Bildung & Gesellschaft

Prof.Dr.

Um Schülern zu zeigen, wie wasserlösliche Ionen unpolare Barrieren durchdringen, eignen sich Versuche mit Kronenethern. Sie dienen als Modelle für Transportermoleküle, die diese Funktion bei lebenden Zellen übernehmen.
In dem Beitrag „Zur Redoxchemie und Toxikologie von Chromverbindungen“ haben wir eine Unterrichtseinheit beschrieben, die die Thematik anhand des Spielfilms „Erin Brockovich“ behandelt.1,2)Der Film aus dem Jahr 2000 mit Julia Roberts in der Hauptrolle schildert einen der größten Umweltskandale in den USA der 1990er Jahre: In der kalifornischen Gemeinde Hinkley erkrankten auffällig viele Menschen an Krebs, was offensichtlich im Zusammenhang mit chromatverseuchtem Trinkwasser stand. Wie Recherchen schließlich ergaben, hatte das Unternehmen Pacific Gas &amp; Electric (PB&amp;E) jahrelang Chrom(VI)-Verbindungen ins Grundwasser geleitet.Die Unterrichtseinheit wirft Leitfragen zur Toxizität von Chrom(VI)-Verbindungen auf, vergleicht sie mit der relativen Unbedenklichkeit von Cr(III)-Verbindungen und beantwortet sie experimentell. Dabei erarbeiten die Schüler, dass es in der Biomembran menschlicher Zellen offensichtlich einen Transportmechanismus geben muss, der das Chromation – wie das Sulfation – durch die Biomembran in das Zellinnere schleust.Für den Unterricht wäre nun ein Modellexperiment hilfreich, das demonstriert, wie Ionen durch Biomembranen gelangen – das also die Permeation von Ionen durch eine unpolare Phase veranschaulicht. Kronenether bieten eine experimentell recht einfache und anschauliche Möglichkeit, den Transport von Ionen durch eine Biomembran nachzustellen.<h2>Entdeckung, Struktur und Eigenschaften von Kronenethern</h2>Kronenether (Coronanden) sind cyclische Polyether, deren Sauerstoffatome über Ethanbrücken verknüpft sind. Im Jahr 1967 entdeckte sie der Amerikaner Charles J. Pedersen per Zufall. Er erhielt hierfür im Jahr 1987 zusammen mit Donald J. Cram und Jean-Marie Lehn den Nobelpreis für Chemie.Pedersen versuchte, Bis(2-chloroethyl)ether mit einem an einer OH-Gruppe geschützten Brenzcatechin, das mit ungeschütztem Brenzcatechin verunreinigt war, zum nichtcyclischen Benzolderivat Bis[2-(o-hydroxyphenoxy)ethyl]ether umzusetzen; dabei entstanden neben dem gewünschten Produkt 0,4 % des cyclischen Ethers (4) (Abbildung 1).<figure><img src="https://media.graphcms.com/8p8Jl9cfQ3iWIkqkZWns"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Synthese eines Kronenethers aus der Veröffentlichung von Charles Pedersen.3)</figcaption></figure>
Wie Pedersen feststellte, hat der cyclische Ether ungewöhnliche Eigenschaften: Er ist unlöslich in Methanol, löst sich allerdings nach Zugabe von Natrium- oder Kaliumsalzen. Mit einem Kronenether lassen sich Natrium- und Kaliumsalze in unpolaren Lösungsmitteln wie Benzol oder Chloroform lösen. Pedersen erklärte dies dadurch, dass der Kronenether das Kation des Salzes komplexiert. Aus Elektroneutralitätsgründen muss das Anion dem solvatisierten Kation dann in die organische Phase folgen.4)Bereits vor Pedersens Experiment wurden Naturstoffe entdeckt, die in ihrem Molekülinneren Alkalimetallkationen aufnehmen und durch Biomembranen transportieren (Ionophor). Ein Beispiel ist das Makrolidantibiotikum Valinomycin, das im Jahr 1955 aus Stryptomyces fulvissimus isoliert wurde (Abbildung 2); der Transportmechanismus ist entscheidend für die antibiotische Wirkung.<figure><img src="https://media.graphcms.com/6Rp22k4HSTeruaYeSePP"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Strukturformel des Ionophors Valinomycin;5 ) Valinomycin zählt zu den Macrolidantibiotika.</figcaption></figure>
