Foto: jplenio/pixabay
Die Belastungsgrenzen unserer Erde
Der Weltklimarat IPCC hat sich in seinem sehr umfangreichen Sechsten Sachstandsbericht 2021/2022 mit dem Ausmaß und den Folgen der weiteren globalen Erwärmung bis Ende dieses Jahrhunderts verbunden mit notwendigen Maßnahmen befasst [1]. Aber nicht nur durch die globale Erwärmung, sondern auch in anderen Bereichen unseres Planeten werden durch Tätigkeiten des Menschen ökologische Belastungsgrenzen offenbar, die zunehmend zum bestimmenden Faktor für das Ökosystem der gesamten Erde werden. Dies verdeutlichen zum einen ein umfassender Bericht über Planetare Grenzen und zum anderen der jährliche Erdüberlastungstag.
Planetare Grenzen
Zum ersten Mal hat ein internationales Forscherteam in einer umfassenden Studie neun Planetare Belastungsgrenzen quantifiziert, deren Überschreitung die Stabilität des Erdökosystems und damit das Vorankommen der Menschheit gefährdet [2]. Werden die Belastungsgrenzen überschritten, pendeln sich Prozesse und Kreisläufe in ein neues Gleichgewicht ein, was zu unumkehrbaren Veränderungen und Schäden mit schwerwiegenden Folgen für Mensch und Umwelt führen kann. Durch die Grenzen wird ein sicherer Handlungsspielraum festgelegt. In Teilen wurde die Einhaltung planetarer Grenzen bisher von der internationalen Klimapolitik übernommen.
Abbildung 1 veranschaulicht, in welchen von neun für die Erde wichtigen Bereichen bisher die Planetaren Grenzen aktuell weitgehend ausgeschöpft oder überschritten sind. Ist nur der innere grüne Bereich betroffen, so sind die Planetaren Grenzen noch nicht erreicht, Dies ist bei dem Ozonloch, der Partikelverschmutzung in der Atmosphäre und der Ozeanversauerung der Fall. Aber bei sechs der neun Bereiche sind die planetaren Grenzen überschritten. Die Länge der Säulen verdeutlicht in welchem Ausmaß dies der Fall ist.
Beim Klimawandel liegt die planetare Belastungsgrenze in der Atmosphäre mit CO2 bei einem Wert von 350 ppm und einen Strahlungsantrieb von +1 Watt pro Quadratmeter. Real ist der CO2-Gehalt der Atmosphäre jedoch schon bei 415 ppm und der Energieeintrag ins Erdsystem bei 2,91 Watt pro Quadratmeter - also müssen vorgesehene Maßnahmen zur Reduktion konsequent umgesetzt werden.
Die Funktionsfähigkeit der Biosphäre ist die zweite Säule der Stabilität unseres Planeten. Aber zu viel Biomasse wird entnommen, zu viele Lebensräume werden zerstört, zu viele Flächen werden entwaldet und vieles mehr. Zur Bestimmung des Biodiversitätsverlustes wurde die Aussterberate E/MSY (ausgestorbene Arten – Ende einer evolutionären Stammlinie – je Million Arten im Jahr) genommen. Die akzeptierte globale Grenze ist ein Wert von 10 E/MSY. Tatsächlich liegt die Aussterberate aber aktuell bei 100–1000 E/MSY, was auf ein Massenaussterben hindeutet.
Außerdem haben in der Biosphäre die für die Funktion der Lebenswelt nötigen Mengen zur Funktion von Ökosystemen stark abgenommen. Bei der Landnutzungsänderung wird die waldbedeckte Fläche als Referenz genommen. Hier geht man von einer vorindustriellen globalen Waldfläche von rund 75 % aus. Der Bedeckungsgrad ist bereits auf 62 % gesunken, und der jährliche Verlust an Waldfläche liegt bei >0,13 %.
Beim Süßwasser hat der Mensch die planetare Grenze sowohl durch Eingriffe in Gewässer (Grünes Wasser) als auch durch Störungen der Wasserverfügbarkeit für Pflanzen beispielsweise durch Grundwasserentnahmen (Blaues Wasser) überschritten. Es wird vorausgesagt, dass für die Nahrungsmittelproduktion der Verbrauch von blauem Wasser für Bewässerungen mit schwerwiegenden Folgen der Vegetation bis 2050 um 400–800 km3/Jahr überkritisch steigen wird.
Deutliche Überschreitungen der Belastungsgrenzen gibt es bei den Stoffkreisläufen, wo Phosphor und Stickstoff besonders untersucht wurden, die unter anderem als Dünger bedeutend sind. Den Analysen zufolge werden aktuell rund 22,6 Mio.t Phosphor als Phosphat (PO43–) pro Jahr über die Flüsse in Seen und Ozeane gespült und gehen damit verloren. Die Grenze liegt bei rund 11 Mio.t pro Jahr. Phosphor führt zur Eutrophierung in Flüssen und Seen. In Ozeanen kann durch den Phosphoreintrag eine Sauerstoffverarmung (Ozeanisches anoxisches Ereignis) verbunden mit einem Massenaussterben von Meereslebewesen auftreten. Stickstoff als Nitrat (NO3–) sammelt sich in Gewässern und Böden und kann durch bakterielle Nitrifikation zu Nitrit (NO2–) umgewandelt werden, das für zahlreiche Organismen giftig ist. Lachgas (N2O) trägt zum Beispiel aus intensiv betriebener Landwirtschaft als eines der stärksten klimawirksamen Gase direkt zum Treibhauseffekt bei. Bei der ökologischen Landwirtschaft entsteht rund 40 % weniger Lachgas. Jährlich werden 190 Mio.t Nitrat freigesetzt. Die Grenze der Belastbarkeit für den irdischen Stickstoffkreislauf liegt dagegen nur bei 62 Mio.t pro Jahr.
