Gesellschaft Deutscher Chemiker

Hochverarbeitete Lebensmittel  – Pro und Contra

Hochverarbeitete Lebensmittel – es spricht vieles für sie, es gibt aber auch gute Gründe, vorsichtig zu sein. Sascha Rohn, Professor für Lebensmittelchemie und Analytik, übernimmt bei diesem Pro & Contra sowohl die Rolle des Fürsprechers als auch die des Mahners.

Pro: Die Lebensmittelprozessierung hat dazu beigetragen, dass die Lebenserwartung steigt

Die Be- und Verarbeitung von Lebensmitteln verbessert Nährstoffprofile und minimiert hygienische Risiken.

Pflanzliche und tierische Rohstoffe können durch Erhitzen, traditionelle Techniken zur Haltbarmachung wie Trocknen oder Fermentieren oder durch moderne Verfahren wie Hochdruck schmackhafter und gleichzeitig sicherer gemacht werden. Nach wie vor sind vor allem mikrobiologische Risiken nicht zu unterschätzen, führen sie doch zu Infektionskrankheiten und in schlimmen Fällen sogar zum Tod. 

Pathogene Mikroorganismen wie Salmonellen, Listerien, Campylobacter, enteropathogene Escherichia-Coli-Varianten wie ETEC und EHEC, aber auch Viren wie Noro- oder Rotavirus oder Parasiten müssen unschädlich gemacht werden, bevor ihre Zellbestandteile oder Exotoxine den menschlichen Organismus schädigen. Traditionelles Erhitzen in Form von Kochen, Braten oder Backen hat mikrobiologische Risiken signifikant reduziert. 

Lebensmittelhaltbarmachung war damit eindeutig ein Faktor für die stetig steigende durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in den letzten Jahrhunderten. Dabei sind auch verschiedene Lebensmittelzusatzstoffe von eindeutigem Nutzen. Oftmals lassen sich die Sorgen und Ängste der Verbrauchenden vor Zusatzstoffen nicht nachvollziehen, sind doch Zusatzstoffe Höchstmengenregelungen unterworfen und ihre Zulassung in langen Verfahren mit intensiver Risikobewertung im europäischen Lebensmittelrecht geregelt.

Be- und Verarbeitung führen zu einer Vielzahl neuer Lebensmittelprodukte. Die Breite des Warenangebots dient nicht nur der Ernährungsvielfalt, sie reduziert auch das Risiko ausgehend von einzelnen Lebensmitteln oder Lebensmittelinhaltsstoffen sowie Rückständen und Kontaminanten. Neue schonende, nicht-thermische Techniken verändern Lebensmittelinhaltsstoffe nicht mehr so stark, bei gleichzeitiger Lebensmittelhaltbarmachung. Dies hält die Konzentration labiler Inhaltsstoffe wie Vitamine oder essenzielle Amino- oder Fettsäuren aufrecht. Auch diese Verfahren müssen vom europäischen Lebensmittelrecht zugelassen werden.

Durch Lebensmittelbe- und -verarbeitung kann bisweilen die Bioverfügbarkeit, also die intestinale Aufnahme in den Organismus, und die biologische Wirksamkeit erhöht werden. So gilt stark konzentriertes Tomatenmark als besonders reich an Lycopin, einem Carotinoid, das in einigen Ernährungsstudien zu einem reduzierten Risiko an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Prostatakrebs führte. Wenngleich im Gegenteil teils Zusammenhänge zwischen dem Konsum stark verarbeiteter Lebensmittel und dem Auftreten ernährungsmitbedingter Erkrankungen gezeigt wurden, bleibt die Frage nach den grundlegenden Ursachen – den biologischen Mechanismen – dieser Zusammenhänge jedoch offen. 

Die seit einigen Jahren häufig in Studien angewendeten Systeme zur Klassifizierung von Lebensmitteln in stark oder weniger stark verarbeitete Lebensmittel berücksichtigen die gesamte Lebensmittelzusammensetzung unzureichend. Verarbeitungsziele wie Ernährungssicherung, klima- und umweltgerechte Ressourcennutzung werden bisher kaum berücksichtigt. Im Zusammenhang mit stark verarbeiteten Lebensmitteln diskutiert werden unter anderem Energiedichte, Lebensmittelstruktur und -matrix, Prozesskontaminanten und Zusatzstoffe – teils kombiniert mit Gesundheitsrisiken. Um diese differenziert zu verstehen, sind mehrere Dinge unabdingbar: einheitliche Kriterien, valide Erhebungsinstrumente und die Durchführung weiterer Studien, insbesondere Interventionsstudien.


Contra: Stark verarbeitete Lebensmittel können das Risiko ernährungsmitbedingter Erkrankungen steigern

Wie Ernährungsstudien zeigen, kann ein hoher Konsum von stark verarbeiteten Lebensmitteln das Entstehen ernährungsmitbedingter Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Adipositas, Herz-Kreislauf- und Krebs­erkrankungen fördern.

