Bildung + Gesellschaft

Masterstudenten und Doktoranden, die als Assistenten Studierende in den Laborpraktika betreuen, werden in der Regel nicht speziell auf ihre Aufgaben vorbereitet. An der Universität Marburg hat sich das nun geändert.
Assistenten sind ein wichtiger Bestandteil der Lehre in chemischen Laborpraktika. Ihre Tätigkeit geht weit über das Vermitteln fachlicher Inhalte hinaus: Sie leiten die Studierenden im Labor an, sind deren Ansprechpartner bei Problemen und beraten sie bei fachlichen Fragen sowie Verständnisschwierigkeiten. Sie unterstützen Studierende darüber hinaus bei fachübergreifenden Themen wie dem Einüben wissenschaftlichen Denkens und kooperativen Arbeitens. Assistenten bereiten die Praktikumstage vor, vermitteln fachliche Inhalte und setzen diese mit den Versuchen und der Labortätigkeit in Beziehung. Sie prüfen und bewerten die mündlichen und schriftlichen Leistungen der Studierenden und geben diesen dazu Feedback.Praktikumsassistenten sind also mit einem breiten Aufgabenfeld betraut, das von ihnen fachliche, überfachliche und didaktische Kompetenzen verlangt.Fachlich sind Assistenten, die sich häufig im Masterstudium oder in der Promotion befinden, durch ihr Studium gut ausgebildet. Didaktische und überfachliche Kompetenzen, die eine Assistententätigkeit ebenfalls erfordert, vermittelt das Studium hingegen nur selten; Beratung und Anleitung Studierender, effektive Kommunikation oder die didaktische Aufbereitung und Strukturierung komplexer fachlicher Inhalte sind nicht Bestandteil eines Chemiestudiums. Dies beeinflusst die Qualität von Laborpraktika mitunter erheblich, gerade wenn Assistenten am Anfang ihrer Tätigkeit stehen. Sie sind schnell überfordert und wissen nicht, wie sie mit den für sie noch unbekannten Situationen kompetent umgehen können. Dies kann den Lernprozess der Studierenden beeinträchtigen.1)<h2>Rollenwechsel: vom Lernenden zum Lehrenden</h2>Viele Assistenten eignen sich ihr didaktisches Können selbstständig im Verlauf des betreuten Praktikums an – häufig nach einem zeitaufwendigen und nicht immer erfolgreichen Trial-and-error-Vorgehen, ganz ohne Förderung. Dabei müssen sie von der Rolle des Studierenden hin zu der des Lehrenden wechseln, ihre eigene Tätigkeit und erlebte Situationen reflektieren und eigenständig Lösungen für Probleme finden. Dieser Prozess ist herausfordernd, da kein Experte sie anleitet oder unterstützt und sie bei diesem Prozess oft nur auf ihre eigenen Erfahrungen aus Schule, Studium oder aus Aktvitäten außerhalb der Universität zurückgreifen können.1) Zumeist konzentrieren sie sich hierbei auf den praktischen und den fachlichen Anteil. Ebenso wichtige begleitende, unterstützende und anleitende Aspekte bleiben außen vor.2)Auch im späteren Berufsleben in Industrie und Universität, etwa in der Leitung eines Forschungsteams, sind die Fähigkeiten zu kommunizieren, andere anzuleiten und zu unterstützen erforderlich.2) Eine frühzeitige Förderung dieser Kompetenzen ist daher auch für den späteren Lebensweg sinnvoll und erleichtert den Einstieg in den Beruf.An einigen Universitäten entstehen deshalb gerade Fördermaßnahmen, die Studierende bei ihrem Rollenwechsel vom Lernenden zum Lehrenden unterstützen (Kasten S. 16).