige Anordnungen in Verfahren vor dem EPG zu erreichen.<sup>2)</sup></p><p>Demnach bildet ein Patentanspruch die maßgebliche Grundlage, um den Schutzrahmen eines europäischen Patents zu bestimmen. Die Ansprüche sind der wichtigste Teil des Patents und legen fest, was genau dieses schützt. Es kommt nicht allein auf den genauen Wortlaut in sprachlicher Hinsicht, sondern vielmehr den Wortsinn an; auch Beschreibung und Zeichnungen als Erläuterungshilfen sind heranzuziehen. Dabei ist zu berücksichtigen, wie eine Fachperson den Patentanspruch verstehen würde. Diese Grundsätze gelten ebenso, wenn Verletzungsfragen zu prüfen sind.</p><p>Diese Auslegungsweise des EPG gewährleistet einen angemessenen Schutz für den oder die Patentinhaber:in, während gleichzeitig Dritte ausreichend Rechtssicherheit haben – also sicher abschätzen können, was sie tun können, ohne das Patent zu verletzen.</p><p>Die Entscheidung definiert zudem Voraussetzungen, um eine einstweilige Anordnung vor dem EPG zu erreichen. Das Gericht muss demnach sichergehen, dass das Patent gültig ist sowie tatsächlich eine Rechtsverletzung droht. Die Beweislast liegt dabei bei der oder dem Antragstellenden. Will der oder die Antragsgegner:in sich wehren, ist die mangelnde Rechtsbeständigkeit des Streitpatents mit möglichst wenigen aussichtsreich erscheinenden Argumenten nachzuweisen – gemäß einer anderen Entscheidung des EPG bestenfalls nicht mehr als drei.</p><p>Entscheidend ist dabei vor dem EPG: schnell sein – denn die Fristen von rund einem Monat oder weniger sind straff – und alle relevanten Fakten in der Klageschrift oder Erwiderung sorgfältig und vollständig aufbereiten.</p><h2 type="main">Regional übergreifende Nichtigkeitsverfahren</h2><p>Auch der Rechtsstreit zwischen Dexcom, einem Anbieter für Diabetiker:innenbedarf, und dem Gesundheitsunternehmen Abbott in mehreren Verfahren vor dem EPG ist relevant für künftige Prozesse. Dabei geht es um ein Patent zu Verfahren und Systemen, um Messergebnisse eines elektronischen Sensors an Anzeigegeräte zu übertragen, etwa Smartphones – speziell betroffen sind Blutzuckersensoren, die am Körper getragen werden.</p><p>In einem dieser Verfahren wurde in der Entscheidung festgehalten: Das Einheitliche Patentgericht ist auch dann berechtigt, über die Gültigkeit eines Patents zu entscheiden, wenn sich parallel bereits ein nationales Nichtigkeitsverfahren mit dem nationalen Teil dieses europäischen Patents beschäftigt.<sup>3)</sup> In diesem Fall ging es um den deutschen Teil des europäischen Patents. Das patentinhabende Unternehmen, das auf Verletzung klagte, strebte einen Carve-out an – wollte also Deutschland aus dem Verletzungsverfahren ausschließen, um uneinheitliche Entscheidungen zu vermeiden.</p><p>Das EPG entschied, dass dies nicht möglich ist. Denn im rechtlichen Streit um Patente sollen die Rechte der Klagenden und der Beklagten gewahrt bleiben. Ein im Umfang begrenztes nationales Nichtigkeitsverfahren soll Patentverletzungsbeklagten nicht die Möglichkeit nehmen, sich zu verteidigen – und zwar indem sie vor dem EPG prüfen lassen, ob das Patent rechtsbeständig ist. Denn diese EPG-Entscheidung wirkt sich auf alle teilnehmenden Länder aus.</p><h2 type="main">Argumente früh vollständig vortragen</h2><p>In einem weiteren Rechtsstreit zwischen Dexcom und Abbott legte Dexcom Verletzungsklage bei der Lokalkammer Paris des EPG ein. Abbott reagierte mit einer Widerklage auf Nichtigerklärung des geltend gemachten Patents. Dexcom verteidigte das Patent wie erteilt sowie mit drei Hilfsanträgen. Als Reaktion machte Abbott erstmals eine unzulässige Erweiterung des Patents und der drei Hilfsanträge geltend.