Bildung + Gesellschaft

Lange gingen Naturwissenschaftler und Künstler getrennte Wege, jetzt finden sie wieder zueinander. Gemeinsam machen sie auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam und laden zum Umdenken ein.
Leonardo da Vinci (1475 – 1564) malte nicht nur die Mona Lisa, sondern erforschte auch die menschliche Anatomie. Maria Sibylla Merian (1647 – 1717) begründete die Insektenkunde und wurde mit ihren Bildern von Pflanzen und Schmetterlingen berühmt. Beide belegen, wie eng Kunst und Naturwissenschaft einst verknüpft waren. Doch dann spezialisierte sich die Wissenschaft immer stärker, während die Kunst immer freier wurde. Das gegenseitige Verständnis und das Interesse aneinander sanken.Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass Künstler und Naturwissenschaftler wieder aufeinander zugehen. Gemeinsam wenden sie sich an die Öffentlichkeit, um auf Probleme wie den Klimawandel oder die Verschmutzung mit Mikroplastik aufmerksam zu machen. Im Senckenberg-Naturmuseum in Frankfurt etwa war in der ersten Jahreshälfte – wegen der Covid-19-Pandemie leider nur für kurze Zeit geöffnet – die Schau „Making Crises Visible“ zu sehen. Das Projekt beruhte auf einem anderthalbjährigen Austausch von Wissenschaftlern mit Studenten künstlerischer Fächer aus Deutschland und China. „Die Verbindung von Wissenschaft und Kunst bietet ein außergewöhnliches Potenzial, durch das wir einen Dialog über Themen von globaler Bedeutung anregen wollen“, sagte die Frankfurter Biologieprofessorin Kathrin Böhning-Gaese, Leiterin des Senckenberg-Programms Wissenschaft und Gesellschaft, bei der Ausstellungseröffnung im Februar.Das Senckenberg-Museum zeigte 50 künstlerische Arbeiten, die aus der Kooperation hervorgegangen waren. Zwischen den Dinosaurierskeletten etwa stand eine Maschine, mit der Paul Pape von der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach Feinstaubpartikel aus der Luft gefiltert hatte und so sichtbar machte. Die Filtermatten erinnerten an große abstrakte Gemälde auf einer Leinwand.Ein Korallenriff war ebenfalls in der Ausstellung zu sehen: Bunt und schön auf den ersten Blick entpuppte es sich als Halde aus Kunststoffprodukten – ein Werk der HfG-Studenten Xinyu Chen, Chunhua Chen und Tania Felske.<h2>Inspiration aus der Forschung</h2>Mit der Plastikverschmutzung der Ozeane beschäftigt sich die Künstlerin Swaantje Güntzel seit über zehn Jahren. Güntzel studierte an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, wo sie heute noch lebt und arbeitet, und hat zudem einen Abschluss in Ethnologie. „Der Kontakt mit Wissenschaftlern war für mich immer selbstverständlich“, sagt sie und betont, wie offen Forscher ihren Ideen begegnen und sie bei der Umsetzung unterstützen. So hat sie für ihre Arbeiten schon Plastikmüll verwendet, den Meeresbiologen aus den Mägen von Albatrossen isoliert und ihr zur Verfügung gestellt hatten.Als Künstlerin dürfe sie zwar subjektiv interpretieren und intuitiv arbeiten, meint Güntzel, eine solide Grundlage aber sei ihr wichtig. Den Anstoß für ihre Arbeit „Microplastics III/Discofish“ aus dem Jahr 2016 etwa gab ein wissenschaftlicher Konferenzvortrag über Mikroplastik. Güntzel erfuhr, wie man winzige Glitzerpartikel aus Kosmetikprodukten isoliert und versah eine tote Scholle damit. Im Kunstbetrieb stieß sie mit ihren Werken anfangs auf erheblichen Widerstand. Ständig musste sie sich gegen den Vorwurf wehren, sie sei keine Künstlerin, sondern Umweltaktivistin. Außerdem galten ihre Themen in der Szene als zu anstrengend. Seit kurzem aber bemerkt sie einen Wandel: „Ein Großteil der Ausstellungshäuser, die mich anfragen, sucht eine starke Verzahnung zur Wissenschaft.