<h2>Neues Projekt: Führungsethik für Chemiker</h2>Studierenden frühzeitig Führungskompetenzen vermitteln und das Thema Führungsethik in das Curriculum naturwissenschaftlicher und technischer Studienfächer integrieren: Das ist das Ziel des neuen Verbundprojekts „Führungsethik als Ethik in den Wissenschaften – Von der Theorie zur Praxis in Hochschule und Unternehmen“. Daran beteiligt sind das Internationale Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Uni Tübingen, die Arbeitsgruppe Chemiedidaktik der Uni Jena, das Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung der Uni Mainz und das Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik (WZGE). Die Carl-Zeiss-Stiftung fördert das Projekt.<a href="https://www.fuehrungundethik.de" target="_blank">www.fuehrungundethik.de</a><h2>Workshop für Praktikumsassistenten</h2>Um didaktische Kompetenzen bei Assistenten zu fördern, hat das Referat für Lehrentwicklung und Hochschuldidaktik an der Universität Marburg einen zweitägigen Workshop entwickelt. Das Angebot „Betreuung und Anleitung Studierender im Chemischen Praktikum“ ist Teil des Projekts „Für ein richtig gutes Studium“ im Rahmen des Qualitätspakts Lehre und hat bisher zweimal stattgefunden, den dritten Workshop gibt es nächstes Jahr. Als Referent engagierte die Universität den Dozenten Alexander Schiller (<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.schillermertens.de" target="_blank">www.schillermertens.de</a></ext-link>).In diesem Workshop lernen die angehenden Praktikumsassistenten die Grundlagen des Lernens und Lehrens kennen, setzen sich mit ihren Vorstellungen von guter Lehre, von perfekten Studierenden und guten Lehrenden auseinander. Einzelne Aspekte wie das eigene Auftreten, Kommunikation und die Arbeitsweise des Gehirns, wenn wir uns an Informationen erinnern, erfahren die Teilnehmenden direkt in Übungen.Ihre Erfahrungen aus dem Workshop setzen die Teilnehmer zuerst um, indem sie eigene fachliche Themen aus Forschungspraktika, Bachelor-, Master- oder Promotionsarbeit aufbereiten und während der Veranstaltung präsentieren.<h2>Situationen aus dem Praktikumsalltag</h2>Anhand eigener Beispiele und Erfahrungen analysieren die Teilnehmenden als problematisch empfundene Situationen im Praktikumsalltag – etwa wenn ein Student seinen Abzug nicht aufräumt –, spielen diese im Praktikumslabor durch und leiten daraus Handlungsweisen ab. Hierbei wenden sie auch die zuvor thematisierten Kommunikations- und Führungsstrategien sowie verschiedene Feedback-Methoden an.<figure><img src="https://media.graphcms.com/YHdJjDETIuxhsVrhpEjV"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Feedback-Runden sind Teil eines Workshops für angehende Praktikumsassistenten.</figcaption></figure>
Am Beispiel mündlicher Prüfungen und Kolloquien befassen sich die Teilnehmenden mit Kommunikation und Feedback und erstellen Bewertungskriterien für eigene Prüfungen. Mit Hilfe der Ariva-Methode (Ausrichten, Reaktivieren, Informieren, Verarbeiten, Auswerten) planen die Teilnehmenden schließlich eigene Lernumgebungen für die von ihnen betreuten Laborpraktika und wenden dabei die bis dahin erarbeiteten Konzepte an. Zu diesen Lernsettings erstellen sie Lernziele. Dafür nutzen sie die Smart-Methode (specific, measurable, achievable, relevance, timeliness) und verschiedene Taxonomien, also Operatorenlisten, mit denen sich Lernziele beschreiben lassen.<h2>Eigene Arbeit als Anknüpfungspunkt</h2>Durch den Workshop erhalten die Teilnehmenden einen Eindruck davon, wie sie Laborpraktika betreuen können, damit die Lehre gelingt. Zudem lernen sie Möglichkeiten kennen, ihre überfachlichen und didaktischen Kompetenzen zu erweitern. Dabei nehmen sie ihre eigenen Erfahrungen als Student sowie Assistent in den Laborpraktika und aus ihren Arbeitsgruppen auf und verwenden diese als Ausgangs- und Anknüpfungspunkte, anhand derer der Workshop den Rollenwechsel thematisiert.Auch der Nutzen und die Bedeutung der erarbeiteten Kompetenzen außerhalb des Laborpraktikums kommen in diesem Zusammenhang zur Sprache. Sie sind auch Themen für den Austausch zwischen den Teilnehmenden sowie mit dem Referenten.Vor dem Workshop wurden die Teilnehmenden nach ihren Anliegen gefragt; sie haben aber auch während des Workshops Gelegenheit, diese in den Workshop aufnehmen zu lassen.