Wissenschaft + Forschung

Die am Meeresboden weitverbreiteten Schwämme (Porifera) gelten als die primitivste Klasse der mehrzelligen Tiere. Dennoch vollbringen sie erstaunliche Dinge, stellen etwa Glasfasern bei Normaltemperatur her und beherbergen bestimmte Mikroorganismen. Auch als Bioindikatoren für die Wasserqualität und als Sammler von DNA-Proben können sie uns nützen.
Schwammtaucher haben seit Jahrtausenden Schwämme vom Meeresboden geerntet, ohne viel darüber nachzudenken, dass diese lebende Tiere sind. Im alten Rom erfüllten Schwämme die Funktion, für die später das Toilettenpapier erfunden wurde. Das Einführen synthetischer Materialien im 20. Jahrhundert hat wahrscheinlich einige Schwammarten vor dem Aussterben bewahrt.Heute nutzt die Wissenschaft diese Tiere besser. Zum Beispiel bieten sie ein einzigartiges Fenster in die Urzeit der Evolution mehrzelliger Tiere vor etwa 540 Millionen Jahren, als fast gleichzeitig Vertreter fast aller heutigen Tierstämme auftauchten. Bereits 100 Millionen Jahre vorher begann der Rest der Tierwelt, einen Körperbau mit Organen, Nervensystemen und anderen Neuerungen zu entwickeln; der Vorfahr der heutigen Schwämme dagegen blieb bei seinem einfacheren Leben mit nur zwei Zelltypen. Fossilien im Burgess-Schiefer, 506 Millionen Jahre alt, lassen sich zweifelsfrei den Schwämmen zuordnen. Seit mehr als einer halben Milliarde Jahre leben diese also am Meeresboden und filtern das Wasser.<h2>Lebende Messstationen</h2>Schwämme filtern im Verhältnis zu ihrer Größe bis zu 10 000 Litern an Meerwasser pro Tag1) und scheiden Nährstoffe daraus ab. Deshalb sind sie den Umweltbedingungen am Meeresboden stärker ausgeliefert als andere Tierarten, die sich vor der Umwelt schützen und ihre Nahrung gezielt suchen. Viele Schwämme reichern auch Sandkörnchen an, die sie fester machen.Das brachte die Arbeitsgruppe von Gert Wörheide an der LMU München auf die Idee, Schwämme als Bioindikatoren zu nutzen: Sie sollen zeigen, wie stark das Meerwasser mit Mikropartikeln belastet ist. Die Forscher nahmen Proben von 15 Tieren aus fünf Schwammarten, die in den seichten Gewässern Indonesiens weit verbreitet sind und Partikel aufnehmen.Mit histologischen Untersuchungen und Ramanspektroskopie identifizierten die Forscher die Mikropartikel, welche von den Schwämmen aufgenommen wurden – und das sind neben den üblichen Sandkörnern Partikel anthropogenen Ursprungs, darunter Baumwolle, Titandioxid, Plastik und blaue Pigmente.2)Ob ein Schwamm ein Partikel aufnimmt und wohin dieses im Gewebe gelangt, schien ausschließlich von der Partikelgröße abzuhängen. Die Schwämme zeigten keine Vorliebe für bestimmte Materialeigenschaften. Deshalb, so folgerten die Münchner Forscher, würden sie sich gut als lebendige Sammelstationen eignen, um partikuläre Verschmutzung am Meeresboden zu erfassen.Auch um chemische Verunreinigung und Wasserqualität im Allgemeinen zu ermitteln, sind Schwämme als Indikatoren vorgeschlagen worden. Am überraschendsten ist vielleicht die Entdeckung, dass sie DNA aus ihrer Umgebung sammeln und damit als Indikator für die Artenvielfalt dienen.