Gesellschaft Deutscher Chemiker

Was ist eigentlich Vitamin B12?

Als Vitamin B12-Gruppe (oder vereinfacht Vitamin B12) bezeichnet man eine Gruppe chemischer Verbindungen, die in allen Lebewesen vorkommen. Diese Substanzgruppe wird auch als Cobalamine bezeichnet, ihre Struktur wird weiter unten erläutert. Sie sind als Coenzyme an einer Reihe von Stoffwechselprozessen insbesondere von Aminosäuren und Fettsäuren beteiligt. 

Vitamin B12 ist im humanen Organismus außerdem wichtig für die Zellteilung und die Blutbildung sowie für die Funktion des Nervensystems. Auch hierzu gibt es weitere Informationen unten in diesem Beitrag. 

Vitamin B12 muss dem Körper zugeführt werden

Wie alle Vitamine (außer Vitamin D) können Cobalamine vom Menschen nicht selbst synthetisiert werden. Sie müssen mit der Nahrung zugeführt werden. Vitamin B12 kommt in fast allen Nahrungsmitteln tierischer Herkunft (Fleisch, Fisch, Eier, Milchprodukte) vor, insbesondere aber in Innereien (Rinderleber 67 µg/100 g bzw. Kalbsleber 62 µg/100 g); nach Lit. [1, 5], die Angaben schwanken je nach Quelle). 

Der Tagesbedarf eines Säuglings beträgt 0,5 µg und steigt bis zum Erwachsenenalter auf etwa 4 µg/Tag an. Während der Schwangerschaft und Stillzeit liegt der tägliche Bedarf bei rund 4,5 bzw. 5 µg [2]. Der humane Organismus kann Vitamin B12 in Leber, Nieren und den Muskeln (2-5 mg) speichern, wobei mit 1,5 mg der Hauptanteil in der Leber deponiert wird.

Strukturen der Vitamin B12-Gruppe

Der wichtigste Vertreter aus der Cobalamin-Gruppe ist das Adenosylcobalamin (auch 5′-Desoxyadenosylcobalamin), welches auch als Coenzym B12 bekannt ist (Abb. 1, R= 5′-Desoxyadenosyl). Manchmal wird auch Cyanocobalamin (Abb.1, R= CN), als Vitamin B12 bezeichnet [3]. 

Cyanocobalamin ist wichtig, da diese Form zwar biologisch inaktiv ist, im menschlichen Organismus aber in biologisch aktive Formen Methylcobalamin (R = CH3) und Adenosylcobalamin umgewandelt wird. Da diese Substanz leichter zugänglich ist als die biologisch aktiven Varianten, enthalten Medikamente, die einen Mangel an Vitamin B12 ausgleichen sollen, häufig Cyanocobalamin oder Hydroxocobalamin (Abb.1, R=OH) als Wirkstoff.

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Abb 1.: Struktur von Cobalaminen (NEUROtikerCobalamin, Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Basis: ein Corring-Ring

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Abb. 2: Corrin-Ringsystem (NEUROtikerCorrin, Wikimedia Commons, gemeinfrei)

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Abb. 3: Porphyrin-Ringsystem (Porphyrine General Formula V.1CC0 1.0)

Zentrum dieser sehr komplexen Moleküle ist ein Corrin-Ringsystem, in dessen Mitte sich ein Cobalt-Atom befindet. Damit sind Cobalamine die bisher einzigen bekannten Cobalt-haltigen Naturstoffe.

Das Corrin-Ringsystem (Abb. 2) ähnelt mit vier Pyrrolringen dem bekannteren Porphyrin-Ringsystem (Abb. 3) des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Im Corrin-Ring sind zwei der Pyrrolringe jedoch direkt und nicht über ein zusätzliches Kohlenstoff-Atom verknüpft (in Abb. 2 und 3 jeweils auf der linken Seite); [3]. 

Das Corrin-Gerüst ist in den Cobalaminen mit verschiedenen Methylgruppen, Acetamid- und Propionamid-Resten substituiert und enthält als Zentralatom ein sechsfach koordiniertes Cobalt(III)-Ion (Abb. 1). Der Chelatkomplex ist so stabil, dass das Cobalt(III)-Ion nur durch vollständige Zerstörung der Verbindung aus dem Komplex entfernt werden kann. 

Nobelpreis für Strukturaufklärung

Vitamin B12 wurde erstmals 1948 in reiner Form aus Lebergewebe isoliert. Die endgültige Strukturaufklärung gelang 1955 der Britin Dorothy C. Hodgkin mithilfe der Röntgenbeugung an Cyanocobalamin-Kristallen. Sie wurde dafür 1964 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

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Abb. 4. Dorothy Crowfoot Hodgkin (Foto: University of Bristol, Professor Dorothy HodgkinCC BY-SA 2.0)

Gewinnung von Vitamin B12

Die Totalsynthese des Cyanocobalamins gelang nach 12jähriger intensiver Forschungstätigkeit 1972 in einer beispielhaften Zusammenarbeit der Arbeitskreise um Albert J. Eschenmoser (ETH Zürich, Schweiz) und Robert B. Woodward (Harvard University, Cambridge, Massachusetts, USA). Diese Arbeiten, an der über 100 Diplomanden, Doktoranden und Postdoktoranden beteiligt waren, zählen zu den Meilensteinen der Totalsynthese von Naturstoffen. Vitamin B12 gilt als eines der größten, jemals in einem Labor totalsynthetisch hergestellten Moleküle [3].

