Titelbild: AI Visual Vault/Adobe Stock (KI generiert)
Cannabinoid-Analytik: „Gummi-Bärchen sind nicht ohne“
Das Angebot an Cannabis-Produkten und die Zahl der Konsumenten haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Volker Auwärter, Laborleiter Forensische Toxikologie am Universitätsklinikum Freiburg und Präsident der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie, über die Analytik von Cannabinoiden, Drug Checking und die speziellen Gefahren von psychoaktiven Süßigkeiten. Das Gespräch führte Dr. Uta Neubauer.
Analytica Pro: Welche Art von Proben untersucht Ihr Labor auf Phytocannabinoide, also auf Wirkstoffe aus der Hanfpflanze?
Volker Auwärter: Der Standard seit Jahrzehnten bei uns ist die Bestimmung von Tetrahydrocannabinol (THC) und den Metaboliten Hydroxy-THC und THC-Carbonsäure in Blutproben, die meist aus Verkehrskontrollen stammen. Wir bekommen außerdem Einsendungen vom Zoll und manchmal auch von Privatpersonen, die wissen möchten, welche Wirkstoffe in ihrem Cannabis-Material enthalten sind. Das ist eine Art Drug Checking. Da geht es um Fragen nach der Qualität und nach Beimengungen wie HHC.
HHC steht für Hexahydrocannabinol. Die Substanz kommt in geringen Mengen in der Hanfpflanze vor, wird aber größtenteils synthetisch hergestellt. In welcher Form ist sie auf dem Markt?
Es gibt Cannabisblüten, aus denen THC extrahiert und dann durch chemische Modifizierung in HHC umgewandelt wurde. Das geschieht – ähnlich wie bei der Herstellung von Margarine aus ungesättigten Fetten – durch katalytische Hydrierung, also durch Addition von Wasserstoff an eine Doppelbindung. Anschließend wird die Substanz wieder auf das Pflanzenmaterial gesprüht, teils sogar mit den entsprechenden Terpenmischungen, damit es nach Cannabis riecht. Der Trick dabei ist, dass THC in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, HHC aber nicht. Das war quasi eine Vorwegnahme der Legalisierung.
Das Angebot an HHC-haltigen Produkten, vor allem in Form von Pens ähnlich den elektronischen Zigaretten, hat in vergangener Zeit aber auch deutlich zugenommen. Daneben gibt es im Internet ein breites Angebot an Gummibärchen, Keksen und anderen essbaren Produkten mit HHC.
Mit welchen Methoden lassen sich Cannabinoide am besten bestimmen?
In erster Linie mit Gaschromatographie (GC) und Massenspektrometrie (MS) oder auch Tandem-Massenspektrometrie. Die Gaschromatographie trennt die extrem lipophilen Substanzen besser auf als die Flüssigchromatographie. Beim THC-Nachweis haben wir HHC in die Methode integriert. Auch das als Pharmawirkstoff zugelassene Cannabidiol (CBD) sowie Cannabinol erfassen wir standardmäßig mit. Da ginge zwar noch mehr, aber uns interessieren primär die Substanzen, die als Betäubungsmittel gelten oder eine entsprechende Wirkung haben.
Müssen Sie bei Proben wie Cannabisblüten, Gummibärchen und Keksen mit Matrixeffekten rechnen?
Bei Pflanzenmaterial oder auch Harzen haben wir eigentlich keine Probleme mit Matrixeffekten, weil der Wirkstoffanteil relativ hoch ist und keine großen Lipidmengen vorhanden sind. Aber Gummibärchen sind nicht ganz ohne. Ebenfalls schwierig wird es, wenn die Matrix extrem fettreich ist. Dann müssen die stark lipophilen Stoffe abgetrennt werden. Da gibt es entsprechende Protokolle aus der Nahrungsmittelanalytik. Außerdem sind für die Quantifizierung der gängigen Phytocannabinoide isotopenmarkierte Standards erhältlich. Für HHC gibt es zwar noch keine, aber wir beziehen wir uns hier auf den THC-Standard, der eine ähnliche Retentionszeit besitzt. Das funktioniert ganz gut.
In Deutschland dürfen Cannabisblüten seit 2017 in bestimmten Fällen medizinisch verwendet werden. Wie lässt sich bei einer Kontrolle feststellen, ob jemand Cannabis aus medizinischen Gründen konsumiert?