<h2>Grundlagen schaffen</h2>Die Teilnehmenden bewerteten die Veranstaltung in einem Fragebogen als sehr gut. Als sehr lernfördernd nennen sie den Praxisbezug, der über die Assistententätigkeit an der Universität hinausgeht, und die praktischen Übungsmöglichkeiten, die interaktiven Trainingsmethoden nach Thiagi (<a href="https://www.thiagi.com" target="_blank">www.thiagi.com</a>). Auch den Bezug auf die eigene Situation und auf eigene Erfahrungen sowie die damit verknüpften Möglichkeiten zur Reflexion und zum Perspektivwechsel hoben die angehenden Assistenten positiv hervor.Ein zweitägiger Workshop kann nicht alle Themen vollständig und ausführlich behandeln, die bei der Betreuung Studierender auf Assistenten zukommen. Der Workshop bietet den Teilnehmenden vielmehr eine Grundlage, auf der sie ihre Tätigkeit als Assistenten innerhalb und außerhalb von Laborpraktika reflektieren und ihre Kompetenzen für den Beruf weiterentwickeln können.Der Referent unterstützt und berät sie praxisnah an wichtigen Schlüsselstellen, vor allem bei der Anleitung Studierender und der didaktischen Ausrichtung von Lernsituationen. Dadurch können die Teilnehmenden selbstbewusster und zielgerichteter ihre Rollen vom Lernenden zum Lehrenden wechseln, schwierige Situationen entschärfen und kompetenter agieren. Sie erwerben die Kompetenzen schneller als ohne Anleitung und können hinderliche oder uneffektive Vorgehensweisen vermeiden.Die hier vorgestellten Ansätze und Konzepte können die Teilnehmenden im Anschluss im Rahmen des hochschuldidaktischen Angebots der Universität Marburg und der dortigen Serviceeinrichtungen weiter vertiefen.4)<h2>Der Autor</h2>Philipp Lindenstruth arbeitet seit dem Jahr 2017 als Referent für Lehrentwicklung und Hochschuldidaktik im Qualitätspakt-Lehre-Projekt „Für ein richtig gutes Studium“ an der Universität Marburg. Er hat Chemie und Geschichte für das Lehramt an Gymnasien studiert und promoviert im Arbeitskreis Fachdidaktik der organischen Chemie.<div><img src="https://media.graphcms.com/4V819xuQUCQxDTUmADes">

</div><h2>AUF EINEN BLICK</h2>In der Regel bringen sich Praktikumsassistenten didaktische Kenntnisse selbst bei.Das kann ineffektiv sein und die Qualität von Laborpraktika beeinträchtigen.Spezielle Anleitung der Assistenten kann die Qualität der Lehre verbessern und vermittelt zudem Kompetenzen für den Beruf.Das Bundesforschungsministerium finanziert das Projekt „Für ein richtig gutes Studium“.
<ul class="references"><li>
1 G. E. Gardner, J. Parrish, J. Biochem. Mol. Biol. Edu. 2018, 47 (1), 51–57.</li><li>
2 A. A. Flaherty, T. L. Overton, High. Educ. Res. Dev. 2018, 37 (7), 1380–1394.</li><li>
3 S. Freeman, S. L. Eddy, ? McDonough; M. K. Smith, N. Okoroafor, H. Jordt, M. P. Wenderoth, PNAS 2014, 111 (23) S. 8410–8415.</li><li>
4 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.uni-marburg.de/de/hochschuldidaktik/" target="_blank">www.uni-marburg.de/de/hochschuldidaktik/</a></ext-link></li></ul>

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Bei Ethik in der Wissenschaft geht es um mehr als um das, was ein Forscher im Labor tut und wie. Staunen, Ehrfurcht, Sorgfalt und innere Distanz charakterisieren das wissenschaftliche Ethos. Warum ist das so?