<h2>DNA-Spuren</h2>Stefano Mariani an der University of Salford in Manchester, Großbritannien, und Team haben die Polymerasekettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR) benutzt, um DNA von zahlreichen Wirbeltierarten in Schwämmen nachzuweisen.3) Hierzu nutzten sie PCR-Primer-Sequenzen, die für Wirbeltiere typisch sind, die aber die DNA der Schwämme selbst und mikrobieller Meeresbewohner ausschließen. Verständlicherweise gingen ihnen dabei zahlreiche Fischarten ins analytische Netz. Aber sie fanden auch Genomfragmente von Weddellrobben (Leptonychotes weddellii) und Zügelpinguinen (Pygoscelis antarcticus).DNA-Spuren in den Ozeanen zu erfassen ist inzwischen ein wichtiges Werkzeug, um die Entwicklung der Artenvielfalt zu beobachten und verborgen gebliebene Arten zu entdecken. Anstelle mechanischer Gerätschaften, so hat Mariani vorgeschlagen, könnten Schwämme oder auch freischwimmende Filtrierer wie Quallen als umweltfreundliche DNA-Sammelstationen dienen.Möglicherweise nützlich für den Menschen ist die Fähigkeit vieler Schwämme, ein Skelett aus Glasnadeln herzustellen. An der Abscheidung des Siliciumdioxids ist das Enzym Silicatein beteiligt. Forscher hatten es im Jahr 1999 entdeckt, aber es ließ sich röntgenkristallographisch nicht darstellen. Erst im letzten Jahr erstellten Forscher am B-Cube-Zentrum für Biotechnologie der TU Dresden eine Struktur in atomarer Auflösung, und zwar durch serielle Kristallographie, also Verrechnung zahlreicher Schnappschüsse, aus den innerhalb der Glasnadeln kristallin vorliegenden Proteinen.4,5)<h2>Mikrobiom</h2>Auf und in Schwämmen sind nicht nur Plastikpartikel und Fremd-DNA, sondern auch jede Menge Mikroben. Dass diese nicht zufällig dort sind, sondern ein artspezifisches Mikrobiom darstellen, ist erst in den letzten Jahren klar geworden.Dass nicht beliebige Mikroben auf Schwämmen vorkommen und dass diese nicht von Algen überwuchert werden, hat einen besonderen Grund: Schwämme haben ein Arsenal chemischer Abwehrstoffe entwickelt, von denen einige als Antibiotika oder Medikamente interessant sein könnten.Wenn die Schwämme viele Arten von Lebewesen mit Abwehrstoffen vertreiben, aber bestimmte Mikroben tolerieren, dann weist das darauf hin, dass sie von diesen mikrobiellen Gästen profitieren – ebenso, wie die Bakterien in unserem Darm zu unserer Ernährung beitragen. Gut erforscht sind inzwischen die Mikrobiome leicht zugänglicher und weit verbreiteter Arten von Hornkieselschwämmen (Demospongiae) in flacheren Gewässern.Die Arbeitsgruppen von Ute Hentschel am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und Peter Schupp an der Universität Oldenburg haben das Gebiet vor kurzem erweitert. Dazu haben sie die Mikrobiome von Hornkieselschwämmen und Glasschwämmen (Hexactinellida) aus tieferen Gewässern (472 bis 4160 m) im Südpazifik genetisch charakterisiert und mit bekannten Daten verglichen.6) Um zufällig aufgeschnappte DNA von der Analyse auszuschließen, benutzten die Arbeitsgruppen auch quantitative PCR.<h2>Im Tiefen fast wie im Flachen</h2>Wie die Untersuchungen zeigen, ähnelt die Zusammensetzung des bakteriellen Mikrobioms der Hornkieselschwämme in der Tiefsee in seiner allgemeinen Zusammensetzung und Artenvielfalt den bereits bekannten Gemeinschaften aus flacheren Gewässern. Ein wesentlicher Unterschied ist die Abwesenheit von Cyanobakterien in der Tiefe. Da diese auf Photosynthese spezialisiert sind, war dieser Befund zu erwarten. Die auf Schwämme spezialisierten Poribacteria waren in der Tiefe weniger stark vertreten.Bei den Glasschwämmen, zu deren Mikrobiota es bisher keine Daten gab, fanden die Untersuchungen eine geringere Artenvielfalt an Bakterien und überwiegend