Ähnlich wie Valinomycin verfügen Kronenether über eine Hydrophilie-Lipophilie-Balance: Kronenether sind über entsprechende Konformationsänderungen in der Lage, sich sowohl in hydrophilen als auch in lipophilen Medien zu lösen. In hydrophilen Medien zeigen die polaren Sauerstoffenden der Kronenether nach außen, in lipophilen Medien ist die Polarität umgekehrt.Bei einem Kronenether sind die Sauerstoffatome nach innen gerichtet, während die unpolaren CH2-Gruppen nach außen zeigen. Der Kronenether ist somit in lipophilen Medien wie Dichlormethan oder Chloroform löslich. Darüber hinaus entsteht ein hydrophiler, elektronenreicher Hohlraum, der spezifisch Kationen komplexiert.Mit den Kronenethern stehen Transportvehikel zur Verfügung, mit denen sich im Unterricht der Transport von Ionen aus einer hydrophilen Phase durch eine unpolare in eine hydrophile, wässrige Phase experimentell veranschaulichen lässt.<h2>Modell für den Ionentransport durch eine Biomembran</h2>Ein Modellsystem macht den Transport von Stoffen durch Biomembranen sichtbar. Gleichzeitig zeigt es die Funktion von Biomembranen als Trennschicht zwischen verschiedenen wässrigen Bereichen einer lebenden Zelle oder auch zwischen dem Zellinneren und dem Zellaußenraum.Die Lehrerdemonstrationsversuche zeigen, dass Kronenether Kationen aus einer wässrigen Phase durch eine unpolare Phase transportieren und in eine angrenzende wässrige Phase überführen. Die vollständigen Versuchsbeschreibungen gibt es zum Herunterladen unter <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.nachrichtenausderchemie.de/downloads" target="_blank">www.nachrichtenausderchemie.de/downloads</a></ext-link>.<h2>Permeation von Kaliumpermanganat durch Dichlormethan</h2>Sämtliche Experimente werden in einem U-Rohr durchgeführt (Abbildung 3). In den rechten Schenkel des U-Rohrs gibt der Lehrer Wasser, in den linken Schenkel schichtet er die Kaliumpermanganatlösung auf die Dichlormethanphase. Anschließend gibt er die Kronenetherlösung ([18]-Krone-6-Ether)-Lösung) zu.<figure><img src="https://media.graphcms.com/KuX5nawCQFGEBGvF6mgs"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Versuchsaufbau zum Ionentransport (hier Kaliumpermanganat) durch Kronenether mit U-Rohr und Magnetrührer.</figcaption></figure>
Bereits nach kurzer Zeit sind violett gefärbte Schlieren in der unpolaren Phase zu beobachten, und die Intensität der Farbe nimmt mit der Versuchsdauer zu (Abbildung 4).<figure><img src="https://media.graphcms.com/81oHYaNTbytVVRfg3nxw"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Transport von Permanganationen durch Dichlormethan nach Zugabe von [18]- Krone-6-Lösung. Die Bilder wurden (I) 1 Sekunde, (II) 1 Minute, (III) 5 Minuten und (IV) 20 Minuten nach Zugabe des Ethers aufgenommen.</figcaption></figure>
Der Kronenether [18]-Krone-6 kann mit einem Hohlraumdurchmesser von 260 bis 320 pm genau ein Kaliumion (266 pm) einlagern und dient in diesem Experiment als Modellsubstanz für einen spezifisch wirkenden Ionentransporter in einer Biomembran. Die unsolvatisierten Permanganationen wandern als assoziierte Ionen mit, wodurch der Transport durch die unpolare Phase über die Farbe schön zu verfolgen ist.Mit einer Modellbetrachtung lassen sich die Vorgänge auf submikroskopischer Ebene im Unterricht visualisieren (Abbildung 5).<figure><img src="https://media.graphcms.com/uUDAiheYTHiF95jfVvpN"><figcaption><label>Abb. 5: </label>Modellbetrachtung der Permeation von Kaliumpermanganat durch Dichlormethan nach Zugabe von [18]-Krone-6-Lösung zu Beginn des Experiments (oben) und im weiteren Verlauf bis zirka 20 Minuten nach Zugabe des Ethers (unten).</figcaption></figure>