Wissenschaften kämpfen um ihre Glaubwürdigkeit: Plagiate, Fälschungen, selektive Datenauswahl, Überinterpretationen und andere Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens untergraben sie.Besonders augenfällige Beispiele gibt es immer wieder in der medizinischen Forschung, wie aktuell an der Universität Heidelberg: Anfang des Jahres hatte der Chefgynäkologe des Universitätsklinikums, Christof Sohn, als Weltsensation einen Bluttest für Brustkrebs angekündigt. Der Test genügte zu dem Zeitpunkt keinerlei wissenschaftlichen Kriterien.1,2)Nur wenig älter ist ein Fall an der Universität Tübingen: Der Hirnforscher Nils Birbaumer hatte – ebenfalls öffentlichkeitswirksam – behauptet, mit vollständig gelähmten Patienten über Hirnströme kommunizieren zu können. In Wirklichkeit hatte er Daten großzügig ausgelegt, fehlerhaft analysiert oder ignoriert.3,4)Beiden Fällen gemeinsam ist, dass die Hauptverantwortlichen bislang kaum Konsequenzen fürchten müssen und auch übergeordnete Stellen Bedenken überhört haben. Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft Matthias Kleiner, der einer externen Untersuchungskommission zu dem Heidelberger Fall vorsitzt, sprach von „Führungsversagen, Machtmissbrauch und Eitelkeit“.5)Medien, Geldgeber und Universitätsleitungen fördern allerdings den Hype um einzelne Protagonisten in der Wissenschaft. In ihren Augen haben neue Erkenntnisse allein offenbar einen zu geringen Wert. Die forschende Person steht zwar im Zentrum der Wissenschaft. Aber vor dem Erfolg des Einzelnen – wie auch immer dieser definiert sein mag – müssen wir seiner ethischen Grundhaltung Aufmerksamkeit schenken.<h2>Ethos des Wissenschaftlers</h2>Ein Forscher, der die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis verletzt, ist einerseits Opfer unseres Wissenschaftssystems. Dieses fördert nämlich Fehlverhalten.6–10)Andererseits befreit ein Umfeld, das unethisches Verhalten fördert, den einzelnen Menschen nicht von seiner Verantwortung. Im Namen wirtschaftlicher Dogmen6,9) wurde zwar die „Freiheit, die das Wesen einer Universität ausmacht“,8) eingeschränkt. Es ist jedoch erstaunlich und zugleich erschreckend, wie wenig Widerstand Akademikerinnen leisteten und leisten. Jeder Wissenschaftler muss sich daher fragen, ob er nicht selbst zu angepasst handelt.10)Ethik in der Wissenschaft ist daher mehr als bloß das Vermeiden von wissenschaftlichem Fehlverhalten. Sie erfordert nicht nur Redlichkeit, sondern ein Ethos des Forschers, das auf inneren Werten beruht. Die den Forschungsalltag dominierenden Werte können damit nicht gemeint sein: eingeworbenes Geld, Zahl an Publikationen, Hirsch-Faktor, Positionen in Rankings, Evaluationsergebnisse. Auch nicht jene Werte, die Universitäten ihren Studierenden nahelegen: „Werdet reich und mächtig.“11)Die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb hingegen bringt den Kern des von Wissenschaftlern zu fordernden Ethos auf den Punkt: Sie sollten ihren Studenten den Wert eines geglückten Lebens vermitteln.11)Tatsächlich stellt die Frage nach dem richtigen, verantwortungsvollen Verhalten nur einen Aspekt der Ethik dar. Nach Aristoteles geht es letztlich um „das höchste Gut des menschlichen Lebens“, die Glückseligkeit.12) Sie ist die „optimale Verfassung des Menschen, in der seine biologischen, psychischen und rationalen Vermögen […] sich in wohlproportionierter Harmonie befinden.