Bildung & Gesellschaft

Ende August trafen sich im englischen Liverpool Chemiker aus ganz Europa zum 7. Kongress der Euchems. Dort änderte der Dachverband der europäischen Chemiegesellschaften seinen Namen: Das Silbenkurzwort – Eigenschreibweise EuChemS – soll fortan für European Chemical Society stehen.
Dass der zweijährliche Euchems-Kongress dieses Jahr ausgerechnet im Vereinigten Königreich stattfand, hat etwas Symbolisches: Großbritannien mag die Europäische Union (EU) verlassen, aber die Royal Society of Chemistry (RSC) hält an ihrer Zusammenarbeit mit dem Rest Europas fest. „Euchems und RSC haben bekräftigt, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU keinen Einfluss darauf haben wird, wie wir zusammenarbeiten“, sagt GDCh-Geschäftsführer Wolfram Koch. „Die RSC spielt nach wie vor dieselbe wichtige Rolle, die sie vor dem Brexit gespielt hat.“Die RSC ist die größte Mitgliedsorganisation in der Euchems, gefolgt von der GDCh. Im September 2017 veröffentlichte der europäische Dachverband der Chemiefachgesellschaften ein Positionspapier, in dem er forderte, das Vereinigte Königreich auch nach dem Austritt aus der EU in die wissenschaftlichen EU-Förderprogramme zu integrieren, unter anderem in Horizont 2020 und alle künftigen Forschungsrahmenprogramme.1)Insgesamt vereint die Dachorganisation über 40 Fachgesellschaften aus 32 Ländern, darunter sind die Schweiz, die Türkei, Russland und Israel, also Länder, die nicht zur EU gehören, oder wie Israel nicht mal zu Europa.<h2>Fast ein halbes Jahrhundert</h2>Einen europäischen Dachverband der Chemiegesellschaften gibt es seit dem Jahr 1970 – damals wurde die Federation of European Chemical Sciences (FECS) in Prag gegründet. Im Jahr 2004 wandelte sich die FECS um zur European Association for Chemical and Molecular Sciences mit Sitz in Brüssel.Die FECS sah sich von Anfang an als gesamteuropäische Chemikergemeinschaft über ideologische Grenzen hinweg und bezog auch Staaten östlich des Eisernen Vorhangs ein. Ende der 1980er Jahre wurde die DDR Mitglied, dank der Bemühungen von Egon Fanghänel, von 1985 bis 1988 Vorsitzender der Chemischen Gesellschaft der DDR. Die DDR-Führung hatte viele Jahre ihre Zustimmung zu einem Beitritt verweigert.Beim Kongress in Liverpool nannte sich die europäische Chemikervereinigung nun erneut um: Aus der European Association for Chemical and Molecular Sciences wird die European Chemical Society.Der Name wird dadurch einerseits unkomplizierter. „Die Frage stellte sich ja immer, warum die Molecular Sciences im Namen explizit erwähnt werden“, sagt Koch. Die Umbenennung will aber noch mehr ausdrücken: „Von der Association, einem eher losen Verbund, werden wir zur Society, ähnlich den nationalen Gesellschaften.“ Die Diskussionen um den Brexit hätten diese Entscheidung mitbefeuert.Praktischerweise bleibt damit das Akronym erhalten; in der Eigenschreibweise ändert sich nur die Großschreibung eines einzigen Buchstabens: Aus EuCheMS wird EuChemS.<h2>Wozu ein europäischer Dachverband?