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Wenn Sie angesichts der drohenden Adventszeit gerade einen Weihnachtsstern erstanden haben, denken Sie jetzt vielleicht ganz naiv, dass nun eine ganz gewöhnliche Topfpflanze Ihr Heim schmückt: Jemand hat einen Samen in den Topf gesetzt, das Gewächs ist gewachsen, und dann kam es in den Blumenladen zum Verkauf. Ja, wenn das so einfach wäre. In Wirklichkeit steckt in diesem unscheinbaren Blumentopf jede Menge Wissenschaft.
Fangen wir mit der Botanik von Euphorbia pulcherrima an. Was von weitem so aussieht wie eine Blüte, die schönen roten Blätter, das hat in Wirklichkeit mit der Fortpflanzung gar nichts zu tun. Diese Hochblätter (Brakteen) erröten nur, um Nichtbotaniker wie Sie und mich zu verwirren. Dennoch dreht sich bei der saisonalen Vorbereitung des Weihnachtssterns einiges um diesen Blickfang. Die Blätter werden nur rot, wenn die Pflanze einige Wochen lang weniger als zwölf Stunden Tageslicht pro Tag empfängt. Die Weihnachtssternproduzenten helfen da nach, indem sie den Pflanzen einige Wochen vor ihrem geplanten Verkaufstermin nachmittags einen Hut überstülpen.
Chemie kommt auch zum Einsatz, und zwar nicht nur als Düngemittel. Eigentlich wollte die Pflanze, die da so schön kompakt auf Ihrer Fensterbank sitzt, nämlich ein großer Busch werden. Bis zu vier Meter hoch wachsen die Gewächse in ihrer Heimat Mexiko, habe ich mir sagen lassen. Apropos Mexiko: Die Azteken kannten diese Art aus der Familie der Wolfsmilchgewächse bereits unter dem Namen Cuetlaxochitl und nutzten sie als Farbstoff und als fiebersenkendes Mittel — also sollte sich vielleicht auch die Pharmaforschung für diesen Zimmerschmuck interessieren.
Zurück zur Chemie. Chemische Wachstumshemmer begrenzen das Sternchen auf Zimmerpflanzenformat. Am meisten benutzt wurde bisher Cycocel 720 mit dem Wirkstoff Chlormequat (2-Chloroethyltrimethylammonium),1 doch dessen Zulassung ist Ende letzten Jahres abgelaufen.2 Vorräte dürfen noch aufgebraucht werden, und andere Chlormequat-Produkte stehen noch für den Getreideanbau zur Verfügung. Deren Zulassung ließe sich vielleicht auf die Weihnachtsstern-Industrie ausweiten.
Kann man denn die Pflanze nicht auch ohne chemische Keule auf Wohnraumgröße limitieren, werden sich jetzt manche grün angehauchten Weihnachtsstern-Fans fragen. Genau dieser Frage ist die Arbeitsgruppe des Agrarwissenschaftlers Heiner Grüneberg von der Berliner Humboldt-Universität nachgegangen. In einem auf drei Jahre angelegten Projekt, das vor kurzem endete, untersuchten Grüneberg und seine Mitarbeiterin Diana Helbig, ob bei der Wachstumshemmung die Physik, oder genauer gesagt: die Mechanik, die Chemie ersetzen könnte.
Sie testeten, ob regelmäßiges Durchschütteln auf einem Rütteltisch während der sechs- bis achtwöchigen Vorbereitungsphase vor dem Verkauf das Wachstum der Zierpflanze ebenso wirkungsvoll zügelt wie das Besprühen mit Chemikalien. Und siehe da, die gerüttelten Weihnachtssterne dachten sich offenbar, dass sie in einem gefährlichen Erdbebengebiet Wurzeln geschlagen haben und besser nicht zu sehr in die Höhe schießen sollten. Sie blieben klein und kompakt — wie gewünscht.
Bei ihren aufrüttelnden Experimenten achteten die Forscher auf ökologische Kriterien. Sie pflanzten die Stecklinge in torfreduziertes Substrat in verrottbaren Töpfen und düngten sie mit Schafwollpellets. Die diesjährigen Weihnachtssterne werden wohl noch von der alten Schule sein, aber vielleicht gibt es ja nächstes Jahr neben zahllosen Farbvarianten auch die Version “geschüttelt statt gespritzt”. Eine weitere Alternative bietet die Behandlung mit gefiltertem Licht.3
Zwei Fragen ließ das Projekt ungeklärt: Erstens, was soll man mit den Pflanzen nach Weihnachten machen? Manche von ihnen protestieren gegen die nicht artgerechte Zimmerhaltung mit dem Abwerfen aller grünen Blätter, und der verbleibende rote Stern ziert dann Komposthaufen oder Biotonne. Andere überleben die saisonale Bewunderungsphase und landen dann in einer abgelegenen Ecke von Balkon oder Garten, wo sie dann der Vernachlässigung zum Opfer fallen.
Und zweitens: Hilft das Rüttelverfahren eigentlich auch bei eingetopften Weihnachtsbäumen? Das wäre bis zur nächsten Weihnachtssaison noch zu erforschen.
Michael Groß, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.michaelgross.co.uk" target="_blank">www.michaelgross.co.uk</a></ext-link>



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3 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://hortsci.ashspublications.org/content/44/3/702.abstract" target="_blank">http://hortsci.ashspublications.org/content/44/3/702.abstract</a></ext-link>
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