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Graphen als zweidimensionales Polymer

100 Jahre Makromolekulare Chemie

Graphen, der Prototyp eines zweidimensionalen Polymers mit einem vollständig konjugierten π-System, hat die Materialwissenschaften seit seiner Entdeckung im Jahre 2004 revolutioniert. Graphen besteht aus kondensierten, ungesättigten Kohlenstoff-Sechsringen und bildet eine atomar dicke – oder besser: dünne – Schicht, die man als eine bidirektionale Bienenwabenstruktur betrachten kann. Die elektronischen, optoelektronischen, mechanischen und thermischen Eigenschaften von Graphen, die von Geim und Novoselov entdeckt wurden, sind einzigartig. So zeigt Graphen eine extrem hohe Ladungsträgermobilität, was für seine Verwendung als Halbleiter in schnell schaltenden Feldeffekttransistoren (FETs) von hoher Bedeutung sein kann.

Die Physik von Graphen wurde mittels theoretischer und experimenteller Ansätze ausführlich beschrieben. Besonders wichtig ist die Tatsache, dass Graphen eine verschwindend kleine Bandlücke aufweist. [1] Ein FET auf der Basis von Graphen als Halbleiter würde damit immer einen Stromfluss zeigen und keinen Sperrzustand besitzen. Dies ist praktisch nicht sinnvoll, weshalb die Bandlücke von Graphen vergrößert werden muss. Ein Ansatz ist die geometrische Begrenzung, wie sie in polymeren Nanographenstreifen (engl. Graphene Nanoribbons (GNRs)) angewandt wird. [2] Während Graphen ein zweidimensionaler Polymerhalbleiter ist, sind GNRs dessen quasi eindimensionale Analoga. Dies wirft Fragen hinsichtlich der Rolle von GNRs zwischen Graphen und linearen (1D) konjugierten Polymeren auf. In der Tat sucht man seit langem nach sogenannten Leiterpolymeren: ihr doppelsträngiger Charakter verspricht eine verbesserte chemische Stabilität und der Einfluss von Defekten als Ladungsträgerfallen könnte überwunden werden.

Man könnte daher meinen, dass Graphen hauptsächlich eine Spielwiese für Physiker, Materialwissenschaftler und Ingenieure sei. Jedoch bestimmt die Art und Weise, wie Graphene (siehe unten) hergestellt werden, deren intrinsische Eigenschaften und ihr Leistungsvermögen. Typische chemische Fragestellungen beziehen sich auf die Größen- und Formkontrolle, die Funktionalisierung und Strukturperfektion sowohl an den Kanten als auch im Inneren, die Ausbeuten und verfügbaren Mengen, die Verarbeitbarkeit, den Einbau von Heteroatomen (Dotierung), die Bildung von Doppel- oder Multischichten sowie die Reaktivität gegenüber z.B. Oxidationsmitteln, Wasserstoff oder Fluor. Daher ist die Graphenchemie von wesentlicher Bedeutung und hat enorm von Erfahrungen, die für andere Kohlenstoffallotrope wie Fullerene und Kohlenstoffnanoröhren gemacht wurden, profitiert.

Wie kann man Graphen und verwandte Schichtstrukturen kontrolliert synthetisieren?