</h2>Nur chemische Gesellschaften als Ganzes wie die GDCh können Euchems-Mitglied werden, keine Einzelpersonen. Die GDCh bezahlt einen Mitgliedsbeitrag an die europäische Dachorganisation, umgerechnet etwa 2,50 Euro pro ordentlichem GDCh-Mitglied.Analog zu den Fachgruppen der GDCh setzt sich die Euchems aus den Divisions und Working Parties zusammen: Diese Fachgruppen organisieren Tagungen und sorgen für den wissenschaftlichen Austausch auf europäischer Ebene. Darüber hinaus engagiert sich die Organisation politisch und betreibt in Brüssel Lobbyarbeit für die wissenschaftliche Forschung und die Chemie in Europa. Sie verfasst Positionspapiere wie zur Zukunft der europäischen Forschung nach dem Brexit, zu Ausbildungsfragen, zur europaweiten Anerkennung von Universitätsabschlüssen und zu EU-Gesetzesentwürfen. Letztes Jahr unterstützte die Euchems etwa die neue EU-Richtlinie, Acrylamid-Grenzwerte in Lebensmitteln zu senken und so das Gesundheitsrisiko zu reduzieren.Die Euchems organisiert auch Workshops für EU-Parlamentarier, im Mai 2017 beispielsweise zum Unkrautvernichter Glyphosat.2,3) Schlussfolgerungen aus dem Workshop waren unter anderem, dass die Substanz nur an Fachleute abgegeben und die bisher geltende Langzeitzulassung über 15 Jahre überdacht werden solle. Die Euchems sieht noch viel Forschungsbedarf, etwa bei der erlaubten Tagesdosis, auch seien die analytischen Methoden zum Nachweis bisher unzureichend. Weitere Policy Workshops widmeten sich dem Pariser Klimaschutzabkommen und den zunehmenden Antibiotikaresistenzen.Als die EU-Kommission im Februar einen Gesetzesvorschlag für neue Grenzwerte im Trinkwasser veröffentlichte, hatte sie zuvor die Euchems um eine Einschätzung gebeten, erzählt Eckart Rühl, Professor für Physikalische Chemie an der FU Berlin und Euchems-Schatzmeister.4)<h2>Europa leben</h2>In Euchems könnten Chemiker nicht nur das wissenschaftliche Leben mitgestalten, sondern auch aktiv in Bereichen mitwirken, die für die Politik bedeutsam sind, findet Eckart Rühl. „Für mich war mein Engagement bei Euchems die Möglichkeit, Europa im eigenen professionellen Umfeld in die Realität zu überführen.“ Rühl ist seit dem Jahr 2007 bei der Euchems aktiv, initiierte 2010 die Einrichtung einer Division für physikalische Chemie, deren Vorsitz er bis 2017 innehatte, und wurde danach Euchems-Schatzmeister. Die gute Zusammenarbeit zwischen den Fachgesellschaften auch in Zeiten des Brexit zeige, dass die Chemie unteilbar sei, fügt Rühl hinzu. „Es gibt niemals offene Eklats, alle sind sehr konsensbemüht“, sagt er. „Niemand nutzt seine Stärke aus oder schiebt seine Schwäche vor.“Koch bestätigt dies: Man sei sich immer recht einig, wenn es darum gehe, wie man sich Brüssel gegenüber positioniere. „Wenn es mal knirscht zwischen den Mitgliedsorganisationen, dann betrifft das meist finanzielle Fragen.“ Große Mitgliedsgesellschaften wie die GDCh und die RSC haben ein höheres Budget zur Verfügung. Eine mögliche Beitragserhöhung trifft sie zudem weniger hart als die kleinen chemischen Gesellschaften etwa in Osteuropa.<h2>Groß und Klein</h2>„Die Zusammenarbeit in der Euchems ähnelt dem, was man auch auf politischer EU-Ebene beobachtet“, sagt Koch. Dass die Fachgesellschaften so unterschiedlich groß sind, führt hin und wieder zu Reibungskonflikten. „Es ist häufig so, dass die Kleinen meinen, die Großen wollten sie dominieren, oder dass manche Gesellschaften glauben, sie würden nicht angemessen repräsentiert.“ Letzteres passiere beispielsweise vor den großen Kongressen, wie jetzt dem in Liverpool. Da achte jede Gesellschaft peinlich genau darauf, dass sie mit genug Vorträgen vertreten sei.Einige kleinere nationale Gesellschaften sind im Lauf der Jahre aus der Euchems verschwunden. Nicht vertreten sind heute beispielsweise die beiden baltischen Staaten Litauen und Lettland. Das liegt laut Koch daran, dass die Fachgesellschaften, also die Litauische und die Lettische Chemische Gesellschaft, wenig strukturiert seien, keine Teilnehmer mehr zu den Euchems-Mitgliedsversammlungen geschickt und irgendwann auch keine Beiträge mehr gezahlt hätten. Satzungsgemäß mussten die beiden Gesellschaften daraufhin ausgeschlossen werden. Inzwischen habe man den Kontakt verloren, sagt Koch. Der dritte baltische Staat, Estland, hingegen ist nach wie vor Mitglied.