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Leitartikel

Für die Freiheit der Wissenschaft sind letztes Jahr am 22. April 2017 allein in Deutschland über 37 000 Menschen beim „March for Science“ auf die Straße gegangen. Eine erstaunliche Resonanz für ein so abstraktes Ziel – zumal die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre ohnehin im Grundgesetz sicher verankert ist. Insgesamt geht es der Forschung hierzulande recht gut: Hier werden keine Institute geschlossen, die politisch Missliebiges nachweisen; regierungskritischen Forscherinnen und Forschern drohen weder Haft noch Folter. Aber, das zeigt die Historie – auch die jüngste: Die ersten Instanzen, die durch aufkeimenden Totalitarismus bedroht werden, sind stets diejenigen, die der Freiheit am meisten bedürfen: die Presse, die Kunst und eben auch die Wissenschaft.Das ist deshalb ein Problem, weil Freiheit unabdingbare Voraussetzung dafür ist, dass die Wissenschaft ihrer nobelsten Aufgabe nachkommen kann: dem Streben nach Erkenntnis, oder, noch gewichtiger, nach Wahrheit. „Es irrt der Mensch, solang er strebt“, heißt es bei Goethe; und das ist auch gut so, denn der Irrtum informiert uns über bessere Wege, uns der Wahrheit anzunähern, auch wenn klar ist, dass wir sie nie erreichen.Der Forschungsalltag sieht indes anders aus. Fälschungsskandale erschüttern die Wissenschaft; die Replikationskrise stellt sicher geglaubte Erkenntnisse in Frage – dagegen erscheinen die immer zahlreicheren Errata und zurückgezogenen Artikel fast wie Petitessen. Zu einem Gutteil ist das Problem hausgemacht: durch Anreizstrukturen, welche die Freiheit der Forschung einschränken und so das Streben nach Wahrheit konterkarieren.Worin bestehen diese Anreizstrukturen? Forscherinnen und Forscher sind eigentlich hochgradig intrinsisch und autonom motiviert. Dafür nehmen sie viele Missstände in Kauf. Befristete Stellen und hohe Arbeitsbelastung tun der Berufszufriedenheit des wissenschaftlichen Nachwuchses keinen Abbruch. Der Wert von Forschern und Forscherinnen bemisst sich jedoch nicht an ihrem Erkenntnisstreben, sondern an ganz profanen quantifizierbaren Faktoren: den Publikationen und ihrem „Impact“ – nicht zu verwechseln mit gesellschaftlicher Relevanz – sowie erfolgreichen Drittmittelanträgen. Diese setzen wiederum einschlägige Publikationen voraus, um als erfolgversprechend zu gelten. Der Druck, um jeden Preis zu publizieren, ist also groß; Freiheit sieht anders aus. Und wenn selbst zurückgezogene Artikel weiter als Belege zitiert werden, ist klar, dass auch mit der Wahrheit einiges massiv im Argen liegt.Wie also kann Forschung wieder freier werden? Ändern müssen sich zunächst die Anreizstrukturen. Spektakuläre Ergebnisse sind selten die belastbarsten. Das Transparenzstreben der Open-Science-Bewegung geht in die richtige Richtung. Aber es braucht mehr: nämlich Rahmenbedingungen, die ergebnisoffene Forschung möglich machen. Wo die Finanzierung der Promotion am Gelingen des Experiments hängt, wo Ergebnisse, die stringent hergeleiteten Hypothesen widersprechen, nicht publizierbar sind, wo Geldgeber die Resultate lenken wollen, ist das nicht der Fall.Ohne freie Forschung gibt es keine belastbaren Erkenntnisse, keine evidenzbasierten Interventionen und letztlich keine informierten politischen Entscheidungen. Deshalb müssen wir uns weiterhin für die Freiheit der Wissenschaft einsetzen, aufmerksam bleiben für ihre Bedrohungen und uns kritisch fragen, inwieweit nicht auch wir selbst durch zu angepasstes Handeln die Ideale der Aufklärung konterkarieren. Lassen Sie uns nicht in eine selbst verschuldete Unmündigkeit zurückfallen.PS: Am 14. April geht der „March for Science“ in die zweite Runde. Machen Sie mit, die GDCh ist offizieller Unterstützer des Marsches. Mehr unter: <a href="https://www.marchforscience.de" target="_blank">www.marchforscience.de</a>. BBDr. Tanja Gabriele Baudson, Universität Luxemburg, Hauptinitiatorin des deutschen „March for Science“<div><img src="https://media.graphcms.com/MyetGAgZSJ6sbLwqHYZi">

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