Wissenschaft + Forschung

Ist Wissenschaft nur eine Meinung oder &Uuml;berzeugung? Und der wissenschaftliche Konsens nur eine &bdquo;Wahrheit&ldquo; unter vielen? Mit solchen Fragen sieht sich die Wissenschaftskommunikation zunehmend konfrontiert &ndash; das Schlaglichtheft der Nachrichten aus der Chemie will Antworten liefern, denn Wissenschaftskommunikation verbindet den Elfenbeinturm der akademischen Forschung mit der Mitte der &nbsp;Gesellschaft.

Schlaglicht Wissenschaftskommunikation

Ende Mai erhaschten Interessierte weltweit einen Blick in den Elfenbeinturm: In 27 L&auml;ndern gleichzeitig fand das Pint-of-Science-Festival statt, bei dem Forschende in Kneipen und Caf&eacute;s ihre Erkenntnisse pr&auml;sentieren. Dazu geh&ouml;rte, Garn durch den Pub zu werfen.
Michael te Vrugt hat in einer Kneipe &uuml;ber die Zombieapokalypse gesprochen. Nur tr&auml;gt er keinen Aluhut und schw&auml;rmt vom Sturm auf Area 51, sondern ist Physikprofessor in Mainz und bekommt f&uuml;r seine Zombieforschung Geld vom Staat. Als einer von mehr als 6000 Vortragenden in &uuml;ber 500 St&auml;dten weltweit hat er am diesj&auml;hrigen Pint-of-Science-Festival teilgenommen.
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<figcaption><label>Abb.1: </label>Das Logo des Festivals Foto: Pint of Science International</figcaption>
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F&uuml;r das Festival werden Kneipen und Caf&eacute;s f&uuml;r drei Tage im Jahr zum Vortragsort, wo Wissenschaftler:innen ihre Forschung allgemein verst&auml;ndlich herunterbrechen. Der Grundgedanke: Die Vortr&auml;ge sind ein Dialog zwischen Forschenden, deren neueste Ideen inspirieren, und einem Laienpublikum, das die trivialsten Fragen stellen kann &ndash; ohne daf&uuml;r bel&auml;chelt zu werden.
<h2 type="main">Forschung zu Menschen bringen</h2>
Der Pint of Science war eine Idee von Praveen Paul und Michael Motskin. Beide waren im Jahr 2012 Postdoktoranden am Imperial College London und sahen eine &bdquo;L&uuml;cke zwischen den Forschungsbem&uuml;hungen und deren Beweggr&uuml;nden&ldquo;, schrieben sie in Trends in Immunology.1) Deswegen luden sie Betroffene der Krankheiten, an denen sie forschten, in ihre Labore ein &ndash; unter anderem Alzheimer- und Parkinson-Patienten mit deren Familien. Diese waren fasziniert von Forschungsarbeit und Erkl&auml;rungen und gaben so den beiden den Gedankenansto&szlig;, der zum Pint of Science f&uuml;hrte: &bdquo;Wenn Menschen in Labore gehen wollen, um Forschende zu treffen, warum die Forschenden nicht zu den Menschen bringen?&ldquo;
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<figcaption><label>Abb.2: </label>Ein Vortrag beim Mainzer Pint of Science im Jahr 2024. Foto: Pint of Science Mainz</figcaption>
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Im Jahr 2013 fand das erste Pint-of-Science-Festival in drei St&auml;dten statt, im Jahr 2015 schwappte es nach Deutschland. Jule Schlee, eine der beiden Direktorinnen des Pint of Science in Deutschland, findet: &bdquo;Die Gesellschaft bezahlt f&uuml;r Forschung, die vielleicht nie in Anwendungen m&uuml;ndet, und soll durch das Pint-of-Science-Festival auch etwas zur&uuml;ckbekommen.&ldquo;
Als Zielpublikum gelten nach wie vor eher Postbeamte als Postdocs. Beim Team in Bonn, dem Schlee angeh&ouml;rt, klappt das: Laut ihr haben 60 Prozent der Zuh&ouml;rer:innen nie geforscht, und sie m&ouml;chte, dass weniger als jeder Zehnte im Publikum vom Fach ist. Deswegen: Werbung ja, aber bitte nicht im Fachbereich. Wer dann kommt, h&auml;ngt aber auch vom Wo ab: Pilar Calleja Ramos vom Team der Studierendenstadt Heidelberg sagt, sie h&auml;tten zwar Poster in Arztpraxen, Bars und Kleiderl&auml;den aufgeh&auml;ngt, gekommen seien trotzdem fast nur Studierende und Studierte. Das Heidelberger Event fand in einem Teil des Pubs statt, sodass Laufkundschaft spontan dazukommen konnte. &bdquo;Das sind aber immer nur ein bis zwei Leute&ldquo;, sagt Calleja Ramos.
<h2 type="main">Was Zombies uns lehren</h2>
Was bringt Forschung, wenn der Forschungsgegenstand nicht existiert? Auf te Vrugts Folien zur Zombieapokalypse steht, dass sich damit epidemiologische Modelle durchspielen lassen, au&szlig;erdem g&auml;be es &auml;hnliche Effekte bei Tollwut, und hinter dem letzten Spiegelstrich steht: &bdquo;Wenn sie kommen, sind wir vorbereitet &hellip;&ldquo; Vor seinem Kneipenauftritt sei te Vrugt aufgeregter als sonst gewesen. Das Niveau sei nat&uuml;rlich niedriger als im Arbeitsgruppenseminar, die schiere Menge an Leuten aber gr&ouml;&szlig;er.