Gammaproteobakterien. Nur zwei Arten von Glasschwämmen haben ein breiteres Spektrum an Bakterien, das der Vielfalt bei Hornkieselschwämmen ähnelt.Beide Gruppen von Tiefseeschwämmen hatten allerdings mehr Archäen in ihrem Mikrobiom als die bisher untersuchten Hornkieselschwämme. Vorherrschend sind offenbar die Archäen aus der Familie Nitrosopumilaceae (Stamm Thaumarchaeota). Diese sind auf Ammoniakoxidation spezialisiert und könnten somit für die Versorgung ihrer Wirte mit Stickstoff wichtig sein. Die Einzelheiten der Zusammenarbeit und wechselseitigen Abhängigkeiten dieser Tiefseemikrobiome mit ihren Wirten müssen aber noch erforscht werden.Dies könnte sich allerdings schwierig gestalten. Denn zu den Lebensbedingungen in der Tiefsee gehört der hohe hydrostatische Druck, in 4000 Metern Tiefe etwa 400 bar. Leichter zu untersuchen sind da die Flachwasserschwämme, von denen manche auch in Aquarien gehalten werden.An einem beliebten Aquariumschwamm, Lendenfeldia chondrodes, untersuchten Sergio Vargas und Team von der LMU München experimentell, wie der Schwamm auf eine Erwärmung des Meerwassers reagiert, wie sie im Rahmen der Klimakatastrophe zu erwarten ist (31 °C statt der im tropischen Korallenriff normalen 26 °C). Wie die Untersuchung zeigt, ist das Mikrobiom dieser Schwämme gegenüber einer realistischen Erwärmung relativ widerstandsfähig.7)Gefahr für die Schwämme könnte allerdings der industrielle Abbau von Erzen in der Tiefsee bedeuten. Allein der aufgewirbelte Schlamm könnte die Schwämme in ihrer Überlebensfähigkeit beeinträchtigen. Und selbst das relativ einfache Einsammeln der Manganknollen, die auf dem Meeresboden liegen, könnte Schwammarten gefährden, die in diesen Gebieten und teilweise sogar auf den Knollen selbst leben. Zu diesem Schluss kam Thomas Dahlgren von der Universität Göteborg, der an der Beschreibung einer neuen Schwammart (Plenaster craigi) in einem potenziellen Abbaugebiet für Manganknollen beteiligt war.8)Nach Jahrtausenden der rücksichtslosen Ausbeutung der Tiere, die seit einer halben Milliarde Jahren den Meeresboden besiedeln, sollten die Menschen die Schwämme besser schützen. Zumal diese uns inzwischen im Meer nützlicher sind als im Badezimmer.Der promovierte Chemiker Michael Groß ist freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England. <a href="https://www.michaelgross.co.uk" target="_blank">www.michaelgross.co.uk</a><figure><img src="https://media.graphcms.com/0aZF4raWQ3aLDjHcWdhy"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Korallengarten mit Vasenschwamm (lila) in der Karibik. Quelle: John Anderson/AdobeStock</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/wfUOups2TRWPImpqL2v5"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Ein gelber Schwamm der Art Polymastia. Foto: Daniel Poloha/AdobeStock</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/36M2vVesS2mPTThxvhZx"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Ein azurblauer Vasenschwamm und orangefarbene Elefantenohrschwämme. Quelle: Focused Adventures/AdobeStock</figcaption></figure>
<h2>AUF EINEN BLICK</h2>Schwämme leben seit mehr als einer halben Milliarde Jahren am Meeresboden, wo sie Wasser filtern.Sie reichern Fremdpartikel natürlichen und anthropogenen Ursprungs an, weshalb sie sich als Bioindikatoren eignen.Schwämme haben ein eigenes Mikrobiom. Stoffe daraus eignen sich möglicherweise als Medikamente.