<h2>Permeation von Kaliumchromat durch Dichlormethan</h2>Ein Experiment mit Kaliumchromat wird genauso durchgeführt wie der Versuch mit Kaliumpermanganat. Statt der Kaliumpermanganatlösung wird eine Kaliumchromatlösung verwendet.Zunächst bleibt die Farbe in der unpolaren Phase gleich. Säuert man die Lösung jedoch mit Schwefelsäure an, färbt sich die Lösung orange (Abbildung 6), und nach kurzer Zeit treten gelb gefärbte Schlieren in die unpolare Phase über. Die Farbintensität nimmt mit der Versuchsdauer zu; nach zirka 30 Minuten ist die gesamte Dichlormethanphase gelb gefärbt. Nach etwa einer Stunde färbt sich schließlich auch die wässrige Phase im rechten Schenkel des U-Rohrs gelb.<figure><img src="https://media.graphcms.com/WrKYFvgdTFqsofn16hha"><figcaption><label>Abb. 6: </label>Transport von Kaliumchromat durch Dichlormethan nach Zugabe von [18]-Krone-6-Lösung und Schwefelsäure. Die Bilder wurden (I) 1 Sekunde, (II) 1 Minute, (III) 30 Minuten und (IV) 60 Minuten nach Zugabe des Ethers aufgenommen.</figcaption></figure>
Die zunächst nicht zu beobachtende Gelbfärbung der unpolaren Phase (kein Durchtritt von Chromationen) ist mit der unterschiedlichen Ladung der Ionen zu erklären: Das Permanganation ist einfach negativ geladen, das Chromation liegt hingegen zweifach negativ geladen vor. Der Transport eines zweifach negativ geladenen, unsolvatisierten Ions durch eine unpolare Phase ist energieaufwendig und findet unter diesen Bedingungen daher nicht statt. Durch das Ansäuern entstehen Hydrogenchromationen, die mit Dichromationen im Gleichgewicht stehen. Das gemäß der GleichungCrO42– + H+ N HCrO4–entstehende Hydrogenchromation spaltet in wässriger Lösung Wasser ab, sodass folgendes Gleichgewicht vorliegt:2 HCrO4– a H2O + Cr2O72–In Gegenwart der Hydrogenchromationen übernimmt der Kronenether im Modellexperiment erneut die Funktion eines Carriers, lagert ein Kaliumion ein und schleust assoziierte unsolvatisierte Hydrogenchromationen durch die unpolare Phase.<h2>Kaliumiodid als Modellsubstanz</h2>Die Permeation von Ionen durch eine unpolare Phase und der Eintritt in eine polare Phase lässt sich modellhaft wie im Versuch mit Permanganat auch mit Kaliumiodid zeigen.Im linken Schenkel des U-Rohrs befindet sich die KI-Lösung, im rechten Schenkel wird die wässrige Phase mit einigen Tropfen Silbernitratlösung versetzt. Nach zirka zwei Minuten zeigt sich im rechten Schenkel an der Phasengrenzfläche eine gelblich-weiße Trübung, die sich im weiteren Verlauf des Versuchs verstärkt (Abbildung 7, S. 624).<figure><img src="https://media.graphcms.com/LmYJQswgQgGGA3R8axFU"><figcaption><label>Abb. 7: </label>Transport von Kaliumiodid durch Dichlormethan nach Zugabe von [18]-Krone-6-Lösung. Die Bilder wurden 1 Sekunde (links), und 30 Minuten (rechts) nach Zugabe des Ethers aufgenommen.</figcaption></figure>
Ganz offensichtlich transportiert auch hier der Kronenether die Kaliumionen und unsolvatisierte Iodidionen durch die unpolare Dichlormethanphase. An der Grenzfläche Dichlormethan/Wassser im rechten Schenkel sind die Iodidionen durch Silbernitrat als Silberiodid nachweisbar.<h2>Fazit</h2>Der besondere Reiz der Experimente liegt in der Farbigkeit des Ionentransports. Dadurch können Schüler den Transport durch die unpolare Phase gut verfolgen.Gleichwohl sollten Lehrer neben der Phänomenebene auch immer die Teilchenebene in den Unterricht integrieren, damit die Schüler den Verlauf des Ionentransports durch den Kronenether nachvollziehen.Will man klären, wie bestimmte Giftstoffe ins Zellinnere gelangen, hat man ein Modellexperiment zur Verfügung, das den Eintritt von Cr(VI)-Verbindungen durch ein unpolare Phase (Biomembran) in eine wässrige Phase (Zellinnere) zeigt. Damit lassen sich neben den rein chemischen Aspekten wie Redoxchemie, Phasentransferkatalyse oder Polaritäten Themen aus Biologie oder Biochemie erarbeiten, etwa Membranaufbau, Stofftransport oder