Te Vrugt befasst sich mit nichtreziproken Wechselwirkungen, also solchen, die nicht wie-du-mir-so-ich-dir agieren. Reziprok w&auml;ren Planeten, die sich gegenseitig anziehen. &Ouml;ltr&ouml;pfchen dagegen verhalten sich nichtreziprok, wenn einer den anderen &uuml;ber die Wasseroberfl&auml;che jagt.2) &Auml;hnlich verhalten sich manche biologische Systeme &hellip; und Zombies: N&auml;hert sich einer davon einem Menschen, wird dieser ihm ebenfalls nicht entgegenkommen. Te Vrugts US-amerikanische Kollegen hatten berechnet, wo es bei einer Zombieapokalypse in den USA am sichersten ist.3) Indem sie mehrere Ausbreitungsmodelle verglichen, schlossen sie darauf, dass die Zombies nach vier Monaten Teile Montanas und Nevadas noch nicht erreicht h&auml;tten. Zu Beginn seien Gro&szlig;st&auml;dte am st&auml;rksten gef&auml;hrdet, weil dort die Bev&ouml;lkerungsdichte hoch ist und sich der Patient Zero eher in der N&auml;he aufh&auml;lt; einen Monat danach die Regionen zwischen Gro&szlig;st&auml;dten. Te Vrugt zufolge &auml;hnelt die Durchseuchung mit Zombies der Coronapandemie: Wie seine mathematischen Modelle im Oktober 2020 als Preprint voraussagten, w&uuml;rde eine fr&uuml;he, strikte Massenquarant&auml;ne eine &Uuml;berlastung des Gesundheitssystems verhindern.4)
<h2 type="main">Didaktisches Wollkn&auml;uelwerfen</h2>
Gelegentlich tun sich die Vortragenden mit K&uuml;nstler:innen zusammen, oder gleich das ganze Publikum wird zum Kunstwerk. Beispielsweise wurden bei einem Auftritt zehn Wollkn&auml;uel zwischen den Zuschauern hin- und hergeworfen, bis ein Netz entstand, erz&auml;hlt Co-Direktorin Schlee. Anschlie&szlig;end war nicht mehr erkennbar, wer mit wem verbunden war. Anhand dieses Bilds illustrierte ein Neurowissenschafter, mit welchen Mikroskopiemethoden er neuronale Netze aus Geweben rekonstruiert. Eine andere Forscherin widmete der Fruchtfliege, einem beliebten weil gen&uuml;gsamen Modellorganismus, ein Lied auf der Ukulele. Und in Heidelberg faltete das Publikum Origami-Figuren; zuvor hatten zwei Heidelberger Professor:innen erkl&auml;rt, wie sich RNA zu winzigen Strukturen falten kann.
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<figcaption><label>Abb.3: </label>Ebenfalls 2024 in Mainz, andere Kneipe. Foto: Pint of Science Mainz</figcaption>
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<h2 type="main">Kein Science Slam mit Bier</h2>
Die Pint-of-Science-Vortr&auml;ge erinnern an Science Slams: Wissenschaftskommunikation auf der B&uuml;hne, normalerweise unverg&uuml;tet. Science-Slam-Auftritte seien jedoch k&uuml;rzer und kompetitiver, weil meist jemand den Tagessieg holt, findet Florian Hof, der selbst Science Slammer ist und das diesj&auml;hrige Pint-of-Science-Event in Mainz mitorganisiert hat. Beim Pint of Science s&auml;&szlig;en die Vortragenden danach statt backstage oft im Publikum, es seien schlicht weniger Leute da und man k&auml;me dadurch leichter mit den Forschenden in Kontakt. Das berichtet auch Schlee. Bei einem Vortrag zu Sch&auml;del-Hirn-Traumata sa&szlig; eine Betroffene im Publikum, die sich zwar nicht w&auml;hrend der Pr&auml;sentation offenbaren wollte, danach jedoch mit der Vortragenden ins Gespr&auml;ch kam.
Hof selbst h&auml;lt Vortr&auml;ge zum zirkadianen Rhythmus, aus dem die Schlaf- und Wachphasen folgen. Die Frage, die er dabei am h&auml;ufigsten h&ouml;rt, lautet: &bdquo;Woher wei&szlig; der K&ouml;rper von Blinden, dass sie schlafen m&uuml;ssen?&ldquo; Sehen und m&uuml;de werden liege an unterschiedlichen Photorezeptoren, die beide auf der Netzhaut sitzen. Die Zapfen und St&auml;bchen sind f&uuml;r das Sehen verantwortlich, stimulierte Blaulichtrezeptoren halten wach. Und hat Hof auf eine Frage ad hoc mal keine Antwort, beschafft er sich Zeit zum Nachdenken: &bdquo;Gute Frage, lass uns das doch gleich bei einem Bier diskutieren.&ldquo; LB
<ul class="references" cited="no" xml:id="nadc20254152831-bibl-0001">
<li xml:id="nadc20254152831-bib-0001">1 Trends Immunol., doi: 10.1016/<a href="https://j.it" target="_blank" rel="noopener">j.it</a>.2016.02.007</li>
<li xml:id="nadc20254152831-bib-0002">2 Nat. Chem., doi: 10.1038/s41557-020-00575-0</li>
<li xml:id="nadc20254152831-bib-0003">3 Phys. Rev. E, doi: 10.1103/PhysRevE.92.052801</li>
<li xml:id="nadc20254152831-bib-0004">4 J. Phys. Commun., doi: 10.1088/2399-6528/abf79f</li>
</ul>