“ Richtiges Handeln folgt aus dem Ziel, gut zu leben.Für eine Wissenschaftlerin geht es deshalb bei Ethik primär nicht darum, was sie zum Beispiel im Labor tut, welche Qualitätsstandards sie einhält, dass sie die Einflüsse ihrer Arbeit auf Gesellschaft und Umwelt13) bedenkt und ähnliches. Ethik in der Wissenschaft betrifft die Forscherin in ihrer ganzen Persönlichkeit.Wir müssen daher gängige Regeln zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis so erweitern, dass sie das Ethos des Wissenschaftlers erfassen: Raum zum Staunen offenhalten, Ehrfurcht vor dem Forschungsgegenstand haben, sorgfältig arbeiten und fachliche Grenzen achten, Distanz zur eigenen Arbeit einnehmen, sich Zeit lassen.<h2>Staunen</h2>Staunen steht am Anfang des Fragens.14) Es gibt die Fragen der Einzelwissenschaften; sie gleichen Rätseln, und Antworten heben sie auf – samt dem Impuls des Staunens. Ihnen stehen Fragen gegenüber, die keine Antwort finden.14) Zum Beispiel: Warum ist die Natur nicht chaotisch, sondern geordnet? Und wie ist es möglich, dass wir ihre Ordnungsprinzipien erkennen und mathematisch erfassen können?Wir sollten Empfindsamkeit für solche Fragen bilden, denn sie bleiben im „Milieu des Staunens“:14) Antworten scheinen in Griffweite zu sein. Versuchen wir jedoch, sie zu formulieren, erfassen wir nur Teilaspekte. Das Staunenswerte aber zieht uns an, wir stimmen ihm zu – weil es Sinn stiftet und beglückt.15)<h2>Ehrfurcht</h2>Ehrfurcht ist die Grundlage aller Tugenden, sagte Cicero. Wir müssen sie anderen Menschen gegenüber einüben, als Wissenschaftler aber genauso gegenüber dem Gegenstand unserer Forschung. Das heißt, dass wir dem „zu Erkennenden […] Vorrang vor dem Erkennen“14) einräumen und nicht uns selbst, sondern die zu erforschende Sache in den Mittelpunkt stellen.16) Zur Ehrfurcht vor dem Forschungsgegenstand gehört auch, dass wir sorgfältig arbeiten und Erkenntnisse vor ihrer Veröffentlichung reifen lassen. Schließlich müssen wir fachliche Grenzen achten, wir dürfen daher Einzelwissenschaften nicht zu einer Metaphysik erheben. Wenn wir Distanz zur eigenen Arbeit einnehmen, sind wir weniger anfällig für wissenschaftliches Fehlverhalten.Wer diese Handlungsanleitungen ernst nimmt, muss sich Zeit lassen. Sie alle setzen Muße voraus. Auch die Idee des guten Lebens selbst hat eine zeitliche Dimension. Wir haben das gute Leben nie in der Tasche, weil wir uns „immer wieder zwischen Verhaltensweisen entscheiden [müssen], die mehr oder weniger gut oder schlecht sind“.17) Das Leben, auch das des Wissenschaftlers, ist daher ein Auf-dem-Weg-Sein.Deshalb gilt für die Forschung: Regeln guter wissenschaftlicher Praxis suggerieren eine Klarheit, die es nicht gibt. Wissenschaftler müssen immer wieder selbst Verantwortung übernehmen und „das jeweils Bessere, das kleinere Übel“17) wählen.<h2>Mehr Freiheit wagen</h2>Die „Unterwerfung des Wissens unter die Prinzipien des Marktes“ hat die akademische Freiheit eingeschränkt.8) Das wissenschaftliche Ethos indes liegt quer zur betriebswirtschaftlich strukturierten Universität – und es fördert die Freiheit der Wissenschaftler. Das ist kein Zufall, denn Freiheit fällt mit dem unbedingt Guten, der Glückseligkeit der aristotelischen Ethik zusammen.17) Das Ethos verlangt also von Forschern, sich falschen ökonomischen Anreizen6–9) und dem Streben nach persönlichem Ansehen16) zu widersetzen. Es heißt, den verbliebenen Freiraum auszuschöpfen und ihn durch Grenzüberschreitungen wieder auszudehnen.<figure><img src="https://media.graphcms.com/CRdaKqlS5am1npbTsDqw"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Abbildung: ©xyz+ – <a href="https://stock.adobe.com" target="_blank">stock.adobe.com</a></figcaption></figure>