“ Noch bis zum 8. November zeigt Güntzel ihre Arbeiten in der Gruppenausstellung „Zero Waste“ im Museum der bildenden Künste in Leipzig.<h2>Quantenphysik als Kunstobjekt</h2>Zu den ersten Ausstellungsmacherinnen unserer Zeit, die Wissenschaft und Kunst wieder vereinten, gehört die amerikanisch-italienische Kunsthistorikerin Carolyn Christov-Bakargiev. Wissenschaftler und Künstler hätten gemein, „dass sie Rechercheure sind, sie machen Grundlagenforschung“, sagte sie vor acht Jahren in einem Interview. Damals leitete sie die Documenta, die als weltweit wichtigste Ausstellung für zeitgenössische Kunst alle fünf Jahre in Kassel stattfindet. In ihr elfköpfiges Beraterteam hatte sie mehrere Naturwissenschaftler berufen: einen Immunologen, einen Entwicklungsbiologen, eine Biologin und Wissenschaftshistorikerin sowie den Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger. Ihn gewann sie zugleich dafür, sich aktiv an der Ausstellung zu beteiligen: Zeilinger und seine Mitarbeiter zeigten 2012 in Kassel physikalische Experimente zu verschränkten Photonen. Christov-Bakargiev sah in der von ihr kuratierten Documenta ein „Laboratorium, wo Allianzen im Dialog entstehen“ und zugleich eine „große Feier der Kräfte der Imagination“, um auf kritische Situationen zu reagieren.Wenn Kunst auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam macht, ist mit der feierlichen Stimmung allerdings schnell Schluss. Während Swaantje Güntzels Performances im öffentlichen Raum, bei denen sie Plastikmüll an einem Ort einsammelt und unweit davon wieder inszeniert in der Umwelt verteilt, erlebe sie eine „absurde Agressivität“, werde beschimpft, angespuckt und sehe sich anschließend Shitstorms in den sozialen Medien ausgesetzt. Angesichts dessen fragt sie sich, wen sie mit ihren Arbeiten eigentlich erreiche, besser: Wer sich überhaupt erreichen lassen wolle?Die Covid-19-Pandemie hat den Klimawandel und die Plastikvermüllung der Umwelt aus den Schlagzeilen gedrängt. Umso wichtiger ist es, dass Wissenschaft und Kunst weiterhin mit vereinter Kraft darauf aufmerksam machen.Uta Neubauer ist freie Wissenschaftsjournalistin. Die promovierte Chemikerin arbeitet als Autorin und Redakteurin in Bad Soden am Taunus.<figure><img src="https://media.graphcms.com/cSXUQGmPSvO3ezhdDFPa"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Filtermatten mit Feinstaubpartikeln, die der Künstler Paul Pape von der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach aus der Luft gefiltert hat. Zu sehen während der Ausstellung „Making Crises Visible“ im Frankfurter Senckenberg-Museum. Foto: Uta Neubauer</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/WUCG5EPQjyb1NNhVieaC"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Ein Korallenriff aus Kunststoffprodukten in der Ausstellung „Making Crises Visible“, geschaffen von Xinyu Chen, Chunhua Chen und Tania Felske.</figcaption></figure>

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Abstrakte Malerei mit Feinstaub

Lange gingen Naturwissenschaftler und Künstler getrennte Wege, jetzt finden sie wieder zueinander. Gemeinsam machen sie auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam und laden zum Umdenken ein. Leonardo da Vinci (1475 – 1564) malte nicht nur die Mona Lisa, sondern erforschte auch die menschliche Anat...

Die Universitäten bilden Polymerchemiker zu Experten aus, die Industrie verwandelt sie in Generalisten. Drei Chemikerinnen und ein Chemiker berichten über ihren Berufseinstieg bei Kunststoffherstellern und wie es weiterging.