Bereits Erich Clar, großer Pionier der Chemie von polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAKs), war mit der verschwindend geringen Löslichkeit großer PAKs in organischen Lösungsmitteln konfrontiert. [3] Dies ist auf die ausgeprägte Tendenz der scheibenförmigen Moleküle zur Bildung stapelförmiger Aggregate, ähnlich wie bei der Stapelung von Graphen zu Graphit, zurückzuführen. Die Lösungsmittel-gestützte Exfoliierung, man könnte auch von „Abpellen“ sprechen, war unter Mikrowellen- oder mechanischer Scherbehandlung möglich. Allerdings wurden nur relativ niedrige Konzentrationen von Graphen mit einer Schicht/wenigen Schichten (<5% Ausbeute) erreicht. Die chemische Funktionalisierung von Graphit liefert hier den Schlüssel. Unter den Oxidationsprotokollen ist das bekannteste die Hummers-Methode, bei der eine Mischung aus H2SO4, NaNO3 und KMnO4 verwendet wird. Diese Methode liefert konzentrierte gelbe Dispersionen mit monolagigem Graphenoxid (GO) in Wasser. GO ist strukturell undefiniert und beinhaltet verschiedene funktionelle Substituenten, wie z. B. Hydroxyl-, Carboxyl- und Epoxy-Gruppen. Die 2D-Struktur, die Selbstorganisation und die weitere chemische Funktionalisierung von GO wurden intensiv untersucht. Die thermische oder chemische Reduktion ergab defektreiche Graphenproben, die beispielsweise eine relativ geringe Ladungsträgerbeweglichkeit oder ein hohes Atomverhältnis von Sauerstoff zu Kohlenstoff offenbarten. Die Reduktion von GO bietet daher keinen überzeugenden Zugang zu perfekten Graphenschichten.
Eine Alternative ist die elektrochemische Exfoliierung von Graphit, bei der ein Potential an die Graphitelektroden angelegt wird. [4] Die Trennung von Graphenflocken, meist Monoschichten bis hin zu Dreifachschichten, wird durch die anfängliche radikalische Addition (aus der Gegenionenzersetzung) an Kanten oder Korngrenzen der Graphitschichten und die anschließende Einlagerung von Ionen aus dem Leitelektrolyten vorangetrieben. Die Natur und Menge der eingebauten funktionellen Gruppen, die für die elektronische Qualität und Löslichkeit relevant sind, können experimentell kontrolliert werden. Somit lassen sich Fluorradikale, die aus der Zersetzung von Tetrafluorboraten entstehen, kovalent anbinden, um die Ladungsspeicherkapazität des Graphenmaterials in Superkondensatoren zu verbessern. Diese Herstellung von Graphen geht von Graphit aus und wird daher als "Top-Down"-Ansatz betrachtet. Andere Methoden, wie das epitaktische Wachstum mittels Pyrolyse von Siliciumcarbid, müssen hier außer Acht gelassen werden, obwohl sie eine hohe strukturelle Perfektion liefern. Es gibt jedoch einen alternativen Ansatz zur Graphenherstellung, der von kleinen Kohlenstoffquellen ausgeht und daher als "bottom-up" bezeichnet wird. Unter den Wachstums-Bedingungen einer „Chemischen Dampfabscheidung“ (CVD) zersetzen sich Gase wie Methan in C2-Fragmente, die dann auf Kupferoberflächen abgeschieden und zu Graphenschichten kondensiert werden können. Dieses Verfahren bringt jedoch einige Schwierigkeiten mit sich. Dazu gehören Kohlenstoffverunreinigungen im Kupfersubstrat, die entfernt werden müssen. Ein weiteres Problem ist, dass das Graphen vom Substrat abgehoben werden muss. Das Ätzen des Kupfers ist hingegen problematisch, daher wurden Glassubstrate verwendet. Die gemeinsame Zufuhr von stickstoff- oder borhaltigen Gasen zusammen mit der Kohlenstoffquelle erlaubt eine Dotierung mit Heteroatomen, die jedoch nicht ortsselektiv ist.

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© X. Feng, K. Müllen

Das „Schneiden“ von Graphen in Nanofragmente ergibt Nanographene oder Graphen-Quantenpunkte, jedoch liefern weder physikalische noch chemische Ansätze definierte Strukturen. Abhängig vom Heteroatomeinbau und der Topologie, d. h. der Art und Weise, wie die sechseckigen Ringe miteinander verbunden sind, besitzen PAKs völlig unterschiedliche chemische und elektronische Eigenschaften. [3] Der Aufbau homologer Reihen konjugierter Oligomere und die Extrapolation ihrer Eigenschaften auf die entsprechenden linearen Polymere war ein wichtiger Schritt zur Aufklärung des Verhaltens organischer Elektronikmaterialien. Auch für die Charakterisierung von Graphenen ist die Vergrößerung der PAKs bis hin zu Nanographenen enorm wichtig (vgl. Schema). Die Synthesemethode, die sich dabei als besonders wertvoll erwiesen hat und heutzutage weit verbreitet ist, ist die Cyclodehydrierung von löslichen dendritischen Oligophenylen-Vorläufern unter Verwendung von Lewis-Säuren und Oxidationsmitteln, die als Scholl-Reaktion bekannt ist. Das Design des Oligophenylen-Vorläufers ist entscheidend, da es die endgültige Größe und Kantenstruktur des gewünschten Nanographens bestimmt.

Die Synthese von Nanographenen kann als Modellsystem für die Synthese von GNRs dienen. Die erste Herausforderung ist dabei die Synthese der Vorläuferpolymere, die aus einem Polyphenylen-Grundgerüst bestehen. Wie bei der konventionellen Synthese von linearen konjugierten Polymeren wurde dazu die übergangsmetallkatalysierte Aryl-Aryl-Kupplung eingesetzt. Die erzielbaren Molekulargewichte sind jedoch bekanntermaßen aufgrund der schlechten Löslichkeit oder der Nebenreaktionen, die zum Verlust der endständigen funktionellen Gruppen führen, limitiert. Im Gegensatz dazu hat die repetitive Diels-Alder-Cycloaddition eines Vorläufermoleküles vom AB-Typ, das aus einem Cyclopentadienon als konjugiertem Dien und einer Ethinylgruppe als Dienophil besteht, einen löslichen Polyphenylen-Vorläufer mit ultrahohem Molekulargewicht (620±60 kgmol-1) geliefert, was einer Länge von etwa 600 nm entspricht. Anschließend konnten diese Polymere mit Hilfe der Scholl-Reaktion zu Flüssigphasen-verarbeitbaren GNRs planarisiert werden, deren Struktur durch Raman-Spektroskopie und Rastertunnelmikroskopie (STM) nachgewiesen wurde. 
 