Redoxchemie mit biologisch relevanten Reduktionsmitteln.Weiterführende Informationen zu den Versuchen einschließlich Versuchsaufbau stehen unter <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.nachrichtenausderchemie.de/downloads" target="_blank">www.nachrichtenausderchemie.de/downloads</a></ext-link>.Die experimentell-konzeptionell ausgerichtete chemiedidaktische Forschung hat zum Ziel, zukunftsweisende Themen für Schüler im Chemieunterricht zugänglich zu machen, In den Nachrichten aus der Chemie stellen Wissenschaftler dazu ihre Ergebnisse vor.<h2>Quergelesen</h2>Kronenether komplexieren Alkalikationen und machen Salze so in unpolaren Medien löslich.Mit farbigen Stoffen wie Kaliumpermanganat oder Kaliumdichromat lässt sich der Transport von Ionen mit Kronenethern durch unpolare Lösungsmittel direkt beobachten.Ähnlich wie Kronenether funktionieren natürliche Transportermoleküle, die Stoffe durch die lipophile Zellmembran bringen.<h2>Vitakasten</h2>Jens Friedrich studierte an der Universität Oldenburg Chemie und Biologie für das Lehramt an Gymnasien und promovierte dort. Nach dem 2. Staatsexamen im Jahr 1999 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften, IPN, in Kiel, bis er im Jahr 2000 als Studienrat an das Lothar-Meyer-Gymnasium in Varel wechselte und parallel dazu an der Universität Oldenburg als Lehrbeauftragter arbeitete. Seit 2004 ist er Professor für Chemie und Chemiedidaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Friedrich leitet die Arbeitsgruppe Experimentalunterricht der Fachgruppe Chemieunterricht.<div><img src="https://media.graphcms.com/CgiuD3aRQl25zvYLbuzK">

</div>Marco Oetken, Jahrgang 1967, hat seit dem Jahr 2006 an der PH Freiburg einen Lehrstuhl für Chemie und ihre Didaktik inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind die experimentelle und konzeptionelle Erschließung neuer Themenfelder für praxisorientierten Chemieunterricht, zum Beispiel Perspektiven nachhaltiger Energieversorgung. <a href="mailto:marco.oetken@ph-freiburg.de">marco.oetken@ph-freiburg.de</a><div><img src="https://media.graphcms.com/sLvLUCoYQQWP70zfvvyB">

</div>
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 The Cognition and Technology Group at Vanderbilt, The Jasper Projekt: Lessons in Curriculum, Instruction, Assessment and Professionals Development. Lawrence Erlbaum Associates, New York 1997</li><li>
2 J. Friedrich, M. Oetken, „Redoxchemie und Toxikologie von Chromverbindungen Eine experimentelle und fachübergreifende Unterrichtseinheit zur Redoxchemie und zur Toxikologie von Chromverbindungen im Rahmen des ChemCi-Projekts – inszeniert und illustriert mit Szenen aus dem Spielfilm „Erin Brockovich““, Prax. Naturwiss., Chem. Sch. 2012, 61 (8), 34–43.</li><li>
3 F. Vögtle, Supramolekulare Chemie, Teubner-Verlag, Stuttgart 1992 .</li><li>
4 C. J. Pederson, „Die Entdeckung der Kronenether (Nobel-Vortrag)“, Angew. Chem. 1988, 100, S. 1053–1059.</li><li>
5 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.chemicalbook.com/ChemicalProductProperty_DE_CB7199194.htm" target="_blank">www.chemicalbook.com/ChemicalProductProperty_DE_CB7199194.htm</a></ext-link>(Stand: 09.11.2017)</li></ul>

Artikel

Wie Chromat in die Zelle gelangt

Um Schülern zu zeigen, wie wasserlösliche Ionen unpolare Barrieren durchdringen, eignen sich Versuche mit Kronenethern. Sie dienen als Modelle für Transportermoleküle, die diese Funktion bei lebenden Zellen übernehmen. In dem Beitrag „Zur Redoxchemie und Toxikologie von Chromverbindungen“ haben w...

OStR.

Für den Chemieunterricht ist die Wöhlk-Probe auf Laktose noch immer ein interessantes Nachweisverfahren, auch wenn sie in Kliniklaboren heute überholt ist. Vor 150 Jahren kam ihr Erfinder auf die Welt.