Über ihre Mitgliedsgesellschaften vertritt die Euchems etwa 160 000 Chemiker in ganz Europa – das sind 3000 Mitglieder mehr als die American Chemical Society (ACS) hat. Trotzdem sind die Kongresse der Europäer mit bisher jeweils zwei bis drei Tausend Teilnehmern im Vergleich zu den ACS-Kongressen weniger besucht: „Da ist noch Luft nach oben”, sagt Koch.Die promovierte Chemikerin Brigitte Osterath arbeitet als Wissenschaftsjournalistin in Bonn. <a href="https://www.writingscience.de" target="_blank">www.writingscience.de</a><figure><img src="https://media.graphcms.com/LNDYQq2MTWeU8xNPP6s8"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Das neue Logo der European Chemical Society.</figcaption></figure>
<h2>Euchems: das Wichtigste im Überblick</h2>Die Euchems, der europäische Dachverband der Chemiefachgesellschaften, hat über 40 Mitgliedsgesellschaften, von denen die britische Royal Society of Chemistry die Größte ist. 160 000 Chemiker aus 32 Ländern gehören der Euchems an; GDCh-Mitglieder – wie auch Mitglieder anderer dem Dachverband zugehöriger Organisationen – sind automatisch auch Mitglieder der Euchems. Die Euchems organisiert unter anderem Tagungen, darunter alle zwei Jahre den Euchems Chemistry Congress. Zwei Rundschreiben informieren über Chemie in Europa: das Brussels News Updates und der Newsletter Chemistry in Europe.<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.euchems.eu" target="_blank">www.euchems.eu</a></ext-link>
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.euchems.eu/policy-and-communication/policy-positions/research-education-without-borders-brexit-position-paper/" target="_blank">www.euchems.eu/policy-and-communication/policy-positions/research-education-without-borders-brexit-position-paper/</a></ext-link></li><li>
2 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.euchems.eu/policy-and-communication/policy-workshops/glyphosate-harmless-tool-sneaky-poison/" target="_blank">www.euchems.eu/policy-and-communication/policy-workshops/glyphosate-harmless-tool-sneaky-poison/</a></ext-link></li><li>
3 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.youtube.com/watch?v=WnEBdwMQFIo" target="_blank">www.youtube.com/watch?v=WnEBdwMQFIo</a></ext-link></li><li>
4 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://ec.europa.eu/environment/water/water-drink/review_en.html" target="_blank">http://ec.europa.eu/environment/water/water-drink/review_en.html</a></ext-link></li></ul>

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Ende August trafen sich im englischen Liverpool Chemiker aus ganz Europa zum 7. Kongress der Euchems. Dort änderte der Dachverband der europäischen Chemiegesellschaften seinen Namen: Das Silbenkurzwort – Eigenschreibweise EuChemS – soll fortan für European Chemical Society stehen. Dass der zweijä...

Prof.Dr.

Anfang des 20. Jahrhunderts leitete zunächst der Chemiker Salomon Axelrod das chemische Laboratorium im Kabelwerk Oberspree. Sein Hauptforschungsgebiet war Kautschuk. Nach seinem Tod übernahm der Ingenieur Wichard von Moellendorff die Leitung des Labors, und Forschungsschwerpunkt wurden Metalle. Der Name eines seiner Laboranten steht noch heute in Chemiebüchern: Jan Czochralski.