</p><p>Klar wurde: Angriffe sind frühzeitig vorzutragen. Die Lokalkammer Paris ließ die Ausführungen Abbotts zu unzulässigen Erweiterungen nämlich nicht zu, da sie zu spät in das Verfahren eingebracht worden waren. Denn es gab keinen Grund, diese Argumente nicht bereits mit der Widerklage vorzutragen. Nur für die Hilfsanträge berücksichtigte die Kammer den Einwand, da dieser sich zuvor nicht erheben ließ.</p><p>Und Abbott war erfolgreich: Nach dem Goldstandard des Europäischen Patentamts (EPA) ist bei Ergänzungen eines Patents zu prüfen, was eine Fachperson unmittelbar und eindeutig aus dem ursprünglichen Patent entnehmen kann.</p><p>Enthalten die Änderungen aus Sicht einer Fachperson neue technische Informationen, sind die entsprechenden Anträge unzulässig. Das war auch der Fall bei den Hilfsanträgen Abbotts. Diese Entscheidung deutet darauf hin, dass für die künftige Rechtsprechung des EPG auch die Beurteilungsmaßstäbe des EPA entscheidend sein werden.</p><h2 type="main">Wann neu nicht mehr neu ist</h2><p>Das Urteil „Aufbaupfosten“ des Bundesgerichtshofs beschäftigt sich mit einem Patent zu Zahnimplantaten. Die Frage ist, wann eine Erfindung als nicht neu gilt und somit nicht patentfähig ist, weil sie bereits in einem früheren Dokument beschrieben wurde. Der BGH stellte klar: Es genügt, wenn der Gegenstand des Patentanspruchs in einem anderen Dokument eindeutig offenbart wird.<sup>4)</sup> Das heißt, eine Fachperson kann klar erkennen, dass es um den gleichen Gegenstand geht – auch ohne technische Details. Handelt es sich bei dem Dokument um eine veröffentlichte Patentschrift, ist unerheblich, ob der Gegenstand zur beschriebenen Erfindung gehört oder nicht. Eine beiläufige Offenbarung genügt, beispielsweise geschildert im Rahmen des Stands der Technik oder als nicht beanspruchtes Hilfsteil. Damit ist der Gegenstand nicht mehr neu und eine Patentanmeldung, die sich auf diesen stützen soll, nicht mehr möglich.</p><p>Der BGH festigt damit die Bedeutung der absoluten Neuheit.</p><h2 type="main">Neue Ergebnisse bekannter Verfahren patentieren</h2><p>Die Entscheidung „Organogelmaterial“ des BGH betraf ebenso die Neuheit einer Erfindung. Es ging um ein Verfahren, mit dem sich Polyurethanschäume herstellen lassen. Ein vorangegangenes Urteil des Bundespatentgerichts machte diese Erfindung als nicht neu geltend, weil es bereits ähnliche Herstellungsverfahren gab. Ein bestimmter Effekt – nämlich die Integration eines Organogels in den Polyurethanschaum – war allerdings in den entsprechenden Dokumenten nicht eindeutig beschrieben. Erreichen lässt sich diese Integration nur unter bestimmten Rahmenbedingungen; sie geschieht also nicht zwangsläufig, sondern bestenfalls zufällig. Daher entschied der BGH, dass das angegriffene Patent aufrechtzuerhalten war.</p><p>Die Patentfähigkeit lässt sich also auch durch spezifische Eigenschaften einer Erfindung begründen, die bisher unbekannt sind, ohne dass das zu einem neuen Verfahren führt.<sup>5)</sup> Kommt das neue Ergebnis nur zufällig oder unter bestimmten Bedingungen zustande, ist es in der Regel im Rahmen des Stands der Technik nicht beschrieben; deswegen ist es auch nicht naheliegend und somit patentierbar.</p><h2 type="main">Künstliche Intelligenz kann nicht erfinden</h2><p>Dass in der Wirtschaft immer häufiger Künstliche Intelligenz (KI) genutzt wird, führt auch zu Fragen im Patentrecht. Im Beschluss „Dabus“ – benannt nach der künstlichen Intelligenz, die als Erfinder in einer Patentanmeldung zu einem Lebensmittel- und Getränkebehälter angegeben wurde, – entschied der BGH: Ein:e Erfinder:in muss eine Person sein, kein maschinelles, aus Hard- und Software bestehendes System, auch wenn es über Funktionen Künstlicher Intelligenz verfügt.<sup>6)</sup> Selbst wenn die beanspruchte Technik mit KI entwickelt wurde, ist eine Person als Erfinder:in zu benennen.