<h2>Der Autor</h2>Markus Seidl-Nigsch hat in Wien Chemie studiert und in Innsbruck in physikalischer Chemie promoviert. Er lebt in Schoppernau, Österreich, und arbeitet aktuell an einer Phänomenologie des gedruckten Buchs und dessen Vorzügen gegenüber E-Books. <a href="mailto:m-seidl@a1.net">m-seidl@a1.net</a>, <a href="http://members.aon.at/m-seidl/" target="_blank">http://members.aon.at/m-seidl/</a><div><img src="https://media.graphcms.com/ZMIQEfPgSMCuKYIaXOK3">

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<ul class="references"><li>
1 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/heidelberg-brustkrebs-bluttest-skandal-1.4527497" target="_blank">www.sueddeutsche.de/gesundheit/heidelberg-brustkrebs-bluttest-skandal-1.4527497</a></ext-link>(Stand 27.09.2019)</li><li>
2 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.uni-heidelberg.de/de/newsroom/bluttest-zur-brustkrebsdiagnostik" target="_blank">www.uni-heidelberg.de/de/newsroom/bluttest-zur-brustkrebsdiagnostik</a></ext-link>(Stand 27.09.2019)</li><li>
3 P. Bauer, P. Illinger, T. Krause, Wunschdenken, Süddeutsche Zeitung Magazin 2019, 15, 9</li><li>
4 Untersuchungskommission stellt wissenschaftliches Fehlverhalten durch Tübinger Hirnforscher fest, Pressemitteilung der Universität Tübingen, 06.06.2019, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen/pressemitteilungen/newsfullview-pressemitteilungen/article/untersuchungskommission-stellt-wissenschaftliches-fehlverhalten-durch-tuebinger-hirnforscher-fest/" target="_blank">https://uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen/pressemitteilungen/newsfullview-pressemitteilungen/article/untersuchungskommission-stellt-wissenschaftliches-fehlverhalten-durch-tuebinger-hirnforscher-fest/</a></ext-link> (Stand 22.08.2019)</li><li>
5 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.forschung-und-lehre.de/kommission-kritisiert-falsch-verstandene-freiheit-der-wissenschaft-1961/" target="_blank">www.forschung-und-lehre.de/kommission-kritisiert-falsch-verstandene-freiheit-der-wissenschaft-1961/</a></ext-link>(Stand 27.09.2019)</li><li>
6 M. Binswanger, Sinnlose Wettbewerbe, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2010</li><li>
7 W. F. van Gunsteren, Angew. Chem. Int. Ed. 2013, 52, 118</li><li>
8 K. P. Liessmann, Geisterstunde, Paul-Zsolnay-Verlag, Wien, 2014</li><li>
9 M. Seidl, Nachr. Chem. 2016, 64, 1094</li><li>
10 T. G. Baudson, Nachr. Chem. 2018, 66, 383</li><li>
11 H. Kromp-Kolb, „Aufgabe der Bildung“, BildungsTV, 02.11.2015, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.youtube.com/watch?v=2OL-0QvQoCI" target="_blank">www.youtube.com/watch?v=2OL-0QvQoCI</a></ext-link> (Stand 12.04.2019)</li><li>
12 B. Merker, „Ethik/Moralphilosophie/Moral“, In: H. J. Sandkühler (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie, Band 1, Felix-Meiner-Verlag, Hamburg, 2010</li><li>
13 J. Mehlich, F. Moser, B. Van Tiggelen, L. Campanella, H. Hopf, Chem. Eur. J. 2017, 23, 1210</li><li>
14 G. Haeffner, Wege in die Freiheit, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, 2006</li><li>
15 M. Hagner, Die Lust am Buch, Insel-Verlag, Berlin, 2019</li><li>
16 R. Reuß, Ende der Hypnose, Stroemfeld-Verlag, Frankfurt am Main und Basel, 2013</li><li>
17 A. Keller, Vom guten Handeln, Echter-Verlag, Würzburg, 2010</li></ul>

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