Überschritten ist die Grenze auch im Bereich des Einbringens neuartiger Stoffe in die Umwelt, also dem Eintrag vom Menschen erzeugter chemischer Verbindungen. Kriterien sind, dass bereits geringere Mengen einen nicht umkehrbaren Störeffekt auf Erdsystemprozesse haben können. Vorschläge für Grenzwerte können nur qualitativ angegeben werden, da es bisher keine Messungen von Chemikalienbelastungen auf globaler Ebene gibt. Beispiele für Substanzen sind Mikroplastik (aus Gebrauchsgegenständen, Zerfall von Plastikmüll), Pestizide (Beispiele Glyphosat, Neonicotinoide) und Atommüll (bisher keine sicheren Endlager, Belastungen aus Atombombentests). Eine Studie zeigt, dass über 99 Prozent von 492 untersuchten Chemikalien eine planetare Belastungsgrenze sprengen.
Erdüberlastungstag
Die zweite Studie, um ökologische Belastungsgrenzen des Planeten zu erfassen, betrifft den Erdüberlastungstag. Er wird jährlich für alle Länder durch die Organisation Global Footprint Network (GFN) erstellt [3]. An diesem Tag übersteigt die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen das Angebot und die Kapazität der Erde zur Reproduktion dieser Ressourcen. Der globale Erdüberlastungstag 2023 fiel auf den 2. August. An diesem Tag hatte die Menschheit alle Ressourcen verbraucht, die ihr eigentlich für das gesamte Jahr zur Verfügung standen. Der Tag verdeutlicht, dass die gesamte Weltbevölkerung 1,7 Erden benötigt, um den durchschnittlichen globalen Bedarf an natürlichen Rohstoffen nachhaltig zu decken.
In die Ermittlung des Erdüberlastungstags vom GFN fließen etwa 15.000 Datenpunkte (Zahlen von den Vereinten Nationen) pro Land und Jahr ein. Eingerechnet werden zum Beispiel der CO2-Ausstoß, das benötigte Ackerland, Waldflächen, Weideland, Fischgründe sowie die bebaute Fläche. Dabei wird jeweils das verbrauchte biologische Material (in Tonnen) dem Ertrag der Fläche (in Tonnen pro Hektar) gegenübergestellt. Der ökologische Fußabdruck eines Landes ergibt sich aus der gesamten Fläche, die benötigt wird, um den Ressourcenverbrauch und die Aufnahme von Emissionen und Abfall zu gewährleisten [4].
Der globale Erdüberlastungstag rückt unter anderem wegen der Zunahme der Weltbevölkerung und steigendem Wohlstand im Kalender immer weiter nach vorn: 1970 29. Dezember, 1993 12. Oktober, 2003 9. September, 2019 29. Juli. Im Jahr 2020 rutschte der Tag vorübergehend mit dem 22. August etwas nach hinten wegen reduzierter menschlicher Aktivitäten durch die Auswirkungen der Corona-Krise. Maßnahmen können also das ökologische Gleichgewicht verbessern. Ein Gleichgewicht von Verbrauch und Regeneration der Ressourcen bestand global aber zuletzt im Jahr 1970.
Abbildung 2 zeigt am Beispiel einiger Länder das Datum des Erdüberlastungstags für 2023. Einen sehr frühen Tag haben die die Industrieländer wie USA und auch einige Länder der EU. Ab dem 4. Mai haben wir in Deutschland unser Jahreskonto an nachhaltig nutzbaren Ressourcen überzogen. Beispiele ärmerer Länder verdeutlichen, dass diese wegen geringerer Ressourcenverschwendung fast im Gleichgewicht stehen. Im Jahr 2024 lag der Erdüberlastungstag für Deutschland noch etwas früher, nämlich am 2. Mai [5].
Bei den Planetaren Grenzen ist vornehmlich die Politik in internationaler Vernetzung gefragt, Belastungsgrenzen festzulegen und umzusetzen. In der EU soll der European Green Deal zentraler Bestandteil der Klimapolitik der Europäischen Union werden, wo auch die Chemie eine wichtige Rolle spielt. Auch im persönlichen Umfeld kann jeder mithelfen, Strukturen für mehr Nachhaltigkeit zu etablieren. Jeder kann den eigenen ökologischen Fußabdruck über die Art zu konsumieren, mobil zu sein oder zu wohnen verkleinern, aber die Wende zur Nachhaltigkeit gelingt nur über die Veränderung der Rahmenbedingungen für alle.
Autor: Prof. Dr. Dieter Wöhrle, Bremen
Literatur
[1] a) www.de-ipcc.de.
b) D. Wöhrle, Chem. Unserer Zeit 2022, 56 , 218
[2] a) K. Richardson, et al., Earth beyond six of nine planetary boundaries, Sci. dv. 2023, Vol. 9 , No. 37, https://doi.org/10.1126/sciadv.adh2458
b) www.pik-potsdam.de › aktuelles › nachrichten
[3] a) www.germanwatch.org/de/15501
b) en.wikipedia.org/wiki/Global_Footprint_Network
c) www.footprintnetwork.org
[4] de.wikipedia.org/wiki/Ökologischer_Fußabdruck.
[5] https://overshoot.footprintnetwork.org/newsroom/country-overshoot-days
Dieser Beitrag wurde zuerst in der Zeitschrift Chemie in unserer Zeit, 01/2024 publiziert. https://doi.org/10.1002/ciuz.202300038
Dieser Artikel erschien zuerst auf faszinationchemie.de.
Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...
Wenn Sie ein registrierter Benutzer sind, zeigen wir in Kürze den vollständigen Artikel.