Im Jahr 1889 hatte die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) das damals größte und modernste Kabelwerk Europas (Kabelwerk Oberspree, KWO) im Berliner Ortsteil Oberschöneweide in Betrieb genommen. Seitdem stellten die Arbeiter dort elektrische Kabel her.Für die Kabel legten die Ingenieure nicht nur besonderen Wert auf die Reinheit des verwendeten Kupfers, sondern auch auf die Isolation. Prüfer unterzogen Rohstoffe, Produktionsverfahren und fertiggestellte Fabrikate wie elektrische Kabel und Leitungen genauen Qualitätskontrollen. Sie untersuchten jedes Kabel auf uneingeschränkte Brauchbarkeit.<h2>Chemisches Laboratorium des Kabelwerk Oberspree</h2>Anfang des 20. Jahrhunderts war kein besserer Leiter bekannt als Kupfer; Kautschuk und Guttapercha waren die besten Isolatoren. Die elektrischen Eigenschaften der beiden Materialien sind fast gleich. Reiner Kautschuk eignet sich wegen seiner mechanischen Eigenschaften jedoch nicht für Kabelisolierungen, sondern muss vulkanisiert werden. Diesen Prozess überwachte Fachpersonal im chemischen Laboratorium des KWO.Das chemische Labor befand sich neben dem Gummiwerk, integriert in das Mess- und Prüfungslaboratorium (Abbildung 1). Leiter des chemischen Laboratoriums war der promovierte Chemiker Salomon Axelrod. Ihm war als Assistent der ebenfalls promovierte Friedrich Winternitz zur Seite gestellt. Unterstützt wurden sie von den zwei Laboranten Johannes Schleede und Paul Miosga.1) Dieses Team hatte zwei Hauptaufgaben: Sie mussten eine chemische Anlage und eine Gummi-Regenerier-Anlage überwachen.Die chemische oder Kupfervitriolanlage diente zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Rückgewinnung des teuren Kupfers aus Metallresten und -abfällen sowie Schlacken.2)Anders als beim elektrotechnischen Laboratorium, das seit 1898 der spätere Entdecker der drahtlosen Telegrafie Georg Graf von Arco betrieb, ist der Gründungszeitpunkt für das chemische Laboratorium nicht bekannt. In den historischen Berliner Adressbüchern3) ist Axelrod erst ab dem Jahr 1905 verzeichnet, sodass das chemische Laboratorium wahrscheinlich erst in diesem Jahr startete.<h2>Vom Marckwald-Schüler zum Laborleiter</h2>Salomon Axelrod (auch Akselrod) wurde in Odessa in Russland geboren. Im Jahr 1899 promovierte er in Berlin unter Willy Marckwalds Anleitung über alpha-Methyläpfelsäure an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Die Publikation dazu mit Axelrod war Marckwalds zweiunddreißigste.4)Marckwald prägte Axelrods wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweise. Axelrod entwickelte sich aufgrund seiner Untersuchungen im chemischen Laboratorium der AEG ab 1905 zu einem Pionier der Kautschukforschung: Er maß als erster die Viskosität von Kautschuklösungen (Kasten) und publizierte darüber.Axelrod führte sein Laboratorium zielstrebig und egoistisch. Das geht aus seinen Publikationen hervor: In neun Publikationen ist nur einmal ein Mitautor beteiligt, und zwar Axelrods Doktorvater Marckwald. Warum Axelrods Assistent Winternitz bei keiner Publikation des Chemischen Laboratoriums zwischen 1905 und 1911 als Koautor genannt wurde, ist nicht bekannt.Axelrods Karriere begann also vielversprechend. Jedoch starb er unerwartet im Alter von 36 Jahren. Wie aus der Sterbeurkunde hervorgeht,5,6) fand eine „Fabrik. Pflegerin“, also eine Mitarbeiterin der AEG-Sozialabteilung, seine Leiche am Donnerstag, den 28. Juli 1910, um 18.15 Uhr in seiner Wohnung, die in der Nähe des Kabelwerks lag. Über die Todesursache ist nichts bekannt.Das chemische Laboratorium des Kabelwerks Oberspree war unter Axelrods Leitung zu großem internationalen Ansehen gelangt. Axelrods Tod machte jedoch eine Neuorientierung des chemischen Laboratoriums in Oberschöneweide notwendig – wie die AEG-Leitung erkannt hatte, mussten neue wissenschaftliche Erkenntnisse in die Produktion eingeführt werden, damit das Unternehmen weiterhin Erfolg hatte. Vermutlich leitete vorübergehend Axelrods Assistent Winternitz das Labor.