<ul class="references"><li>
1 A. S. Kahn, G. Yahel, J. W. Chu, V. Tunnicliffe, S. P. Leys, Limnol. Oceanogr. 2015, 60, 78–88</li><li>
2 E. B. Girard, A. Fuchs, M. Kaliwoda et al., Environ. Pollut. A 2021, 268, 115851</li><li>
3 S. Mariano, C. Baillie, G. Colosimo, A. Riesgo, Curr. Biol. 2019, 29, R401</li><li>
4 S. Görlich, A. J. Samuel, R. J. Best et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2020, 117, 31088</li><li>
5 M. Groß, Chem. unserer Zeit 2021, 12</li><li>
6 G. Steinert, K. Busch, K. Bayer et al., Front. Microbiol. 2020, doi: 10.3389/fmicb.2020.00716</li><li>
7 S. Vargas, L. Leiva, G. Wörheide, Microb. Ecol. 2020, doi: 10.1007/s00248–020–01556-z</li><li>
8 S.-C. Lim, H. Wiklund, A. G. Glover, T. G. Dahlgren, K. S. Tan, Syst. Biodivers. 2017, 15, 507</li></ul>

Artikel

Was Schwämme alles können

Die am Meeresboden weitverbreiteten Schwämme (Porifera) gelten als die primitivste Klasse der mehrzelligen Tiere. Dennoch vollbringen sie erstaunliche Dinge, stellen etwa Glasfasern bei Normaltemperatur her und beherbergen bestimmte Mikroorganismen. Auch als Bioindikatoren für die Wasserqualität...

Prof.Dr.

Seit ihrer Entdeckung ist die Nazarov-Reaktion modifiziert, erweitert und verbessert worden. Inzwischen ist sie ein anpassungsfähiges Werkzeug, das sich besonders zum Aufbau benachbarter quaternärer Stereozentren und für die Totalsynthese eignet.
Die im Jahr 1942 erstmals beschriebene Nazarov-Reaktion – benannt nach ihrem Entdecker Ivan Nazarov – ist eine Elektrocyclisierung, an der vier Elektronen beteiligt sind. Dabei lagert sich ein Divinylketon in Gegenwart einer Lewis-Säure in ein Cyclopentenon um.Durch die Koordination des Divinylketons (1) über die Carbonylgruppe an eine Lewis-Säure entsteht ein Pentadienylkation (2) (Abbildung 1). Die Elektrocyclisierung dieser Zwischenspezies über das höchstbesetzte Molekülorbital (Homo) liefert ein Oxalylkation (2’), das nach Prototropie und Freisetzung der Lewis-Säure das Cyclopentenon (4) ergibt. In seinem Homo-Zustand müssen die Orbitale an den Vinylextremen konrotatorisch rekombinieren; sie folgen damit den Woodward-Hoffmann-Regeln eines 4π-thermischen Elektrocyclisierungsprozesses: R2 und R4 stehen letztlich antiperiplanar zueinander. Für die erste Stufe der Elektrocyclisierung sind die kinetischen Barrieren eines Prozesses zu überwinden, der reversibel und nicht immer thermodynamisch begünstigt ist.3)<figure><img src="https://media.graphcms.com/SL0iaq5TQCtCy879sw7N"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Oben: Allgemeiner Mechanismus der Nazarov-Cyclisierung. Unten: links siliciumgelenkte Nazarov-Cyclisierung, rechts Regio- und Stereoselektivität der Reaktion.</figcaption></figure>
<h2>Stereo- und Regioselektivität</h2>Während die Stereoselektivität der Cyclisierung von der Stereoelektronik gesteuert wird, hängt das regiochemische Ergebnis von den Substituenten ab. Da die Elektrocyclisierung eine neue carbokationische Spezies erzeugt, bestimmen die relativen Stabilitäten der verschiedenen möglichen Carbokationen den energetisch bevorzugten Pfad.Wie beispielsweise die Arbeitsgruppe um Denmark gezeigt hat, ermöglicht eine Silylgruppe an einer der Vinylgruppen (5) einen hohen Grad an Regioselektivität, verstärkt durch einen Siliciumeffekt, der das Carbokation an Position 4 stabilisiert (Abbildung 1b).4) Eliminierung der TMS-Gruppe und anschließende Hydrolyse liefern die cis-bicyclische Struktur (6) in 74 % Ausbeute und einem Diastereomerenverhältnis (dr) von 85:15. Dabei wird die relative Konfiguration an den Positionen 1 und 2 im letzten diastereoselektiven Schritt der Hydrolyse kontrolliert.Ein Beispiel aus der Gruppe von Chiu erklärt das regiochemische Ergebnis der Nazarov-Reaktion mit Hyperkonjugation (Abbildung 1c):5) Das stabilste Carbokation ist das tertiäre an Position 1, in dem die Methyl- und Isopropylgruppen durch einen konrotatorischen Prozess syncoplanar angeordnet sind. Fehlt ein Wasserstoffatom an Position 2, findet die Eliminierung außerhalb des Cyclopentylrings statt, was (8) aus (7) in 95 % Ausbeute und 99:1 dr ergibt.<h2>Reaktionszusätze</h2>Die racemische Nazarov-Cyclisierung wird normalerweise mit stöchiometrischen Mengen von Lewis-Säuren wie BF3, Eisen-, Kupfer- oder Titansalzen und protischen Säuren (MeSO3H, H2SO4) gefördert. Seit der ersten asymmetrischen Transformation, die von der Gruppe von Trauner berichtet wurde, haben Chemiker:innen versucht, die Reaktion mit Übergangsmetallen oder Organokatalysatoren enantioselektiv zu katalysieren.6) Zu den Liganden für Palladium und Kupfer gehören Phosphoramidit (9) und Bisoxazoline (10) (Abbildung 2a), welche die Elektrocyclisierung mit hohem Enantiomerenüberschuss (ee) stereoselektiv fördern – der ee beträgt bis zu 99 %. Triphosphin-Nickel (11) und Salen-Chrom-Komplexe (12) katalysieren eine solche Reaktion ebenfalls mit hoher Selektivität.2)<figure><img src="https://media.graphcms.com/CPAtbaSa6rhZ0QF8L2Fg"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Oben: einige Liganden und Übergangsmetallkatalysatoren, Mitte ausgewählte Organokatalysatoren, unten ausgewählte Reaktionen.</figcaption></figure>
Organokatalyse ist sowohl im Hinblick auf die Aktivität als auch auf die Enantioselektivität eine Alternative zur Übergangsmetallkatalyse. Eins der ersten Beispiele veröffentlichte Rueping im Jahr 2007. Er nutzte Binol-abgeleitete Phosphoramide (13) als Brønsted-Säure (Abbildung 2b). In jüngerer Zeit haben sich die von der Gruppe List entwickelten starken und eingeschränkten Säuren (14) als effiziente Katalysatoren erwiesen, mit einem ee von bis zu 99 %.7)In den Fällen, in denen tertiäre Amine die Nazarov-Reaktion katalysieren, zeigen Cinchona-Alkaloide wie β-Isocupreidin (15) die besten Aktivitäten und Enantioselektivitäten. Enolisierbare 1,2-Diketone eignen sich als Substrate in Nazarov-Cyclisierungen, und wie die Gruppe von Tius gezeigt hat, entsteht mit strukturangepassten bifunktionellen primären Amin-Thioharnstoff-Katalysatoren (16) Hydroxycyclopentenon in Enantiomerenverhältnissen bis zu 95:5.2)<h2>Die Reaktion unterbrechen</h2>Je nach Reaktand und Reaktionsbedingungen kann ein durch Elektrocyclisierung erzeugtes Oxyallylkation (17a–c) unterschiedliche Reaktionen durchlaufen (Abbildung 3). Im Routinefall (Abbildung 1) tautomerisiert zunächst das Enol und eliminiert dann das Enonprodukt. Besser als die direkte Eliminierung ist jedoch, Oxalylkationen intra- oder intermolekular mit einem Nukleophil einzufangen (Abbildungen 3a,b). Diese Reaktionssequenzen werden üblicherweise als unterbrochene Nazarov-Cyclisierungen bezeichnet.8)<figure><img src="https://media.graphcms.com/hx2ND9IXRNS7fmb8yiio"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Oben: Ringschluss durch elektrophile aromatische Substitution, Mitte Angriff durch Heteroatom, unten Wagner-Meerwein-Umlagerung.</figcaption></figure>