Den Namen Alfred Wöhlk kennen Pharmaziestudenten, Mediziner und neuerdings auch Chemielehrkräfte durch die Wöhlk-Probe. Sie war eines der ersten Nachweisverfahren für Milchzucker, Laktose – allerdings nicht ganz spezifisch: Sie funktioniert auch mit Maltose, Cellobiose und Laktulose.Im Jahr 1904 suchte Alfred Wöhlk (1868 – 1949, Kasten S. 628) an der Pharmazeutischen Lehranstalt Kopenhagen nach „Spezialreagenzien auf die einzelnen Kohlehydrate“.1) Zwar gab es schon „überaus feine Reagenzien sowohl auf Pentosen als auch Hexosen“, aber beispielsweise Milchzucker von Traubenzucker zu unterscheiden, war noch nicht möglich.In Anlehnung an Experimente von Barfoed mit Natronlauge, „kohlensauren Alkalien“ und Kalkmilch untersuchte Wöhlk das Verhalten verschiedener Zucker mit Ammoniaklösung. Er „hätte fast schon das Weiterverfolgen dieses Versuchs aufgegeben“, als sich nach einer halben Stunde die Farbe der Versuchlösung änderte: Sie wurde kräftig rosa.Kurze Zeit später griff der Urologieprofessor Hans Malfatti aus Innsbruck die Versuchsvorschrift von Alfred Wöhlk auf und verbesserte sie, indem er wenige Tropfen 1-molare Kalilauge dazugab, um mit dem Verfahren den Urin von Patienten zu untersuchen.2) Die Kalilauge stellt sicher, dass die Lösung einen pH-Wert von mindestens 11 einhält. Urin ist normalerweise leicht sauer, der Toleranzbereich liegt zwischen pH 4,8 bis 7,6, und Urin puffert, etwa durch Phosphate. Außerdem beschleunigt die Kalilauge die Reaktion leicht.Streng genommen müsste die Reaktion nun „Wöhlk-Malfatti-Probe“ heißen, aber im Jargon unzähliger Pharmazie- und Medizinstudenten, Laboranten, Medizinisch-Technischer Assistenten und Laboratoriumsassistenten heißt sie nur „die Wöhlk-Probe“. Sie wurde fortan in unzähligen Arzt- und Krankenhauslabors angewendet, um beispielsweise eine relativ harmlose Lactosurie, also die Ausscheidung von Milchzucker im Urin, wie sie bei Schwangeren vorkommen kann, von einer wesentlich gefährlicheren Schwangerschaftsdiabetes zu unterscheiden.<h2>Neuer Nutzen für eine alte Reaktion</h2>Mitte der 1960er Jahre, mancherorts schon früher, verschwand die Wöhlk-Probe aus den Krankenhauslabors zugunsten schnellerer und effektiverer chromatografischer Methoden. An den meisten deutschen Universitäten ist die Wöhlk-Probe kein Lehrstoff mehr. Eine Variante mit Methylamin, Fearon‘s Test, steht noch in einem englischsprachigen Lehrbuch aus dem Jahr 2008.3) Der Reiz der farbenprächtigen Reaktion ist geblieben.Seit einiger Zeit gibt es für die Wöhlk-Probe erneut Aufschwung. Viele Menschen vertragen nach dem vierten Lebensjahr keine Laktose mehr:4) Im deutschsprachigen Raum liegt der Anteil bei unter 15 Prozent, weltweit bei etwa 75 Prozent. Dabei hängt die Intensität der Symptome von der Tagesdosis ab.4) Daher ist die Probe als einfacher halbquantitativer Nachweis von Milchzucker für den Chemieunterricht in der Schule interessant Sie macht die unterschiedlichen Laktosegehalte von Milchprodukten sichtbar.5) Zudem lassen sich die Ergebnisse für Milchprodukte und reine Zucker vergleichen.Die Wöhlk-Probe bietet sich auch am Ende eines schulischen Standardexperiments an, der Stärkespaltung durch Speichelamylase. Denn so lässt sich Maltose nachweise, die dabei als Hauptprodukt anfällt, neben Glukose, Isomaltose und anderen zufälligen Resten der endohydrolytischen Spaltung.6)<h2>Experiment: Milchprodukte und reine Zucker im Vergleich</h2>Bei der Wöhlk-Probe lässt man Milchprodukte sowie verschiedene Zucker mit Ammoniak reagieren, ein solches Experiment dauert etwa 45 Minuten. Eine genaue Versuchsbeschreibung ist unter <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.nachrichtenausderchemie.de/downloads" target="_blank">www.nachrichtenausderchemie.de/downloads</a></ext-link> herunterladbar.Getestet werden verschiedene, möglichst naturbelassene Milchprodukte ohne Farbstoffe und ohne Glukose-Fruktose-Sirup, zum Beispiel: Kuhmilch, laktosefreie Milch, Buttermilch, Kefir, Naturjoghurt, Crème fraîche, saure Sahne, dann noch Joghurt-Dessert mit Fruktose-Glukose-Zusatz und milchbasierte Kaffeesahne (Abbildung 1). Für den Vergleichstest eignen sich die Reinstoffe Laktose, Maltose, Cellobiose, Laktulose, Glukose, Galaktose, Fruktose, Arabinose, eine Mischung aus Galaktose und Glukose sowie Saccharose.<figure><img src="https://media.graphcms.com/WCDRKzEQSw69dXO644rY"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Milchprodukte, die sich für die Wöhlk-Probe in der Schule anbieten: Kuhmilch (1), laktosefreie Milch (2), Buttermilch (3), Kefir (4), Naturjoghurt (5), Crème fraîche (6), Saure Sahne (7), Joghurt-Dessert mit Fruktose-Glukose-Zusatz (8) und milchbasierte Kaffeesahne (9).</figcaption></figure>
Einige der in diesem Beispiel gewählten Zucker, vor allem Cellobiose (Dimer der Cellulose) und Arabinose (reduzierende Pentose), sind vermutlich nicht an allen Schulen vorhanden. Sie lassen sich durch andere reduzierende Zucker ersetzen oder werden einfach weggelassen. Laktulose ist preiswert in Apotheken erhältlich – sie dient als mildes Abführmittel und zur Verbesserung der Leberwerte.Von den unterschiedlichen Milchprodukten wird eine kleine Menge mit Einmalpipetten in nummerierte Reagenzgläser pipettiert; je nach Viskosität der Milchprodukte müssen die Spitzen der Einwegpipetten etwas gekürzt werden.In zehn weitere Reagenzgläser werden jeweils verschiedene Zucker gegeben und in Wasser gelöst (Abbildung 2). Anschließend werden jeweils Ammoniaklösung sowie tropfenweise verdünnte Kalilauge hinzu pipettiert.<figure><img src="https://media.graphcms.com/0AeolXU9TBaWAPoyRU2F"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Schüler beim Abwiegen von jeweils 50 mg verschiedener Zucker wie Laktose, Maltose oder Fruktose. Die Reinstoffe gibt er er danach in Reagenzgläser, löst sie in jeweils 2 mL Wasser, gibt Ammoniakwasser und Kalilauge hinzu und stellt sie in ein Wasserbad.</figcaption></figure>
Für ein Wasserbad wird in einem Becherglas Wasser auf 70 °C erhitzt und konstant auf der Temperatur gehalten. Die Reagenzgläser werden in das Wasserbad gestellt (Abbildung 3). Nach jeweils fünf Minuten kontrollieren die Experimentatoren die Reagenzgläser und nehmen zur Dokumentation des Reaktionsverlaufs jeweils ein Foto auf, etwa mit einer Smartphonekamera. Nach etwa 15 Minuten haben sich die Inhalte der Reagenzgläser unterschiedlich verfärbt.<figure><img src="https://media.graphcms.com/kWAbCNxoSuSs289VQyBH"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Reagenzgläser mit den Zuckerlösungen aus dem Schülerversuch im Wasserbad; bei 70 °C entwickelt sich nach etwa 12 Minuten die Färbung. <named-content>Fotos: Klaus Ruppersberg</named-content></figcaption></figure>
In jedem Fall sollte die Mischung von Galaktose und Glukose geprüft werden, um zu zeigen, dass Laktose in der Wöhlk-Probe nur dann eine rote Färbung hervorruft, wenn sie nicht hydrolysiert ist. In der Literatur7) steht fälschlicherweise das Gegenteil. Die Spaltprodukte Galaktose und Glukose produzieren jedoch lediglich eine gelbe Farbnuance, genau wie alle anderen reduzierenden Hexosen und Pentosen.Wenn mehr Zeit zur Verfügung steht, lässt sich das Experiment in zwei Stufen durchführen: Erst werden die Zuckerlösungen getestet, die Ergebnisse protokolliert und erst im zweiten Schritt folgt der Test der Milchprodukte. Die Ergebnisse werden dann mit denen der Zuckerlösungen verglichen.