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Auf ein Bier mit einem Zombieforscher

Ende Mai erhaschten Interessierte weltweit einen Blick in den Elfenbeinturm: In 27 Ländern gleichzeitig fand das Pint-of-Science-Festival statt, bei dem Forschende in Kneipen und Cafés ihre Erkenntnisse präsentieren. Dazu gehörte, Garn durch den Pub zu werfen. Michael te Vrugt hat in einer Kneipe...

Interskriptum

In den guten alten Zeiten des Internets dachten wir ja alle, die Spamflut sei das Allerschlimmste, was uns passieren könne. Nun ja, schön wär‘s. In diesem unschuldigen Zeitalter – gemeint sind die Nullerjahre – besuchte ich einmal eine Fortbildung, die versprach: „So gehen Sie effizient mit E-Mails um.“Zwei Dinge lehrte man uns. (Vielleicht auch noch andere, aber diese beiden waren die einzigen, die mich nachhaltig beeindruckten.) Erstens: Es reicht, zweimal in der Woche zu einer festen Zeit in seine Mails zu schauen und diese dann umgekehrt chronologisch abzuarbeiten. Häufig hat sich vieles dann schon von selbst erledigt. Zweitens: Nichts ist so unnötig wie eine Abwesenheitsbenachrichtigung.Über den ersten Ratschlag fegten die Zeitläufte hinweg. Im permanenten Always-on wirkt er heute ähnlich putzig wie der Vorschlag: Schreib doch mal nen Brief. Der zweite Rat ist zwar durchaus sinnvoll, aber kaum jemand hält sich daran. Zum Glück – denn wer möchte schon auf Perlen wie diese verzichten? „This is an automatic reply. Currently and until August XX, I will let the mass of incoming e-mails accumulate. It might well become supercritically dense and collapse. If you would like your message to contribute to more than an accretion disk, please do send it to me again after August XX, otherwise the information might become lost behind the horizon.“Das hat genau den Nerd-Faktor, für den wir die Physiker so lieben. Für alle, die in den unendlichen Weiten der Astrophysik nicht so zuhause sind: Eine Akkretionsscheibe rotiert um ein zentrales Objekt und transportiert Materie zum Zentrum.Überhaupt scheinen sich die Phänomene der Astrophysik und der Out-of-office-Mitteilungen zu ähneln. Kennen Sie die unendliche Schleife? Die funktioniert so: Abwesenheitsbenachrichtigung des Kollegen A: „Bis zum Tag Irgendwann bin ich out of office. In dringenden Fällen wenden Sie sich an Kollegin B.“ Die Mail an Kollegin B liefert: „Bis zum Tag Irgendwann bin ich out of office. In dringenden Fällen wenden Sie sich an Kollegen A.“ Je nach Größe der Abteilung lassen sich auch Ketten konstruieren. A-B-C-D-A- … Sadisten erweitern das System als Knotenpunkt mit mehreren ins Out-of-office laufenden Weiterleitungen.Hat übrigens jemand einen KI-Prompt, der Outlook dazu bringt, den Weiterverweis der Abwesenheitsbenachrichtigung auf einen beliebig ausgewählten (abwesenden) Kollegen zu richten? Wenn Sie es wissen, schreiben Sie mir eine Mail. Hihi.Im Interskriptum schreibt Nachrichten-Chefredakteur Christian Remenyi über Chemisches und Komisches – und was sich sonst noch so im Zettelkasten der Redaktion findet. <a href="mailto:nachrichten@gdch.de">nachrichten@gdch.de</a>

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