Weil die chemische Synthese von Vitamin B12 wegen der komplizierten Struktur dieser Verbindungen äußerst aufwendig ist, gewinnt man die Substanz in technischem Maßstab aus Fermentationsbrühen verschiedener Bakterienarten, auch gentechnisch veränderter Mikroorganismen. 

Physiologische Bedeutung

Cobalamine sind im humanen Organismus wichtig für die Zellteilung und die Blutbildung sowie für die Funktion des Nervensystems. Das Vitamin ist als Coenzym an etwa 15 Stoffwechselprozessen wie Isomerisierungen und Reduktionen beteiligt.

So ist Methylcobalamin (MeB12) zum Beispiel ein wichtiges Coenzym beim Stoffwechsel von Methionin, einer essentiellen Aminosäure. Methionin wiederum wirkt beim Aufbau der Nukleinsäuren mit, also der Stoffe, aus denen DNA und RNA besteht. Ein Mangel an Vitamin B12 beeinträchtigt somit die Synthese von DNA und RNA. Dies äußert sich vor allem in Organen mit hoher Zellteilungsaktivität wie dem Knochenmark.

Ein anderes Beispiel ist das Adenosylcobalamin, das in den Mitochondrien einer Zelle eine wichtige Rolle bei der Bildung verschiedener Enzyme bildet. Ein Mangel an Vitamin B12 beeinflusst hier den Kohlenhydrat- und Lipidstoffwechsel nachhaltig. Die verminderte Synthese normaler, geradzahliger Fettsäuren und die erhöhte Bildung ungeradzahliger, verzweigter Fettsäuren, die in die Myelinhüllen der Nervenzellen eingebaut werden, wird als Ursache für die neurologischen Störungen bei B12-Mangel angesehen [4].

Vitamin B12-Mangel bei vegan lebenden und älteren Menschen

Bei einem Mangel an Vitamin B12 kann es zur perniziösen Anämie, einer Erkrankung des Blutbildes, sowie zur funikulären Myelose, einer Schädigung des Zentralnervensystems, kommen [3]. In jüngster Zeit verdichten sich die Hinweise, dass auch ein Zusammenhang zwischen einem Vitamin B12-Mangel und anderen Krankheiten wie Demenz oder Neuropathien besteht [6, 7]. 

Mangelerscheinungen können bei vegan lebenden Menschen vorkommen, weil sie ja nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Milchprodukte und damit alle nennenswerten B12-Quellen verzichten [8, 9].

Grundsätzlich sind niedrige Vitamin B12-Konzentrationen auch im Blutserum bei älteren Menschen häufig zu beobachten. Erste Anzeichen einer Mangelsituation können Kribbeln und Kältegefühl in den Extremitäten sein. Weitere Symptome können Müdigkeit, Depressive Verstimmungen oder Konzentrationsschwäche sein. Da alle Symptome sehr unspezifisch sind, kann ein Bluttest Klarheit schaffen. Im Allgemeinen verändert ein B12-Mangel bis zu vier im Blut messbare Parameter (Gesamt-B12-Spiegel, Konzentration des Cobalamin-Transcobalamin-Komplexes, Konzentrationen an Homocystein und Methylmalonsäure). 

Therapiert wird durch intramuskuläre, subkutane oder intravenöse Gabe von Cyanocobalamin. Entgegen manch verbreiteter Annahme verspricht – trotz der geringen passiven Resorptionsquote – auch eine orale Therapie (Tabletten) mit Vitamin B12-Derivaten erfolgreich zu sein, sofern man täglich etwa eine Dosis von 1000 µg (1 mg) Cyanocobalamin verabreicht [3].

Weg des Vitamin B12 durch den Körper

Vitamin B12 liegt in tierischen Nahrungsmitteln an Proteine gebunden vor und wird daraus größtenteils durch die Magensäure sowie die proteolytischen Enzyme des Magens wie Pepsin freigesetzt. In dieser Form bindet Vitamin B12 dann an das Glykoprotein Transcobalamin I, auch Haptocorrin (HC) genannt. Die wichtigste Funktion des Haptocorrins ist es, das säureempfindliche Vitamin B12 während der Passage durch den Magen zu schützen. Der Komplex HC-B12 wandert in den Zwölffingerdarm (Duodenum), wo Pankreasproteasen (Enzyme der Bauchspeicheldrüse, die Proteine und Peptide im Dünndarm spalten) das B12 wieder freisetzen.

Im Zwölffingerdarm bindet das freigesetzte Vitamin B12 an den durch die Belegzellen der Magenschleimhaut gebildeten Intrinsic Faktor (IF), ein Glykoprotein. Der Komplex B12-IF wird danach im unteren Teil des Dünndarms (Ileum) aktiv resorbiert. Ein Vitamin B12-Mangel kann somit sowohl von einer unzureichenden B12-Aufnahme durch die Nahrung als auch durch das Fehlen des Intrinsic Faktors (gestörte Resorption oder bei vollständiger Entfernung des Magens (Gastrektomie)) herrühren. 