<h2>Beobachtungen und Ergebnisse</h2>Vollmilch, saure Sahne und Kaffeesahne färben sich rosa – eine Mischung aus der lachsroten Färbung reiner Laktose und dem Weiß des Milchprodukts (Abbildung 4). Laktosefreie Milch färbt sich gelb, was sich mit der Probe der Mischung aus Galaktose und Glukose bei den reinen Zuckern korrelieren lässt.<figure><img src="https://media.graphcms.com/DBBugB2TgOV3OwU1eZ4w"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Ausgereifte Farben der Milchprodukte: Laktose enthalten Vollmilch (Vollm) , Buttermilch (Butter) , Kefir, saure Sahne (Saur) und Kaffeesahne (Cafes), angezeigt durch die rosa Farbe. Bei Buttermilch und Kefir ist die Färbung weniger ausgeprägt und somit auch der Laktosegehalt geringer.</figcaption></figure>
In gesäuerten Produkten wie Buttermilch, Kefir, Joghurt, Crème fraîche und Joghurt-Dessert zeigt sich je nach Produkt eine weniger intensive Färbung, was auf weniger Laktose als in der Vollmilchprobe hinweist. Bei diesen Milchprodukten bauen Enzyme oder Bakterien im Produktionsprozess die Laktose ab. Daher fällt das Ergebnis farblich anders aus als bei der Vollmilchprobe.Bei der Prüfung der reinen Zucker fällt auf, dass nicht nur Laktose die lachsrote Färbung hervorruft. Auch bei anderen Zuckern verläuft der Test positiv, zum Beispiel bei Cellobiose, Maltose und Laktulose (Abbildung 5).<figure><img src="https://media.graphcms.com/TlAhhYSGQHCduCCFUffP"><figcaption><label>Abb. 5: </label>Fertig entwickelte Farben der Zuckerlösungen von links nach rechts: Laktose, Maltose, Cellobiose, Laktulose, Glukose, Galaktose, Fruktose, Arabinose, Glukose-Galaktose-Mischung und Saccharose.</figcaption></figure>
<h2>Die Chemie dahinter bleibt unbekannt</h2>Dass die Wöhlk-Probe bei Maltose funktioniert, ist seit dem Jahr 1904 bekannt. Neu ist hingegen ist die Erkenntnis, dass die Wöhlk-Probe ein Nachweis für alle Zucker des Maltosetyps ist, also eines Disaccharids, dessen zweites Monosaccharid oder alkalisches Umlagerungsprodukt Glukose ist. Dazu zählen etwa Maltulose oder Laktulose. Das erste Monosaccharid kann Glukose sein wie bei Maltose oder Galaktose wie bei Laktose. Vermutlich führt auch eine Schutzgruppe am C4-Atom statt des ersten Monosaccharids zur lachsroten Färbung.8) Diese Hypothese ist schwierig zu überprüfen, da die Wöhlk-Probe nur im Alkalischen funktioniert und sich der rote Farbstoff weder auskristallisieren noch mit anderen Lösungsmitteln ausschütteln lässt.Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich durch die Kosten für die Herstellung von Glukose mit einer Schutzgruppe am C4-Atom.Der Mechanismus der Reaktion beginnt mit einer Lobry-de-Bruyn-van-Ekenstein-Umlagerung, denn die Umlagerungsprodukte Laktulose und Maltulose bilden in der Wöhlk-Probe ebenfalls den typischen lachsroten Farbstoff, der bei 527 nm sein Absorptionsmaximum hat.8) Aber damals wie heute ist der genaue Mechanismus nicht bekannt, ebenso gibt die Struktur des roten Farbstoffs immer noch Rätsel auf.Die genaue Versuchsbeschreibung steht zum Herunterladen unter <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.nachrichtenausderchemie.de/downloads" target="_blank">www.nachrichtenausderchemie.de/downloads</a></ext-link>.<h2>Alfred Wöhlk (1868 – 1949)</h2>Der dänische Chemiker, Apotheker und Pharmazeut Alfred Wöhlk (andere Schreibweisen: Woehlk, Wøhlk) kam am 25. Juli vor 150 Jahren in Frederikshavn, an der nördlichen Spitze Dänemarks zur Welt. Er war das achte Kind von Clara Wilhelmine Wöhlk, geb. Knutzen, und Carl Andreas Nicolai Wöhlk,8) insgesamt hatte er zehn Geschwister.<figure><img src="https://media.graphcms.com/eleHkmzSRuyExYuc6QC0"><figcaption><label>Abb. 6: </label>Alfred Wöhlk (Mitte) und Mitarbeiter in der Trianglen-Apotheke in Kopenhagen. <named-content>Foto: Wiley, ChiuZ 2016</named-content></figcaption></figure>