So kann etwa eine weit entfernte Arylgruppe an der Struktur (17a) an einer elektrophilen aromatischen Substitution teilnehmen. Dies liefert ein neues Ringsystem, das nach Tautomerie zu (18) führt.Ein weiteres Beispiel ist das Zwischenprodukt (17b), das aus einem Allenyl-Vinylketon (19) in Gegenwart einer Lewis-Säure entsteht. Der nukleophile Angriff dieses Systems durch Trifluorsäure unterbricht die Nazarov-Cyclisierung und liefert, mit Al2O3 behandelt, das entsprechende 4-Hydroxycyclopentenon (20).Mehrere Autoren haben synthetisch nützliche unterbrochene Nazarov-Reaktionen beschrieben, die nukleophiles Trapping nutzen.3,9) Außerdem kommen Wagner-Meerwein-Umlagerungsprozesse während der Nazarov-Cyclisierung vor (Abbildung 3c). Bei (17c) scheint eine erste Alkylverschiebung (a) gegenüber der klassischen Eliminierung begünstigt zu sein und ein tertiäres Carbokation zusammen mit der spirocyclischen Cyclopentylgruppe zu liefern. Eine zweite Arylverschiebung (b) findet statt, die den para-Methoxyphenyl-Anteil an Position 2 überträgt, und die anschließende Freisetzung der Lewis-Säure ergibt schließlich das Cyclopentenon (21).Mit der Nazarov-Elektrocyclisierung und ihren Varianten lassen sich komplexe Moleküle mit quaternären Stereozentren bei hoher Selektivität aufbauen. Daher ist sie Methode der Wahl für viele Naturstoffsynthesen (Beispiele aus den letzten zehn Jahren in Abbildung 4).2)<figure><img src="https://media.graphcms.com/xer0LncnRS2EYtfzXPzI"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Naturstoffe, die mit Nazarov-Cyclisierung (oben) oder mit Aryl-Nazarov-Cyclisierung synthetisiert wurden (unten).</figcaption></figure>
Während Abbildung 2a Beispiele (22) – (26) zeigt, die durch racemische oder enantioselektive Katalyse aus Divinylketonen zugänglich sind, zeigt Abbildung 2b die Naturstoffe (27) – (31), die aus Aryl-Vinylketonen entstanden. Solche Substrate lassen sich elektrocyclisieren, indem das an die Carbonylgruppe gebundene aromatische System an der C-C-Bindungsbildung beteiligt wird. In den meisten Fällen ist die Rearomatisierung des Systems die treibende Kraft der Eliminierungsreaktion.<h2>Nicht nur Dienone</h2>Nazarov-Cyclisierungen sind nicht auf typische Dienon-Ausgangsmaterialien beschränkt: Viele Kaskaden-Transformationen erzeugen Pentadienyl-Kationen in situ.Die Piancatelli-Umlagerung (Abbildung 5a) beispielsweise verwendet 2-Furylcarbinole (32) als Vorstufen in Gegenwart von Lewis-Säuren. Dabei führt vermutlich die Dehydroxylierung zum dearomatisierten Molekül (33), dessen Ringstruktur sich in Gegenwart eines Nukleophils R2XH (etwa Alkohol oder Amin) öffnet. Dadurch entsteht ein Pentadienylkation-Zwischenprodukt (35). Stereospezifische 4π-Elektrocyclisierung ergibt dann ein disubstituiertes Cyclopentenon (36).<figure><img src="https://media.graphcms.com/cWQ7U4RxTiaSvP4FgKJO"><figcaption><label>Abb. 5: </label>Oben links und rechts: Piancatelli- beziehungsweise goldkatalysierte Umlagerung, unten Halo-Prins- / unterbrochene Nazarov-Elektrocyclisierung.</figcaption></figure>