<h2>Salomon Axelrods Kautschukforschung</h2>Kautschuk, ein Isoprenpolymer, ist nur in unpolaren Lösemitteln wie Benzol, Benzingemischen oder Tetrachlorkohlenstoff löslich, wobei eine kolloidale Lösung entsteht. Die Messung der inneren Reibung (entspricht der Viskosität) von Kautschuklösungen gibt Aufschluss über die Größe der gelösten Kolloide. Isopren kann zu Vielfachen der Grundeinheit (C5H8)n mit n = 2, 3, 4 ... polymerisieren. Je höher der Polymerisationsgrad, desto zähflüssiger ist die Lösung. Axelrod verwendete für diese Untersuchungen ein einfaches Viskosimeter (Abbildung).11,12)Axelrod bestimmte die Viskositäten von unterschiedlich konzentrierten Lösungen verschiedener Kautschuksorten in Benzin und Benzol, indem er die Ausflusszeit von 100 cm³ Kautschuklösung durch die des reinen Lösemittels gleichen Volumens dividierte. Je höher Kautschuk- und Harzgehalt, desto höher ist die Viskosität. Axelrod verglich die Ergebnisse und stellte fest, dass die relative Abstufung der Viskositätswerte bei beiden Lösungsmitteln gleich blieb. Dies führte er auf die Harzgehalte der Kautschuksorten zurück.12) Wie er zudem feststellte, besteht ein Zusammenhang zwischen der Viskosität einer Lösung und den mechanischen Eigenschaften sowie der Vulkanisationsfähigkeit der Kautschuksorte.12)Außer den Publikationen in den Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft,13) der Chemiker-Zeitung14) und dem Indian Rubber Journal15) veröffentlichte Axelrod von 1905 bis 1911 sechs weitere Publikationen in der Gummi-Zeitung.11,14–20)Die Qualität dieser Arbeiten vom heutigen Standpunkt aus zu beurteilen, ist nicht einfach. In der Monographie „Kautschuk“ von R. Ditmar12) ist Axelrod zwölf Mal mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten zitiert, eine erstaunlich hohe Zahl. Im Jahresbericht „Der Kautschuk und seine Prüfung“ des Königlichen Materialprüfungsamts zu Groß-Lichterfelde ist Axelrod fünfzehn Mal zitiert.21) Und auch Johannes Fritschi aus dem Arbeitskreis des Nobelpreisträgers Hermann Staudinger zitierte Axelrod in seiner Doktorarbeit.22Axelrodsches Viskosimeter für Kautschuklösungen.11,12)<h2>Eingliederung des chemischen Labors in das Metalllaboratorium</h2>Seit 1906 arbeitete der deutsche Ingenieur und Wirtschaftstheoretiker Wichard von Moellendorff7) im KWO. Er baute ab 1908 ein zentrales Metalllaboratorium mit drei Abteilungen auf: einer chemischen, einer mechanischen und einer metallographischen.2,8) Da ein chemisches und ein mechanisches Laboratorium bereits vorhanden waren, baute er bis zum Jahr 1910 besonders die metallographische Abteilung auf.Axelrod und Moellendorff waren im Unternehmen Konkurrenten. Moellendorf war mit dem Sohn des AEG-Besitzers befreundet und hatte den Auftrag, ein Materialprüfungsamt aufzubauen. Axelrods Labor wäre wahrscheinlich darin integriert worden, möglicherweise unter Moellendorfs Leitung. Diese Eingliederung hätte Axelrod vermutlich nicht folgenlos hingenommen.Axelrods Tod veränderte die Lage zu Gunsten Moellendorffs. Für das chemische Laboratorium, das er nun übernahm, plante er Reinheitsanalysen an Kupfer und Lötzinn sowie die Analyse von Flüssigkeiten wie Ölen, Lacken, Benzin und Kesselspeisewasser, zudem Viskositätsuntersuchungen an Tranformatorenölen.8) Die mechanische Abteilung sollte Stahl, Eisen, Kupfer, Messing und Lagermetalle untersuchen, um zu zeigen, wieviel Zug und Druck sie aushalten und wie beständig sie gegen Biegen und Verdrehen waren.8) Bei Abweichungen von der Norm gab die metallographische Untersuchung Aufschluss über die Ursachen.8) Für alle diese Untersuchungen rüstete Moellendorff das Metalllaboratorium wie ein öffentliches Materialprüfungsamt.2,8) Axelrods Untersuchungen scheinen nach seinem Tod nicht wie zuvor fortgeführt worden zu sein.<h2>Ein Name, der bekannt wurde</h2>Die Laboranten Schleede und Miosga bekamen am 1. August 1907 einen neuen Arbeitskollegen:9) Jan Czochralski. Er war von der chemischen Fabrik Kunheim auf der anderen Spreeseite in das Laboratorium des KWO gewechselt.Schleede, Miosga und Czochralski hatten eine ähnliche Einstellung zu ihrem Beruf: Alle drei ließen sich als Chemiker in den Berliner Adressbüchern eintragen, obwohl keiner von ihnen Chemie studiert hatte. Juristisch war das zulässig, weil „Chemiker“ nur eine Berufsbezeichnung ist3) und kein akademischer Grad wie der „Diplom-Ingenieur, Chemie“, den die TH Charlottenburg verlieh und der geschützt war.Mit der Neuausrichtung der Forschung unter Moellendorffs Leitung änderte sich auch Czochralskis Arbeitsgebiet: Statt wie zuvor bis 1910 Isolatoren wie Gummi und Kautschuk zu untersuchen, beschäftigte er sich ab 1911 im neuen Metalllaboratorium mit kristallographisch-technischen