Als Hauptrisikofaktoren für ernährungsmitbedingte Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Adipositas, Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen gelten Übergewicht sowie übermäßige Energiezufuhr. Darüber hinaus ist ein hoher Konsum gesättigter Fett- und Transfettsäuren sowie von Zucker und Salz nachteilig.

In den letzten Jahren wird ein möglicher Zusammenhang zwischen dem regelmäßigen Verzehr stark verarbeiteter Lebensmittel und den genannten ernährungsmitbedingten Erkrankungen postuliert. In einer systematischen Literaturrecherche der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zur Aufbereitung des aktuellen Forschungsstands für den 15. DGE-Ernährungsbericht wurde anhand von 37 publizierten Ernährungsstudien ein Zusammenhang zwischen dem hohen Verzehr stark verarbeiteter Lebensmittel und den Endpunkten Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Adipositas/Übergewicht und Herz-Kreislauferkrankungen bestätigt.

Diese stark verarbeiteten Lebensmittel weisen oft hohe Mengen an Zucker, Fett und Salz und zugleich geringe Mengen an Mikronährstoffen und somit eine hohe Energiedichte auf. Die Verarbeitung verändert die Lebensmittelmatrix und führt in der Regel zu einem geringeren Anteil an Ballaststoffen. Daneben ist die höhere Schmackhaftigkeit verantwortlich für den Eintrag einer hohen Energiemenge bei geringem Zeitaufwand für das Kauen und letztlich auch schneller Resorption der Nährstoffe. Im Besonderen steigen Blutglucose- und Fettsäurespiegel stark an, was folglich das Risiko für Typ-2-Diabetes und Adipositas erhöht. Insgesamt wird durch solche Produkte sehr viel mehr Energie pro Zeiteinheit verzehrt, noch bevor physiologische Sättigungsmechanismen greifen können. Entsprechend ist ein hoher, regelmäßiger Verzehr von Lebensmitteln mit solchen ungünstigen Nährstoffprofilen nicht zu empfehlen.

Starke Lebensmittelprozessierung stellt auch ein Risiko für die Entstehung von Prozesskontaminanten dar. Immer wieder werden neue Verbindungen gefunden, die im Lebensmittelprozess als unerwünschtes Nebenprodukt entstehen. 

Ein bekanntes Beispiel ist Acrylamid, das sich bei starkem Erhitzen von Lebensmitteln und hohem Gehalt an bestimmten Aminosäuren, vor allem Asparagin, sowie bestimmten Zuckerarten wie Glucose und Fructose als Nebenprodukt der Maillard-Reaktion bildet. Es entsteht vor allem in fetterhitzten Kartoffelerzeugnissen wie in Kartoffelchips und Pommes frites, aber auch in zahlreichen Backwaren. In gerösteten Produkten wie Kaffee ist es ebenso regelmäßig nachweisbar wie die Prozesskontaminante Furan. Fettsäureester von 2- und 3-Monochlorpropandiol (2- und 3-MCPD) sind ebenfalls unerwünschte Stoffe, die vor allem in pflanzlichen Ölen und Fetten aus natürlichen Inhaltsstoffen gebildet werden.

Um das gesundheitliche Risiko solcher Produkte bewerten zu können, wurden in den letzten Jahren Kategorisierungssysteme entwickelt. Dabei werden Aspekte wie die der Veränderung der Matrix eines Lebensmittels oder die Verwendung von Zusatzstoffen adressiert, auch im Hinblick auf die Haltbarkeit dieser Produkte.

Das bekannteste Kategorisierungssystem ist dabei das Nova-System (nova: portugiesisch für neu), welches alle industriell verarbeiteten Lebensmittel in insgesamt vier Kategorien gruppiert, je nach Grad der Verarbeitung und der Verwendung von Zutaten und Zusatzstoffen (I nicht/wenig verarbeitet; II verarbeitete haushaltsübliche Zutaten; III verarbeitet; IV stark verarbeitet). Entsprechend des Grads ihrer Verarbeitung lassen sich dann anhand dieser Kategorien Ernährungsempfehlungen ableiten.

Autor

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Sascha Rohn

Sascha Rohn ist Professor für Lebensmittelchemie und Analytik an der TU Berlin.  Seine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Stabilität und Reaktivität von Lebensmittelinhaltsstoffen bei der Be- und Verarbeitung pflanzlicher Lebens- und Futtermittel. Er ist in etlichen Gremien und Verbänden aktiv, etwa als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Max-Rubner-Instituts, Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission und des Bundesverbands der Lebensmittelchemiker/-innen im öffentlichen Dienst.

Der Originalbeitrag wurde veröffentlicht in den Nachrichten aus der Chemie (Nachr. Chem.), Heft 09/2024 (Herausgeber: Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V., Verleger: Wiley-VCH-Verlag  GmbH Co KGaA, Weinheim) https://www.gdch.de/publikationen/nachrichten-aus-der-chemie.html

Die Rubrik „Pro und Contra“ der Nachrichten aus der Chemie wird von der GDCh-Fachgruppe Seniorexperten Chemie betreut, Dieter Kunz und Helmut Ritter koordinieren die Beiträge.

Titelbild: Alexa/pixabay

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.faszinationchemie.de.

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