Nach seinem Schulabschluss studierte er an der Pharmazeutischen Lehranstalt in Kopenhagen, wo er anschließend auch arbeitete und in deutscher Sprache publizierte.1) Im Jahr 1910 übernahm er als Inhaber die Trianglen-Apotheke in Kopenhagen, die er bis zu seinem Tod im Jahr 1949 leitete. Die Apotheke in der Nordre Frihavnsgade 3 existiert noch heute.Neben seiner Arbeit als Apotheker publizierte Wöhlk für Danmarks Farmaceutiske Selskab (Dänemarks Pharmazeutische Gesellschaft) und erfand das Medikament Magnyl, eine dänische ASS-Variante mit Magnesiumoxid.8)<h2>Quergelesen</h2>Die Wöhlk-Probe, erfunden von einem dänischen Apotheker und verbessert von einem Tiroler Arzt, gibt es seit dem Jahr 1904. Sie ist eines der ersten Verfahren, um Glukose von Laktose zu unterscheiden.Die Probe weist über ein lachsrotes Reaktionsprodukt halbquantitativ Laktose nach.Allerdings reagiert die Probe auch auf andere Zucker wie Maltose oder Cellobiose positiv.Der genaue Mechanismus ist bis heute nicht bekannt, ebenso wenig die Struktur des Farbstoffs.<h2>Vitakasten</h2>Klaus Ruppersberg studierte von 1979 bis 1986 Chemie und Biologie für die Lehrämter an den Sekundarstufen II und I an der Universität Köln. Nach vier Jahren in der chemischen Industrie wechselte er zurück in den Lehrerberuf und war zuletzt Fachbereichsleiter Chemie an der Domschule in Schleswig. Seit dem Jahr 2014 ist er an das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik abgeordnet und arbeitet in der Abteilung Chemiedidaktik.<div><img src="https://media.graphcms.com/gPf5DudSQ9aiNGQFWuS4">

</div><a href="mailto:ruppersberg@ipn.uni-kiel.de">ruppersberg@ipn.uni-kiel.de</a>
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 A. Wöhlk, Fresenius‘ Zeitschrift für analytische Chemie, 1904, 43, 670. <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://doi.org/10.1007/BF01520629" target="_blank">https://doi.org/10.1007/BF01520629</a></ext-link></li><li>
2 H. Malfatti, „Über den Nachweis von Milchzucker im Harne“, Centralblatt für die Krankheiten der Harn- und Sexualorgane. Georg-Thieme-Verlag, Leipzig, 1905, 68.</li><li>
3 J. Ochei, A. Kolhatkar, Medical Laboratory Science: Theory And Practice, 10. Auflage, Tata McGraw-Hill Publishing Company, Neu Delhi, 2008.</li><li>
4 M.C. E. Lomer, G.C. Parkes, J. D. Sanderson, J. D., Lactose intolerance in clinical practice – myths and realities. Alimentary Pharmacology &amp; Therapeutics 2008, 27, 93.</li><li>
5 C. M. Fleiss, „Kohlenhydrate im Chemieunterricht“, Plus Lucis 2013, 1–2, 40, <a href="http://pluslucis.univie.ac.at/PlusLucis/131/s40.pdf" target="_blank">http://pluslucis.univie.ac.at/PlusLucis/131/s40.pdf</a>.</li><li>
6 K. Ruppersberg, J. Hain, „Das Experiment: Wie kann der Lactosegehalt von Milchprodukten im Schulexperiment sichtbar gemacht werden?“ CHEMKON 2016, 23 (2), 90.</li><li>
7 K. Ruppersberg, „Stärkeverdauung durch Speichel – was kommt eigentlich dabei heraus? Ein einfacher Maltose-Nachweise am Ende der enzymatischen Hydrolyse von Amylose und die überraschende Anwesenheit von Glucose“, MNU-Journal 2016, 69 (5), 325.</li><li>
8 K. Ruppersberg, J. Hain, P. Mischnick, „Auf der Spur der roten Farbe: Ein historischer Lactose-Nachweis wiederentdeckt“, CHEMKON 2017, 24(4), 304.</li><li>
9 K. Ruppersberg, J. Hain, „Die Wiederentdeckung der Wöhlk-Probe“, Chem. Unserer Zeit 2016, 51, 106.</li></ul>

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