Themen zu Metallen und Legierungen.Czochralski arbeitete drei Jahre, bis August 1914, unter Moellendorffs Anleitung, bis dieser in die Kriegsrohstoffabteilung des Preußischen Kriegsministeriums wechselte. Ab diesem Zeitpunkt forschte Czochralski selbstständig.Im Jahr 1916 tat Czochralski einen Fehlgriff, durch den sein Name bis heute bekannt ist: Er schrieb ein Protokoll an seinem Platz im Metalllaboratorium. Dabei tauchte er versehentlich seine Schreibfeder in einen Tiegel, der neben dem Tintenfass stand und eine Zinnschmelze enthielt. Als Czochralski die Schreibfeder herauszog, bemerkte er an ihrer Spitze einen langen, dünnen Faden, der lange nicht riss. Czochralski untersuchte ihn daraufhin und stellte fest, dass dieser Faden aus festem Zinn bestand: Czochralski hatte soeben den ersten aus der Schmelze gezogenen Zinneinkristall hergestellt.Czochralski fand jedoch bei der AEG nie rechte Anerkennung, kündigte am 30. September 191710) und wechselte als Labor- und Forschungsleiter zur Metallgesellschaft nach Frankfurt. Er wurde ab 1926 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Metallkunde und fand mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten so viel internationale Beachtung, dass ihm Henry Ford die Leitung des Metalllaboratoriums in seinem Detroiter Automobilwerk anbot.9)Das Metalllaboratorium der AEG bestand zwar noch nach 1917 weiter, doch die große schöpferische Zeit war vorbei. Czochralski und Moellendorff arbeiteten nicht mehr im KWO. Czochralski baute bei der Metallgesellschaft in Frankfurt ein Laboratorium auf, das noch größer und moderner war als das im KWO. Indem er neue Werkstoffe entwickelte, wurde er zum angesehensten Metallforscher in Deutschland. Moellendorff leitete ab 1923 in Doppelfunktion das Materialprüfungsamt und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Metallforschung. Im Metalllaboratorium der AEG setzte sich nach 1917 kein adäquater Nachfolger mehr durch.Das KWO existierte in verschiedenen Gesellschaftsformen noch bis in die 1990er Jahre. Einige der Produktions- und Verwaltungsgebäude nutzt die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin als Campus.<figure><img src="https://media.graphcms.com/7e2j3zQKTe6oObEfKkJz"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Lageplan des KWO aus dem Jahr 1904 mit dem Mess- und Prüfungslaboratorium im Hallenblock I (rot beschriftet) sowie der Gummifabrik und dem Gummiwalzwerk. Grün umrandet: Kupfervitriolanlage vor Hallenblock II (blau),4) die in einem Lageplan von 1905 (Ausschnitt links) als chemische Anlage bezeichnet wird (pink).5)</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/kwJNbxSKSrqcIaI9Vf2o"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Blick in das chemische Laboratorium des KWO etwa aus dem Jahr 1907.32) Da das Anfertigen einer solchen Fotografie damals sehr aufwendig war, ist die Anordnung der Personen wahrscheinlich wohlweislich komponiert. Von Axelrod ist zwar kein zweifelsfrei zuzuordnendes Foto bekannt; die Orientierung der Abgebildeten zu dem Mann mit Schnauzbart spricht aber für seine herausgehobene Stellung, sodass dies Salomon Axelrod sein könnte.</figcaption></figure>
<h2>Vitakasten</h2>Leonhard Möckl studierte an der LMU München Chemie, wo er im Jahr 2015 unter Christoph Bräuchle mit Arbeiten über die biophysikalische Relevanz der Glycocalyx und zur bakterieller Adhäsion promoviert wurde. Gegenwärtig ist er Postdoctoral Research Fellow an der Stanford University in der Gruppe von William E. Moerner. Jürgen Evers promovierte im Jahr 1974 bei Armin Weiß an der LMU München. Im Jahr 1982 habilitierte er nach einem Postdoc-Aufenthalt an der ETH Zürich an der LMU in anorganischer Chemie und erhielt 1985 ein Heisenberg-Stipendium. Seit 1994 ist er außerplanmäßiger Professor. Sein Arbeitsgebiet sind Höchstdruck-Untersuchungen an Zintl-Phasen, jetzt die Umwandlung von SiS4-Tetraedern in SiS6-Oktaeder in SiS2 bei 20 GPa in der Diamant-Stempel-Zelle. Christiane Herzog studierte an der TH Leuna-Merseburg Hochpolymeren-Chemie (Diplom im Jahr 1986), danach arbeitete sie mehrere Jahre als Laboringenieurin im Kabelwerk Oberspree und leitete die Qualitätskontrolle nichtmetallischer Werkstoffe. Seit 1998 forscht sie zur Seenrestaurierung in der Arbeitsgruppe Biogeochemie am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin.