Wird das Alkin (37) (Abbildung 5b) mit Gold aktiviert, fördert dies die 6-Endo-Dig-Cyclisierung des Alkenylsystems mit dem Alkinsystem. Das führt zu Pentadienylkationen (39), die zu einer tricyclischen Verbindung (40) reagieren.Kürzlich entwickelte die Gruppe von Frontier eine Eintopfsequenz einer Halo-Prins-unterbrochenen Nazarov-Cyclisierung, die durch ein Halo-Pentadienylkation verläuft.10) Dies war eine bis dahin wenig erforschte Reaktion. Das Tetrahydropyran (43) entsteht durch eine Prins-Typ-Cyclisierung zwischen einem Enin (42) und einem benzylischen Aldehyd (41), ausgelöst durch Iodid (Abbildung 5c). In Gegenwart eines protischen Lösungsmittels bildet sich durch die Ringöffnung das Schlüsselzwischenprodukt, das Halogenpentadienylkation (44). Es durchläuft anschließend eine 4-Elektrocyclisierung/Aryltrapping-Reaktion und ergibt schließlich das tetracyclische Alkenyliodid (45). Interessanterweise sagen DFT-Rechnungen niedrigere Aktivierungsbarrieren für die Elektrocyclisierung halogenierter Strukturen voraus als für die klassische Oxy-Nazarov-Reaktion (8 kcal · mol–1 Unterschied), während die Produkte um 13 kcal · mol–1 begünstigt sein sollten.<h2>Die Autoren</h2>Diesen Beitrag verfassten Felix Reiners (Foto oben) und Dorian Didier, der dieses Jahr gemeinsam mit Anzhela Galstyan den Blickpunkt Synthese betreut. Reiners, Jahrgang 1989, arbeitet seit 2017 in Didiers Arbeitsgruppe an der LMU München an seiner Promotion zu Synthese und Funktionalisierung viergliedriger Heterocyclen. Didier, Jahrgang 1985, ist seit 2015 Nachwuchsgruppenleiter an der LMU München. Sein Team beschäftigt sich neben der Synthese viergliedriger Ringe und der Herstellung von C-C-Bindungen mit der Entwicklung neuer bor- und metallorganischer Methoden.<div><img src="https://media.graphcms.com/0GeREoCRRWu0XVoqi1Ir">

</div><div><img src="https://media.graphcms.com/K5Tu2LRXR5ioaJH23MxJ">

</div><h2>AUF EINEN BLICK</h2>Die Nazarov-Elektrocyclisierungen sind hoch stereoselektiv und effizient für viele Substrate.Edukt muss nicht immer ein Dienon sein: Es eignen sich beispielsweise auch in situ generierte Pentadienylkationen.Sie eignet sich besonders, um Naturstoffe herzustellen.Die Beiträge zur Serie Synthese im Blickpunkt verfassen dieses Jahr im Wechsel Dorian Didier und Anzhela Galstyan.
<ul class="references"><li>
1 I. N. Nazarov, I. I. Zaretskaya, Izv. Akad. Nauk. SSSR, Ser. Khim. 1941, 211</li><li>
2 Für einen Überblick über die asymmetrische Katalyse und Anwendungen in der Totalsynthese der Nazarov-Cyclisierung siehe: M. G. Vinogradov, O. V. Turova, S. G. Zlotin, Org. Biomol. Chem. 2017, 15, 8245–8269, und darin enthaltene Literatur</li><li>
3 A. J. Frontier, J. J. Hernandez, Acc. Chem. Res. 2020, 53, 1822–1832</li><li>
4 S. E. Denmark, T. K. Jones, J. Am. Chem. Soc. 1982, 104, 2642–2645</li><li>
5 P. Chiu, S. Li, Org. Lett. 2004, 6, 613–616</li><li>
6 G. Liang, S. N. Gradl, D. Trauner, Org. Lett. 2003, 5, 4931–4934</li><li>
7 J. Ouyang, J. L. Kennemur, C. K. De, C. Farès, B. List, J. Am. Chem. Soc. 2019, 141, 3414–3418</li><li>
8 T. N. Grant, C. J. Rieder, F. G. West, Chem. Commun. 2009, 5676–5688.</li><li>
9 D. R. Wenz, J. Read de Alaniz, Eur. J. Org. Chem. 2015, 23–37</li><li>
10 G. Alachouzos, A. J. Frontier J. Am. Chem. Soc. 2019, 141, 118–122</li></ul>

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