</p><h2 type="main">Naheliegend oder nicht</h2><p>Die BGH-Entscheidung „Testosteronester“ adressiert die Maßstäbe, um die erfinderische Tätigkeit zu beurteilen.<sup>7)</sup> Bei dem Patent geht es um Injektion langkettiger Testosteron-Ester, etwa Testosteronundecanoat, in der Hormonersatztherapie oder männlichen Empfängnisverhütung. Kern des Patents: Anders als die Standardtherapien zum Zeitpunkt der Patentanmeldung mit etwa Testosteron-Enanthaten oder Testosteron-Cypionaten erfordert die neue Testosteron-Ester-Methode kein regelmäßiges Überwachen durch einen Arzt und ermöglicht es, schneller stabile Serumkonzentrationen zu erreichen sowie die Intervalle zwischen den Injektionen zu verlängern.</p><p>Erfinderisch und somit patentierbar ist ein Produkt oder Verfahren, wenn dessen Entwicklung für eine Fachperson zum Anmeldezeitpunkt des Patents nicht naheliegend war. Das Beurteilen eben jenes „Naheliegens“ führt häufig zu Diskussionen.</p><p>Der BGH stellte klar: Eine Fachperson würde dann Versuche vornehmen, die naheliegend zur Erfindung führen könnten, wenn die Person Erfolg erwartet. Diese Erfolgserwartungen sind nicht allgemein formulierbar, sondern hängen ab von Fachgebiet, Größe des Anreizes, erforderlicher Mühe, Kosten oder Zeit und Alternativen sowie deren Vor- und Nachteilen. Für die Fachperson muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, bestimmte Vorteile zu erreichen.</p><p>Im Testosteronester-Urteil war diese Wahrscheinlichkeit an aufwendige Langzeitversuche geknüpft. Der Stand der Technik enthielt nicht ausreichend Indizien, die einen positiven Ausgang wahrscheinlich machten. Die Erfolgswahrscheinlichkeit war damit nach Auffassung des BGH niedrig genug, um die Erfindung als nicht naheliegend einzustufen.</p><p>Je nach Fachgebiet kann die Frage des Naheliegens bisweilen eine Gratwanderung sein.</p><h2 type="main">Mengenangaben konsistent halten</h2><p>Das Europäische Patentamt ist bekannt dafür, besonders strikt zu sein, wenn es darum geht, Änderungen an Patentansprüchen zuzulassen.</p><p>In einer Einspruchsbeschwerde aus dem August 2024 beschäftigte sich die zuständige EPA-Beschwerdekammer (Board of Appeal) mit Patentansprüchen für chemische Produkte.<sup>8)</sup> Parameter wie prozentuale Mengenangaben für die Zusammensetzung chemischer Produkte sollen quantitativ schlüssig sein und die Bezugsgröße der Mengenbereiche nennen, wenn diese nicht eindeutig sind.</p><p>Die Entscheidung behandelt das Patent eines Schmelzhaftklebers. Dieser enthält die Komponenten A, B und C, für die Gewichtsprozentanteile am Gesamtgewicht des Schmelzklebstoffs definiert sind. Komponente A ist ein Basisklebstoffpolymer aus einem Metallocen-Polyolefin und einem amorphen Polyolefin. Die Mengenanteile dieser Polymerbestandteile an Komponente A sind ebenfalls auf Basis des Gesamtgewichts des Schmelzklebstoffs definiert.</p><p>In einem vorangegangenen Einspruchsverfahren war eine unzulässige Erweiterung des Patents geltend gemacht worden: Die Mengenanteile der Polymerbestandteile der Komponente A waren auf die Menge an Komponente A bezogen statt auf das Gesamtgewicht des Schmelzklebstoffs. Aufgrund der geänderten Bezugsgröße sei das unzulässig, entschied das Board of Appeal. Das Patent wurde widerrufen. Bei Parameter- und Mengenangaben ist also auf Konsistenz zu achten.</p><h2 type="main">Grundsatzentscheidungen</h2><p>Zwei grundsätzliche Vorlagefragen zur einheitlichen Rechtsanwendung bearbeitet die große Beschwerdekammer des EPA seit dem Jahr 2024. Sie dürften im Jahr 2025 entschieden werden.