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 Dr. M. Luchterhandt, Landesarchiv Berlin, Eichborndamm 115–121, 13403 Berlin, Dokument A Rep. 227–05, Nr.204, Struktur des chemischen und des elektrotechnischen Labors, 1905.</li><li>
2 H. Suchanek, Chemiker-Zeitung 1921, 132, 1065–1067.</li><li>
3 Berliner Adressbücher der Jahre 1799–1943, online verfügbar, Zentral- und Landesbibliothek Berlin.</li><li>
4 Willy Marckwald zum Sechzigsten Geburtstag, gewidmet von Freunden und Schülern, 5. Dezember 1924, Verlag Chemie G.M.B.H., Leipzig, Berlin, S.V,VI,</li><li>
5 Landesarchiv Berlin, Zusendung der Sterbe-Urkunde Akselrod vom 29. Juli 1910 durch Marion Berger am 22.03.2017.</li><li>
6 Landesarchiv Berlin, Standesamtsabfrage, online, Standesamt Oberschöneweide, 1874–1921, P Rep, 619 89.</li><li>
7 J. Evers, L. Möckl, Chemie in unserer Zeit, 2015, 49, 236–247.</li><li>
8 Wissenschaftliche Materialprüfung bei der AEG, AEG-Zeitung 1913, 11, 2–8.</li><li>
9 P. E. Tomaszewski, Powrot, Rzecz o Janie Czochralskiem,, Oficyna Wydawnicza ATUT, Wroclaw, 2012, p.37.</li><li>
10 P. E. Tomaszewski, Jan Czochralski, Oficyna Wydawnicza, Wroclaw, 2013, p.39.</li><li>
11 S. Axelrod, Gummi-Zeitung 1905, 20, 105.3–1056.</li><li>
12 R. Ditmar, Der Kautschuk, eine kolloid-chemische Monographie, Julius-Springer-Verlag, Berlin, 1912, Seite 52–54.</li><li>
13 W. Marckwald, S. Axelrod, Ber. Dtsch. Chem. Ges. 1899, 32,712–16.</li><li>
14 S. Axelrod, Chemiker-Zeitung 1910, 33, 895.</li><li>
15 S. Axelrod, India Rubber J. 1911, 38, 103.</li><li>
16 S. Axelrod, Gummi-Zeitung 1905, 20, 105.</li><li>
17 S. Axelrod, Gummi-Zeitung 1911, 23, 810.</li><li>
18 S. Axelrod, Gummi-Zeitung 1911, 23, 845.</li><li>
19 S. Axelrod, Gummi-Zeitung 1911, 24, 352.</li><li>
20 H. Alexander Bericht über Axelrods Vortrag „Über Kautschuk“, Angew. Chem. 1908, 21, 767–768.</li><li>
21 W. Hinrichsen, K. Memmler, Der Kautschuk und seine Prüfungen, Verlag von S. Hirzel, Leipzig, 1910.</li><li>
22 J. Fritschi, Über die Konstitution des Kautschuks, Dissertation, ETH Zürich, 1923.</li><li>
23 <a href="https://www.ptwk.org.pl/eng/patron.html" target="_blank">www.ptwk.org.pl/eng/patron.html</a></li></ul>

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