Bei Pflanzenmaterial kann man prüfen, ob das Cannabinoid-Profil mit den Spezifikationen übereinstimmt oder nicht. Die Gehalte müssen innerhalb bestimmter Bandbreiten liegen. Es gibt auch Medizinalcannabis, das höhere CBD-Anteile besitzt. Wenn jemand so eine Sorte verschrieben bekommen hat, dann muss sich auch CBD in entsprechenden Mengen in seiner Blutprobe finden.
Handelt es sich bei den Humanproben, die Sie untersuchen, immer um Blut?
Wir messen auch Urinproben. Da schauen wir allerdings dann nur auf die THC-Carbonsäure beziehungsweise deren Glucuronid, die als Metaboliten ausgeschieden werden. Wenn wir diese Substanzen in einer Urinprobe finden, ist klar, dass derjenige, der die Probe abgegeben hat, im Vorfeld THC aufgenommen hat. Das spielt unter anderem in der Abstinenzkontrolle eine Rolle, beispielsweise bei Bewährungsauflagen.
Entdecken Sie in Ihren Analysen auch neue Cannabinoide?
Ja. In der GC-MS-Übersichtsanalyse können wir sowohl die Retentionszeiten als auch die Massenspektren bestimmten Phytocannabinoiden zuordnen. Und wenn nicht identifizierbare Signale erscheinen, schauen wir uns diese Kandidaten genauer an. Mittlerweile traten mehrere 100 verschiedene synthetische Cannabinoide auf. Wir sind immer hinterher, die neuesten Wirkstoffe schnell zu identifizieren, um sie auch in biologischen Proben nachweisen zu können. Mit dem Thema beschäftigt sich bei uns seit 15 Jahren immer mindestens ein Doktorand.
HHC lässt sich relativ einfach aus THC herstellen. Andere Strukturveränderungen sind ebenfalls schnell gemacht. Mit welchen Gesundheitsrisiken sind derartige Modifizierungen verbunden?
Jede Änderung kann ungeahnte Dinge nach sich ziehen, auch toxische Effekte. Beim HHC gibt es darauf bisher keine Hinweise, obwohl die Substanz schon in größerem Umfang konsumiert wird. Noch offen ist, ob der Konsum zu Langzeitschäden führt. Problematisch sind aber die essbaren Produkte wie Gummibärchen. In den USA und Kanada, wo solche Erzeugnisse verkauft werden, kommt es zunehmend zu Vergiftungen bei Kindern. In der Regel klingt die Wirkung zwar innerhalb einiger Stunden wieder ab, aber das Kind durchlebt Zustände, mit denen es überhaupt nichts anfangen kann. Die Erfahrung kann traumatisierend sein. Auch deswegen sollen solche Produkte in Deutschland vorerst verboten bleiben.
Wie stehen Sie zu der Legalisierung von Cannabis?
Ich habe eine klare Meinung, die sicher nicht alle Kollegen im Fach teilen. Die Verbotspolitik ist aus meiner Sicht gescheitert. Sie hat über die Jahrzehnte deutlich mehr Nachteile als Vorteile gebracht. Es ist ja mitnichten so, dass die Kriminalisierung den Konsum und die Folgeschäden eingedämmt hätte – wir haben aktuell die höchsten Konsumentenzahlen seit langer Zeit.
Worüber sprechen Sie auf der Analytica Conference?
In meinem Vortrag geht es vor allem um die Frage, welche Rolle HHC schon im Straßenverkehr spielt. Wir schauen gerade in einem Kollektiv an Proben aus Straßenverkehrskontrollen, ob HHC vorhanden ist. Das ist natürlich keine repräsentative Erhebung, aber wenn wir vermehrt HHC sehen, dürfte in der Bevölkerung wohl ein gewisser Anstieg im Konsum vorliegen.
Hinweis: Der Vortrag fand auf der Analytica Conference am 10. April 2024 um 14.00 Uhr im ICM, Messe München statt.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in analytica pro, dem dem offiziellen Messe-Magazin zur Analytica 2024.
Herausgeber: Gesellschaft Deutscher Chemiiker e.V. in Zusammenarbeit mit der Messe München GmbH (Download auf dieser Seite)
Weiterer Beitrag zum Thema: Was ist eigentlich… Cannabis, THC und CBD?
Titelbild oben: AI Visual Vault/Adobe Stock (KI generiert)
Dieser Artikel erschien zuerst auf faszinationchemie.de.
Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...
Wenn Sie ein registrierter Benutzer sind, zeigen wir in Kürze den vollständigen Artikel.