Über den essentiellen Intrinsic Faktor können etwa 2 µg Vitamin B12 pro Mahlzeit aufgenommen werden. Die Aufnahme von Vitamin B12 im Dünndarm durch passive Diffusion ist zu vernachlässigen und beträgt nur etwa 1-5 %. Von den Darmbakterien des Dickdarms gebildete Cobalamine sind für den Menschen nicht verwertbar, da dieser Darmteil hinter dem aktiven Resorptionsabschnitt liegt [3].

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Abb. 5. Verdauungssystem des Menschen (Original: LadyofHatsDigestive system diagram de, Wikimedia Commons, gemeinfrei, Ausschnitt: GDCh Öffentlichkeitsarbeit, CC0 1.0)

Rückresorption: Vitamin B12-Mangel führt erst nach Jahren zu Mangelerscheinungen

Im Blutplasma werden die Cobalamine an spezifische Proteine gebunden, den sogenannten Transcobalaminen. Transcobalamin I dient als Depotprotein, während Transcobalamin II Vitamin B12 zu den Zellen transportiert. Täglich werden mit der Gallenflüssigkeit etwa 0,5-5 µg Cobalamin ausgeschieden, aber davon werden mithilfe des Intrinsic Faktors etwa 70 % wieder rückresorbiert (enterohepatischer Kreislauf). 

Daher führt ein Vitamin B12-Mangel aufgrund des Fehlens des Intrinsic Faktors oder bei streng vegetarischer oder veganer Ernährung erst nach Jahren zu Mangelerscheinungen. 

Enthalten Pflanzen Vitamin B12?

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Abb. 6 Sanddorn-Früchte (Jürgen HowaldtHippophae rhamnoides 051012CC BY-SA 2.0 DE)

Obwohl Pflanzen keine nennenswerten Mengen an B12 enthalten, wird einigen Produkten wie verschiedenen Algen, Sauerkraut, Shiitake-Pilzen oder auch Sanddorn-Produkten [10] ein gewisser B12-Gehalt nachgesagt. Auf den Sanddorn-Früchten etwa entsteht das Vitamin durch eine Symbiose mit Bakterien. Es ist jedoch nicht geklärt, ob dieses Vitamin B12 vom Körper aufgenommen werden kann oder nicht. Webseiten, die verschiedene Pflanzen als Quellen von Vitamin B12 anpreisen (meist Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln), sollten daher mit Vorsicht zu Rate gezogen werden [11].

Die WHO hat im Jahr 2005 Vitamin B12 als Substanz ohne bekannten negativen Gesundheitseffekt eingestuft [3]. Allerdings ist noch nicht endgültig geklärt, ob zu hohe Dosen an Vitamin B12 nicht doch negative Effekte haben können. Da Vitamin B12, wie wir oben gesehen haben, ein sehr kompliziertes Molekül ist, das in verschiedenen Formen vorkommt, die nicht alle biologisch wirksam sind, sollten Veganerinnen und Veganer sich unbedingt von einem Arzt oder Ärztin beraten lassen, bevor sie irgendwelche im Internet bestellten Substanzen einnehmen.


Der Beitrag wurde vom Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit der Seniorexperten Chemie, einer Fachgruppe der Gesellschaft Deutscher Chemiker, erstellt. 

Autor: Prof. Dr. Eberhard Ehlers (bearbeitet durch kjs, Redaktion FaszinationChemie)


In unserer Rubrik „Chemie überall“ geht es um chemische Verbindungen oder chemische Verfahren, die wir im Alltag nutzen oder um Substanzen, die immer mal wieder in den Schlagzeilen sind. Die Beiträge in leicht verständlicher Form sind von Chemikerinnen und Chemikern geschrieben. Alle Beiträge der Reihe: https://faszinationchemie.de/chemie-ueberall

Quellen

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Leber_(Lebensmittel) 

[2] https://www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/vitamin-b12/

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Cobalamine

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Cobalt#Physiologie

[5] https://www.dge.de/gesunde-ernaehrung/faq/vitamin-b12/ 

[6]  https://www.netdoktor.de/news/alzheimer-welchen-einfluss-hat-vitamin-b12/

[7]  https://www.mdpi.com/2073-4409/11/16/2574 

[8] ARD Gesund https://www.youtube.com/watch?v=XFB7c8KsYl8 

[9] https://www.quarks.de/gesundheit/ernaehrung/vitamin-b12-und-vegane-ernaehrung/ 

[10] Michail Nakos et al.: Isolation and analysis of vitamin B12 from plant samples. In: Food Chemistry. Band 216, 1. Februar 2017, S. 301–308, doi:10.1016/j.foodchem.2016.08.037PMID 27596424 (englisch).

[11] https://www.ua-bw.de/pub/beitrag.asp?subid=0&Thema_ID=2&ID=3102

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.faszinationchemie.de.

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