</p><p>Eine der Fragen betrifft die Rechte Dritter in Beschwerden gegen Einspruchsverfahren, die mit dem Prüfen und Erteilen neuer Patente zusammenhängen. Grundsätzlich dürfen nur direkte Verfahrensbeteiligte – also Patentinhabende und Einsprechende – Beschwerde erheben. Dem Einspruchsverfahren können berechtigte Dritte – auch im Stadium der Beschwerde – beitreten  und eigene Argumente für den Widerruf des Patents einbringen, auch wenn sie formal nicht beschwerdeberechtigt sind. Zu klären ist nun, ob Dritte das Verfahren weiterführen können, wenn alle Verfahrensbeteiligten die Beschwerden zurücknehmen.</p><p>Die andere Frage betrifft das Auslegen von Ansprüchen, wenn zu beurteilen ist, ob eine Erfindung patentfähig ist. Es geht darum, ob und unter welchen Bedingungen sich die Beschreibung und Zeichnungen heranziehen lassen und inwieweit ein Patent als sein eigenes Wörterbuch dienen kann. Diese grundsätzlichen Maßstäbe werden für die alltägliche Patentprüfungs- und Einspruchpraxis relevant sein.</p><h2 type="main">AUF EINEN BLICK</h2><p>Vor dem Einheitlichen Patentgericht (EPG) zählen Schnelligkeit und Vollständigkeit: Alle relevanten Fakten sind so früh wie möglich einzureichen.</p><p>Details zum Stand der Technik sind entscheidend für den Rechtsbestand eines Patents.</p><p>In Patentansprüchen chemischer Erfindungen sind Angaben zur chemischen Zusammensetzung konsistent zu halten.</p><p>Künstliche Intelligenz kann kein Erfinder sein.</p><h2 type="main">Die Autor:innen</h2><p>Den Beitrag haben Alexandra Bettermann und Ingo K. Strehlke verfasst. Bettermann, promoviert in medizinischer Chemie, ist deutsche und europäische Patentanwältin. Sie berät Unternehmen im gewerblichen Rechtsschutz, besonders in der Chemie und Verfahrenstechnik. Strehlke ist Patentanwalt und Gründungspartner der Kanzlei von Rohr in Nordrhein-Westfalen. Der promovierte Chemiker berät zum Patentrecht in Chemie, Pharmazie und chemischer Verfahrenstechnik. Er betreut nationale und internationale Patentstreit-, Einspruchs-, Nichtigkeits- und Beschwerdeverfahren.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/xUMeIUN0SS6pTk1VtsSz"><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/2c72QIXShmj00wGzk0An"></p><ul class="references" cited="no" style="numbered" xml:id="nadc20254146791-bibl-0001"><li xml:id="nadc20254146791-bib-0001"><sup>1 </sup> Übersicht zum Einheitspatent: <a href="https://t1p.de/n808l" target="_blank">t1p.de/n808l</a></li><li xml:id="nadc20254146791-bib-0002"><sup>2 </sup> Entscheidung des EPG zu Patentansprüchen und einstweiligen Verfügungen: <a href="https://t1p.de/6wra4" target="_blank">t1p.de/6wra4</a></li><li xml:id="nadc20254146791-bib-0003"><sup>3 </sup> Entscheidung des EPG zu Nichtigkeitsverfahren: <a href="https://t1p.de/51tk9" target="_blank">t1p.de/51tk9</a></li><li xml:id="nadc20254146791-bib-0004"><sup>4 </sup> Urteil des Bundesgerichtshofs zur Neuheitsfrage: <a href="https://t1p.de/qx2yl" target="_blank">t1p.de/qx2yl</a></li><li xml:id="nadc20254146791-bib-0005"><sup>5 </sup> Urteil des Bundesgerichtshofs zu neuen Ergebnissen aus bekannten Verfahren: <a href="https://t1p.de/9q0qt" target="_blank">t1p.de/9q0qt</a></li><li xml:id="nadc20254146791-bib-0006"><sup>6 </sup> Urteil des Bundesgerichtshofs zu KI: <a href="https://t1p.de/pmi8s" target="_blank">t1p.de/pmi8s</a></li><li xml:id="nadc20254146791-bib-0007"><sup>7 </sup> Urteil des Bundesgerichtshofs zur Frage des Naheliegens: <a href="https://t1p.de/ew7h2" target="_blank">t1p.de/ew7h2</a></li><li xml:id="nadc20254146791-bib-0008"><sup>8 </sup> Urteil des Boards of Appeal zu Mengen-angaben: <a href="https://t1p.de/dh68m" target="_blank">t1p.de/dh68m</a></li></ul>

Artikel

Best of 2024

Wegweisend für zukünftige Verfahren im Patentrecht sind Urteile europäischer und deutscher Gerichte aus dem Jahr 2024. Wie wirken sich diese Entscheidungen auf Patentwesen, Wirtschaft und Innovation aus?Das Einheitliche Europäische Patentgericht (EPG) entscheidet darüber, ob europäische Patente u...