<h2>„Niemals langweilig“</h2>Seit Juni 2019 arbeitet Maresa Sonnabend bei Covestro, und zwar als Managerin für Forschung und Entwicklung in der Abteilung New Technologies. In ihrer Position sucht sie konzernübergreifend nach Innovationsmöglichkeiten für Komposite und nachhaltige Chemie, etwa bei biobasierten Monomeren oder Recyclingtechniken. Zudem evaluiert sie Technology Scouting Tools. Das sind elektronische Datenbanken, die der Wissenschaftlerin und ihren Kollegen dabei helfen, auf dem neusten Stand zu bleiben und Literatur, Marktberichte oder Patente zu bestimmten Themen schnell zu finden und so zeitaufwendige manuelle Recherche zu vermeiden. Nicht alle diese Tools auf dem Markt eignen sich gleichermaßen für die Zwecke bei Covestro.<figure><img src="https://media.graphcms.com/cFZIxryiQKGBSC9tlDAz"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Managt bei Covestro konzernübergreifende Kooperationen: Maresa Sonnabend. Foto: Anne Kutz</figcaption></figure>
Die fachliche Grundlage sicherte ihr die Promotion über biobasierte Bausteine für Polyurethansysteme. Geforscht hat sie dafür an der TH Köln und eng mit der Universität Köln zusammengearbeitet.Da es für Polymere so viele unterschiedliche Anwendungen gebe, werde die Arbeit niemals langweilig, meint Sonnabend. Ihren Berufseinstieg beschreibt sie als eher untypisch: Anders als viele Chemiker hat sie nicht als Laborleiterin angefangen. Covestro hatte ihre Stelle ausgeschrieben, und sie bewarb sich darauf.Interessiert hat sie unter anderem, dass sie auf dieser Position das gesamte Unternehmen und seine Chemie kennenlernt sowie ein Netzwerk aufbauen kann. Denn zu ihren Aufgaben gehört es, Kooperationen mit Kollegen aus allen Geschäftsbereichen des Unternehmens sowie externen Partnern aufzubauen und zu managen. Dadurch weiß sie nun, in welche Richtung sie sich beruflich entwickeln möchte.<h2>„Ich habe den Sinn in der Polymerchemie gesehen“</h2>Seit zwei Jahren arbeitet Sonja Schmidt bei BASF Polyurethanes in Lemförde, dem Standort für die globale Polyurethanforschung des Konzerns. Als Laborleiterin mit zwei Mitarbeiterinnen entwickelt sie Hartschaumanwendungen, unter anderem Dämmplatten für Industriebauten oder Kühlschränke. Die Forschungsprojekte, die sie betreut, sind langfristig, entsprechend hat sie nur gelegentlich Kontakt mit Kunden. Schmidts Projekte widmen sich grundlegenden Fragen bis auf die molekulare Ebene. „Wir wollen stetig die Dämmleistung unserer Produkte verbessern.“<figure><img src="https://media.graphcms.com/evv3feG2Siq3ajt9wd7H"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Betrachtet bei BASF Polyurethanes Produkte auf molekularer Ebene: Sonja Schmidt.</figcaption></figure>
Für Polymerchemie interessiert sich Schmidt seit Studienbeginn. Diese Richtung in der Chemie sei näher an der Anwendung als andere, es kam ihr sinnvoll vor, sich damit zu befassen. „Kunststoffe sind überall“, meint sie, „vom Laptop bis zur Zahnbürste.“ Entsprechend wählte sie ihre Bachelor- und Masterarbeit und promovierte über kontrollierte Polymerisationen und Oberflächenfunktionalisierung.Der Arbeitskreis an der Universität Göttingen, in dem sie promovierte, war in der physikalischen Chemie. Fachlich fühlte sie sich gut vorbereitet, sie kannte sich grundlegend mit Polymeren und den Analysenmethoden aus.Beim Berufseinstieg vermisste sie Soft Skills. „Die Promotion managt man oft allein“, sagt sie, an Industrieprojekten seien immer mehrere Partner beteiligt, externe wie interne. Daher empfiehlt sie allen, die in der Industrie arbeiten möchten, sich während des Studiums Kenntnisse in Projektmanagement anzueignen. Und die Betreuung von Studenten an der Universität ist etwas völlig anderes als die Leitung einer Arbeitsgruppe aus berufserfahrenen Laboranten.Erleichtert hat ihr, dass ihre Mitarbeiter sehr selbstständig arbeiten. „Ich kann mit ihnen richtig gut diskutieren, über die Versuche, die Ergebnisse, das macht viel Spaß.“ Dazu kommt, dass das Team in der Forschung jung ist, viele Kollegen kommen wie sie direkt von der Universität.<h2>„Unsichtbare Polymere“</h2>Mit Kunden zu arbeiten wünschte sich Holger Pletsch, als er vor fünf Jahren von der Universität kam. Bei Evonik stieg er in die Forschungsabteilung ein und entwickelte dort als Projektmanager und Gruppenleiter den Kundenbedürfnissen entsprechende neue Produkte.<figure><img src="https://media.graphcms.com/AXxpH3SDRlWOpyrv8WJz"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Anwendungsentwicklung bei Evonik: Holger Pletsch arbeitet gerne mit Kunden.</figcaption></figure>