Moderne PAK-Chemie

Ein Schlüsselschritt der modernen PAK-Chemie war die Synthese eines Hexabenzocoronens nach Abscheidung und thermischer Umwandlung eines Hexaphenylbenzol-Vorläufers auf einer Kupferoberfläche über intramolekulare Cyclodehydrierung. [5] Andererseits können konjugierte Polymere auf Metalloberflächen aus Dihalogenderivaten aromatischer Moleküle durch thermische Kohlenstoff-Halogen-Spaltung und Polymerisation der diradikalischen Zwischenprodukte synthetisiert werden. Ein GNR mit Sessel-artiger Peripherie konnte man unter Verwendung von 10,10'-Dibrom-9,9'-bianthryl als Monomer mit anschließender Cyclodehydrierung des Polyphenylen-Zwischenproduktes auf Au (111) synthetisieren. [2] Ein faszinierender Nebenaspekt war die Möglichkeit, beide Prozesse durch STM in-situ zu überwachen. Die Aufskalierung ähnlicher Synthesen wurde durch die Verwendung von CVD-Bedingungen im Hochvakuum anstelle der mühsamen Ultrahochvakuum-Konditionen und durch die Verwendung von Dihalo-substituierten Oligophenylenen als Vorläufer möglich.
Das wichtigste Merkmal der Oberflächen-unterstützten Synthese ist, dass sie die präzise Synthese von GNRs auf atomarer Ebene ermöglicht. Dies ist entscheidend für die Kontrolle ihrer elektronischen und spintronischen Eigenschaften und für die Bereitstellung von GNRs, die durch Lösungssynthese nicht verfügbar sind. Das Verfahren hat sich zu einer reichen Quelle für GNRs mit unterschiedlichen Breiten entwickelt. Die Strukturkontrolle umfasst auch die Art der Kanten (siehe Schema) und den ortsspezifischen Einbau von Heteroatomen. Diese GNRs stellen eine neue Generation von elektronischen Materialien dar. In der Tat konnte nachgewiesen werden, dass sie endliche Bandlücken und damit das gewünschten Ein/Aus-Verhalten in FETs aufweisen. Andere Aspekte wie hohe Kohärenzzeiten von Spins auf GNRs oder das Auftreten robuster, topologisch isolierender GNRs sind wahrscheinlich von größerer Relevanz, da sie eine enorme Bedeutung für zukünftige Quantentechnologien bieten.

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© X.Feng, K.Müllen

Unverzichtbar für neue Technologien

Das Potenzial von GNRs wurde seit langem von Physikern und Materialwissenschaftlern erkannt, die Fertigungsverfahren wie die Lithografie von Graphen oder das Aufschneiden von Kohlenstoffnanoröhren verwendet haben. Diese Methoden können jedoch nicht die strukturelle Perfektion bieten, die zur Aufdeckung und Nutzung der genannten Eigenschaften erforderlich ist. Die Physik von Kohlenstoff-Allotropen und Graphen-Materialien hat der Polymerwissenschaft große Impulse geliefert und neue Forschungsbereiche eröffnet. Umgekehrt wird die Polymerwissenschaft ein unverzichtbares Werkzeug zur Erlangung eines tieferen Verständnisses ebenso wie zur Entwicklung neuer Anwendungen und Technologien bleiben.

Autoren: Prof. Dr. Xinliang Fenga und Prof. Dr. Klaus Müllenb (a: Technische Universität Dresden, b Max-Planck-Institut für Polymerforschung)
Redaktionelle Bearbeitung: Lisa Süssmuth, GDCh
 

Literatur

1

[1]K. S. Novoselov, A. K. Geim, S. V. Morozov, D. Jiang, Y. Zhang, S. V. Dubonos, I. V. Grigorieva, A. A. Firsov, Science 2004, 306, 666-669.

2

[2]J. Cai, P. Ruffieux, R. Jaafar, M. Bieri, T. Braun, S. Blankenburg, M. Muoth, A. P. Seitsonen, M. Saleh, X. Feng, K. Müllen, R. Fasel, Nature 2010, 466, 470.

3

[3]A. Narita, X.-Y. Wang, X. Feng, K. Müllen, Chem. Soc. Rev. 2015, 44, 6616-6643.

4

[4]S. Yang, M. R. Lohe, K. Müllen, X. Feng, Adv. Mater. 2016, 28, 6213-6221.

5

[5]A. Stabel, P. Herwig, K. Müllen, J. P. Rabe, Angew. Chem. Int. Ed. 1995, 34, 1609-1611; K. Weiss, G. Beernink, F. Dötz, A. Birkner, K. Müllen, C. H. Wöll, Angew. Chem. Int Ed. 1999, 38, 3748-375.

Die Makromolekulare Chemie feiert in diesem Jahr hundert Jahre. Jeder von uns ist Makromolekülen schon begegnet, zum Beispiel in Form von Kunststoff. Zum Jubiläum zeigen unsere Beiträge dieses Jahr, wo Makromoleküle vorkommen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf faszinationchemie.de.

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