Die Rechenleistung oder Datenspeicherkapazität elektronischer Geräte verbessern – das geht mit nanostrukturierten Chips. Je kleiner die Schaltkreise, desto leistungsfähiger der Chip. Wie sich mit ultrakurzwelligem Licht nanometerkleine Strukturen erzeugen lassen, was dabei chemisch passiert und wie die Herstellung ökonomischer werden kann.<p>Integrierte Schaltkreise – oder <link href="#nadc20254146788-fig-0001">Mikrochips – vereinen elektrische Bauteile wie Transistoren, Dioden und Widerstände auf einem wenige Quadratmillimeter großen Halbleiterplättchen. Stetig optimiert und miniaturisiert ermöglichen sie immer leistungsfähigere Computer, schnellere Kommunikationssysteme und etliche neue Anwendungen wie selbstfahrende Autos sowie Smart-Home- und Gesundheitsmonitoring-Anwendungen.</p><figure xml:id="nadc20254146788-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/5phujw6nRsX01UUEzQLC"><figcaption><label>Abb.1: </label>Optisches System für die EUV-Lithografie der Firma Zeiss mit präzise gefertigten gekrümmten Mehrschichtspiegeln. Bild: Zeiss</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Wie EUV-Lithografie funktioniert</h2><p>Moderne Mikrochips beherbergen mehrere Milliarden weniger Nanometer kleiner Transistoren. Herstellen lassen sich solche integrierten Schaltkreise beispielsweise mit Extrem-ultraviolett-Fotolithografie (EUV-Fotolithografie).</p><p>Dabei wird ein Siliciumwafer mit Fotolack beschichtet. Die rund 30 nm dicke Lackschicht lässt sich mit EUV-Licht bestrahlen – also Licht mit Wellenlängen zwischen 5 und 50 nm –, das durch eine Maske die Form das Schaltkreises auf den Wafer projiziert (<link href="#nadc20254146788-fig-0002">Schema rechts oben). In den belichteten Bereichen des Fotolacks kommt es zu chemischen Reaktionen, die den Lack an diesen Stellen mehr oder weniger löslich machen. Die löslicheren Stellen der Lackschicht lassen sich dann mit einem Lösungsmittel entfernen. Die verbleibenden durch den Lack maskierten Bereiche dienen als Schablone, um das abgebildete Schaltkreismuster in den Siliciumwafer zu übertragen. Beschleunigte Ionen tragen dabei das Halbleitermaterial an den freiliegenden Stellen ab. Dieses Trockenätzen wird beim Herstellen von Mikrochips mehrfach angewandt, abwechselnd mit erneutem Beschichten, Lithografieren und Auf- oder Einbringen anderen Materials – Dotierungsatome, Metalle für Leiterbahnen oder isolierende Zwischenschichten. In häufig über 50 Lithografieschritten lässt sich der Chip so nach und nach aufbauen. Für jede Schicht lässt sich die passende Lithografietechnik nutzen: für die kleinsten Strukturen EUV-Lithografie, für größere Strukturen Tief-ultraviolett-Fotolithografie (DUV-Fotolithografie).</p><figure xml:id="nadc20254146788-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/oomLnjUTFu5WUpZqtJMJ"><figcaption><label>Abb.2: </label>Herstellen einzelner Chips Schicht für Schicht auf einem Wafer. Je nach Strukturgröße kommt Extrem- ultraviolett(EUV)- oder Tief-ultraviolett(DUV)-Lithografie zum Einsatz. Abbildung: L. Lohmann / RWTH Aachen</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Kleinere Wellenlängen für kleinere Strukturen</h2><p>Die Auflösung der Fotolithografie ist durch die Wellenlänge des Lichts begrenzt. Erstmals in den 1970er-Jahren wurden Chips mit mikrometergroßen Strukturen industriell mit sichtbarem und ultraviolettem Licht fotolithografisch hergestellt. Kurzwelligeres Licht führte schrittweise zu höherer Auflösung: Die Tief-ultraviolett-Fotolithografie (DUV-Fotolithografie), die Wellenlängen von zunächst 248 nm nutzte und später auch 193 nm, gibt es seit den frühen 1990er- Jahren; bis Ende der 2000er ermöglichte sie, Strukturen herzustellen, die kleiner als 100 nm sind.