Es sei ihm leicht gefallen, nach dem Berufseinstieg innerhalb des Unternehmens ein Netzwerk aufzubauen. Das half ihm dabei, sich nach drei Jahren beruflich weiterzuentwickeln. Heute verantwortet er am Standort Darmstadt Kooperationsprojekte in der Anwendungsentwicklung. Er betreut Schmierstoffhersteller in Europa, dem Nahen Osten und in Afrika, die polymere Additive in ihren Getriebeölen oder Hydraulikflüssigkeiten einsetzen, und beantwortet deren technische Fragen.Promoviert hat Holger Pletsch über Nanokomposite. In dieser Zeit habe er auch gelernt, Ergebnisse akkurat zu dokumentieren, sich die Zeit einzuteilen und vor allem komplexe Zusammenhänge verständlich zu erklären. „Dies zählt heute zu meinen wichtigsten Fähigkeiten“, betont er und rät Promovierenden daher, sich so oft wie möglich aktiv an Messen und Tagungen zu beteiligen.<h2>„Ich habe gelernt, eine Produktion aufzubauen und zu betreiben“</h2>Anders als Sonja Schmidt hatte Sabrina Mondrzyk nicht von Anfang an vor, sich auf Polymerchemie zu spezialisieren. Sie studierte in Düsseldorf Wirtschaftschemie – und bei Wirtschaftchemikern sind Promotion und Berufseinstieg in Forschung und Entwicklung ungewöhnlich. „Mir hat die Arbeit am Lehrstuhl so gut gefallen, dass ich länger an der Uni bleiben wollte“, berichtet Mondrzyk. Sie promovierte über molekulare Erkennung polymergebundener Isomere.<figure><img src="https://media.graphcms.com/YXUpoOFHTMejI5MVLF9s"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Hat in der Praxis bei Evonik Erfahrungen in der Produktion gesammelt: Sabrina Mondrzyk.</figcaption></figure>
Im Jahr 2012 begann sie bei Evonik in Marl als Laborleiterin und entwickelte mit ihrem Team Polymere für die Beschichtung von Metallbändern und Folien, die für Lebensmittelverpackungen verwendet werden. Für diese Anwendung entwickelte sie neue Polyester, in ihrer Doktorarbeit hatte sie sich mit Polyamiden befasst. Mondrzyk ging davon aus, dass die Ähnlichkeit der beiden Polymerklassen groß genug sei, um schnell in den neuen Beruf zu finden.Die Unterschiede zwischen Universitätslabor und Industriebetrieb waren dann aber größer als die zwischen zwei Monomeren. „Die Industrie nutzt andere Reaktionsführungen“, sagt Mondrzyk. Ein Großteil der Arbeit besteht im Austausch und der Zusammenarbeit mit Kollegen und Mitarbeitern. Mondrzyk übernahm bei Evonik von Beginn an Verantwortung für ein Labor und ein Technikum mit insgesamt sechs Mitarbeitern und betreute fünf Projekte parallel. Dazu kam das Tagesgeschäft, „das kannte ich aus der Promotion ja gar nicht.“ Es konnte vorkommen, dass jemand aus der Produktion anrief, weil mit einem Rohstoff etwas nicht stimmte, „und ich hatte auf einmal über die Freigabe zu entscheiden.“Nach ein paar Jahren F+E wurde eines ihrer Prozessentwicklungsprojekte in die Produktion überführt und realisiert; sie übernahm die Projektverantwortung für den Neuanlagenbau. „Dabei habe ich gelernt, wie man eine Produktionsanlage plant, baut und betreibt, mit all den prozesstechnischen Details.“ Diese Erfahrungen seien heute für sie sehr wertvoll.Seit einem Jahr leitet Sabrina Mondrzyk das technische Marketing der Produktgruppe Hot Melts, das sind vor allem Klebstoffrohstoffe. Sie entwickelt die Strategie der Produktgruppe, analysiert Märkte, sucht nach neuen Kunden und Anwendungen und bewertet, welche Produkt- und Prozessentwicklungen zur Strategie passen.Die Polymerchemiker und mit ihnen die gesamte chemische Industrie sieht sie vor einer der schwierigsten und gleichzeitig wichtigsten Aufgaben: zu lernen, noch umwelt- und klimaschonender zu produzieren, sowie Kreislaufwirtschaft zu etablieren.Nachrichten-Redakteurin Frauke Zbikowski war mal Spektroskopikerin. Daher hat sie jede ihrer Gesprächspartnerinnen gefragt, warum sie sich für Polymerchemie interessieren. Und war von deren Begeisterung überrascht.

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Abstrakte Malerei mit Feinstaub

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