</p><p>In den 1990er-Jahren begannen Forschende Nachfolgetechniken zu suchen, um die Mikroelektronik noch kleiner zu machen. Gegenüber konkurrierenden Ansätzen wie Nanoprägelithografie und Elektronenstrahllithografie setzte sich die EUV-Lithografie um das Jahr 2010 durch.</p><p>Schwierig dabei: Alle Materialien absorbieren EUV-Licht, sodass das gesamte Lithografie-System im Vakuum zu betreiben ist. Zudem eignen sich konventionelle Linsen nicht zum Fokussieren von EUV-Licht. Über Mehrschichtspiegel lässt sich das EUV-Licht allerdings fokussieren und umlenken, am effizientesten bei einer Wellenlänge von 13,5 nm. Die Spiegel funktionieren durch Interferenz an Schichten mit verschiedenen Brechungsindices. Zu Verlusten durch Absorption und Streuung kommt es trotzdem: Weniger als drei Prozent des ursprünglich eingestrahlten EUV-Lichts treffen am Ende auf die Fotolackschicht. Das entspricht nur etwa einem Vierzehntel der Bestrahlungsintensität in DUV-Lithografieanlagen. Die EUV-Lichtquelle muss daher möglichst viel Licht erzeugen. Nur so lässt sich der Lack trotz des Lichtverlusts bei kurzer Belichtungszeit vollständig bestrahlen – und so ein Durchsatz von mehr als hundert Wafern pro Stunde erreichen. Dieser ist nötig für den wirtschaftlichen Betrieb der Anlage.</p><p>Seit dem Jahr 2017 vertreibt das niederländische Unternehmen ASML EUV-Lithografieanlagen. Diese EUV-Scanner sind das Ergebnis jahrzehntelanger Grundlagenforschung und Entwicklung bis zur Marktreife. Herzstücke des Scanners sind eine plasmabasierte EUV-Strahlungsquelle, ein optisches System aus Mehrschichtspiegeln und EUV-Fotolacke, mit denen sich wenige Nanometer kleine Strukturen mit kurzen Belichtungszeiten erzeugen lassen.</p><p>Den CO<sub>2</sub>-Laser für die EUV-Strahlungsquelle hat die Firma Trumpf entwickelt: Fünfzigtausendmal pro Sekunde trifft ein Laserpuls auf ein mikroskopisch kleines Zinntröpfchen. Dabei entsteht ein Plasma, das EUV-Strahlung emittiert. Auf dem Weg zum Halbleitersubstrat durchläuft das EUV-Licht ein Beleuchtungssystem und eine Projektionsoptik des Unternehmensbereichs Halbleiterfertigungsequipment der Firma Zeiss (Zeiss SMT). Beide Systeme enthalten Mehrschichtspiegel, die aus bis zu 100 wenigen Nanometer dicken Silicium- und Molybdänschichten auf einer Glasoberfläche bestehen. Diese Spiegel sind hochpräzise, denn selbst kleinste Unregelmäßigkeiten führen zu Abbildungsfehlern.</p><h2 type="main">Präziser und rentabler mit mehr Licht</h2><p>Eine Weiterentwicklung der EUV-Lithografie für künftige Mikrochipgenerationen ist die High-NA-EUV-Lithografie. Die NA ist die numerische Apertur – ein Maß für den Raum, in dem ein optisches System Licht einfangen und fokussieren kann. Bei der High-NA-EUV-Lithografie ist die NA um das 1,6-Fache erhöht, von 0,33 bei bisherigen EUV-Scannern auf 0,55 in High-NA-Scannern. Der EUV-Scanner erzeugt dadurch noch feinere Strukturen: High-NA-EUV-Lithografie erzielt Strukturauflösungen von 8 nm, während mit der EUV-Lithografie derzeit 13 nm erreicht werden; in der Praxis lassen sich durch die höhere NA zwei- bis dreimal mehr Strukturen auf einem Chip gleicher Größe abbilden.</p><p>Allerdings braucht die High-NA-EUV-Lithografie komplexere optische Systeme als die EUV-Lithografie: Volumen und Gewicht der High-NA-Optik übersteigen die der derzeitigen EUV-Optik um etwa das Siebenfache. Auch die Mehrschichtspiegel sind noch präziser gefertigt: Auf die Größe Deutschlands skaliert wäre die größte Unebenheit nur ein Zehntelmillimeter groß. Um diese Präzision beim Fertigen zu erreichen, wird ein interferometrisches System genutzt, das die Oberflächen subatomar vermisst.</p><p>Damit es sich für Chiphersteller lohnt, in High-NA-Scanner zu investieren, braucht es künftig einen Durchsatz von mehreren hundert Wafern pro Stunde. Das geht mit starken Lichtquellen. Der CO<sub>2</sub>-Laser der Firma Trumpf, der für die EUV-Strahlungsquelle genutzt wird, hat eine Pulsleistung von mehreren zehn Kilowatt durchschnittlich und mehreren Megawatt in der Spitze.</p><h2 type="main">Auf der Suche nach besseren Fotolacken</h2><p>Bei EUV-Fotolacken besteht weiterhin Forschungsbedarf. Die Fotolackschablone für die Schaltkreismuster muss defektfrei weniger als 20 nm kleine Strukturen erzeugen. Um einen hohen Durchsatz zu erreichen, muss der Lack möglichst empfindlich auf das EUV-Licht reagieren. Zudem muss er stabil gegenüber dem Strukturtransfer durch Trockenätzen sein.</p><p>Die DUV-Lithografie nutzt überwiegend polymere chemisch verstärkte Fotolacke (chemically amplified resist, Car). Diese basieren häufig auf Acrylaten und Poly(norbornen)-co-maleinsäureanhydrid (Coma). Bei Cars setzt das Belichten chemisch aktive Fotosäuren frei, die durch den Polymerlack diffundieren und Vernetzung oder Kettenspaltung auslösen. Ein einziges Photon kann dabei Hunderte bis Tausende säurekatalysierte Reaktionen starten. Eine solche Verstärkung verkürzt die Belichtungszeit auf weniger als die Hälfte und erhöht so den Durchsatz.</p><p>Polymerbasierte Cars eignen sich auch als Basis für EUV-Fotolacke. Mit kürzerkettigen Polymermolekülen lassen sich noch kleinere Strukturen erzeugen; Metallverbindungen als Additive verbessern die EUV-Absorption und steigern dadurch die Strahlungsempfindlichkeit. Amorphe Fotolackschichten reduzieren außerdem die Zahl der Defekte in den Schaltkreisschablonen: Molekulare Gläser aus vernetzbaren Molekülen einheitlicher Größe – rund zwei bis fünf Nanometer – ohne Kettenverschlaufungen sind ein Ansatz. Diese molekularen Gläser lassen sich aus verschiedenen Klassen organischer Makromoleküle aufbauen, häufig kommen phenolbasierte Grundbausteine wie Calixarene oder Resorcine zum Einsatz.</p><p>Allerdings lässt sich bei allen Arten von Cars schwer kontrollieren, wie weit die Fotosäuren durch den Lack diffundieren – das macht es schwierig, nanometergroße Muster defektfrei herzustellen.</p><p>Eine neuere Alternative sind metallbasierte EUV-Fotolacke. Sie bieten Vorteile gegenüber herkömmlichen polymerbasierten Lacken: Metalloxide absorbieren zwei- bis dreimal mehr EUV-Photonen als Polymerlacke. Zudem werden sie durch den Ionenstrahl beim Trockenätzen weniger schnell geschädigt als organische Polymere und ermöglichen daher noch dünnere Lackschichten unter 20 nm. Erforscht werden etwa Fotolacke mit Hafniumoxid- und Zirkoniumoxid-Nanopartikeln sowie organometallische Lacke mit Zinn- und Bismutverbindungen. Bestrahlen mit EUV-Licht führt dabei zu Decarboxylierung oder Kreuzvernetzung, wodurch sich stabile und defektarme Muster mit Abmessungen von unter 10 nm bilden können.</p><p>Geforscht wird derzeit auch an Strukturierungsverfahren ohne Fotolacke. Bei der bereichsselektiven Abscheidung (area selective deposition, ASD) lässt sich die Oberfläche auf dem Halbleiterchip mit EUV-Licht chemisch modifizieren. Metallverbindungen lassen sich dann an spezifischen Stellen abscheiden – vorteilhaft für besonders komplexe Muster. Durch gerichtete Selbstanordnung (directed self assembly, DSA) von Block-Copolymeren lassen sich regelmäßige defektarme Muster mit Dimensionen zwischen 5 und 30 nm sogar ohne EUV-Lithografie erzeugen: Das kann potenziell die EUV-Lithografie ergänzen und Kosten sparen.</p><h2 type="main">Wie es weitergeht mit der EUV-Technik</h2><p>Forschung in der EUV-Lithografie ist komplex und teuer. Die Gruppe für EUV-Technologie am Lehrstuhl für Technologie Optischer Systeme (Tos) der RWTH Aachen ist eine weniger Gruppen in Deutschland, die sich mit EUV-Lithografie beschäftigt. Die Forschenden in Aachen entwickeln neue Verfahren der EUV-Lithografie und EUV-Metrologie und untersuchen, wie EUV-Licht mit Materialien wechselwirkt. Dafür nutzen sie flexibel einsetzbare, gasentladungsbasierte EUV-Strahlungsquellen des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik (ILT) und bauen damit kompakte <link href="#nadc20254146788-fig-0003">EUV-Bestrahlungsanlagen (Fotos links).</p><figure xml:id="nadc20254146788-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/BXCm9MUsQryw6eNW2qI0"><figcaption><label>Abb.3: </label>EUV-Lithografieanlage an der RWTH Aachen (links). Ein nanoskaliges Beugungsgitter und präzise Abstandssensoren (rechts) ermöglichen EUV-Interferenzlithografie in der kompakten Bestrahlungsanlage. Fotos: RWTH Aachen</figcaption></figure></figure><p>Mit solchen Anlagen erzeugen sie etwa großflächige periodische Strukturen, indem sie nanoskalige Beugungsgitter einsetzen, hinter denen die EUV-Strahlung durch Interferenz Muster formt. So lassen sich auf belackten Siliciumwafern Strukturen bilden, die kleiner als 30 nm sind.</p><p>Damit sie bald noch kleinere und noch komplexere Muster schaffen können, entwickeln die Forschenden der RWTH Aachen Simulationsmodelle für das Design der Beugungsgitter. Dadurch könnten sich Quantenbauelemente und Nanophotonikbauteile zukünftig kostengünstig herstellen lassen.</p><p>Unterdessen plant das Unternehmen ASML mit seinen Partnern und Zulieferern, die EUV-Lithografie bis zum Jahr 2030 weiterzuentwickeln und rentabler zu machen: Integrierte Schaltkreise sollen durch Hyper-NA-EUV-Lithografie mit einer noch höheren numerischen Apertur von 0,75 kleiner, der Durchsatz der EUV-Scanner soll höher werden.</p><h2 type="main">PreisE: Ausgezeichnete EUV-Lithografen</h2><p>Das Potenzial der EUV-Lithografie für die Mikrochipherstellung zeigen besonders zwei Auszeichnungen im derzeitigen Jahrzehnt: Im Jahr 2020 erhielten Peter Kürz von Zeiss SMT und Michael Kösters von Trumpf zusammen mit Sergiy Yulin vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF den Deutschen Zukunftspreis für ihre Beiträge zur Entwicklung der EUV-Lithografie.</p><p>Für ihre Entwicklungen in der High-NA-EUV-Lithografie (NA: numerische Apertur) und deren industrielle Umsetzung wurden Peter Kürz und Michael Kösters zudem im Jahr 2024 mit dem 42. Werner-von-Siemens-Ring ausgezeichnet. Die Auszeichnung würdigte ihre Beiträge zur Zukunft der Mikrochipherstellung.</p><h2 type="main">AUF EINEN BLICK</h2><p>Mit extrem-ultravioletter (EUV) Strahlung und Fotolacken lassen sich nanometerkleine Schaltkreismuster fotolithografisch auf Halbleiter übertragen.</p><p>Durch abwechselndes Beschichten, Bestrahlen und Trockenätzen mit beschleunigten Ionen entstehen integrierte Schaltkreise (Mikrochips).</p><p>Stärkere Lichtquellen, empfindlichere Fotolacke und präzisere optische Systeme können die EUV-Lithografie noch leistungsfähiger und ökonomischer machen.</p><h2 type="main">Der Autor</h2><p>Lars Lohmann ist Doktorand an der RWTH Aachen. Er hat seinen Bachelor- und Masterabschluss in Chemie mit dem Schwerpunkt Magnetresonanzspektroskopie abgeschlossen. Seit dem Jahr 2023 arbeitet er in der Gruppe EUV-Technologie am Lehrstuhl für Technologie Optischer Systeme. Zu seinen Forschungsthemen gehören die EUV-Interferenzlithografie mit kompakten EUV-Quellen und damit verbundene Prozessierungsmethoden.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/eZ7l5DadRv6YbKrx2uDR"></p>

Artikel

Best of 2024

Patentansprüche auslegen

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...