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Trendbericht Makromolekulare Chemie 2022

Nachrichten aus der Chemie, Oktober 2022, S. 52-63, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Über Polymere, die Wirkstoffe freisetzen, Zerfallsprozesse und Stabilität von Kunststoffen, biobasierte Lösungsmittel und Atomeffizienz in der Kunststoffproduktion, Monomere aus Zucker und Polymere für die Elektrochemie, für neue Membranen und für elektrochemische Speicher, als Kathodenmaterialien oder Elektrolyte.

Bionano: Viren und Zellen

Biobindung

Im Jahr 2021 prägte die anhaltende Sars-CoV-2-Pandemie Gesellschaft und Forschung. Seit Ausbruch der Pandemie erschienen etliche Arbeiten, die neben einem besseren Verständnis für Wirkweise und Aufbau des Virus Ansätze zur Bekämpfung umfassen.

Ein Team um Haag beispielsweise blockierte den Sars-CoV-2-Erreger durch elektrostatische Wechselwirkung (Abbildung 1).1) Vor allem lineares Polyglycerolsulfat verhindert die natürliche Bindung des Virus zu Heparansulfat an der Zelloberfläche.

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Die natürliche Bindung von Sars-CoV-2 an zelloberflächenexponiertes Heparansulfat, die sich durch synthetische Polyglycerolsulfate blockieren lässt.1)

Ähnlicher Wechselwirkungen bediente sich die Gruppe um Synatschke, Münch und Weil, allerdings mit dem Ziel, die Aufnahme von Virionen zu erhöhen.2) Diese dienen als virale Gentransporter. Hierfür untersuchten sie verschieden geladene Peptide, die wie natürliche Amyloide Nanofibrillen bilden. Neben einem hohen β-Faltblattanteil sind Lysineinheiten entscheidend für die Effektivität.

Generell interessieren sich Wissenschaftler für die Interaktionen an der Grenzfläche zwischen Polymeren und biologischen Systemen. Wie die Gruppen um Werner und Freudenberg zeigen, lassen sich mit Ankerpolymeren auf Basis PEGylierter Styrol-Maleimid-Copolymere Oberflächen selektiv modifizieren, um beispielsweise Bakterienwachstum zu verhindern. Zellen proliferieren weiter.3)

Zudem eignen sich Polymere, um eine unerwünschte Zellaufnahme von Nanostrukturen zu verhindern. Wie Landfesters Gruppe zeigte, ist für diesen „Stealth“-Effekt unter anderem eine hohe Dichte der Polyethylenoxid(PEO)-Ketten wichtig.4)

Eine Alternative zu PEO sind Polyoxazoline, wie Schubert und Press in In-vivo-Experimenten belegen.5) Allerdings beeinflusst bei den genutzten Graft-Copolymeren die Endgruppe signifikant die Aufnahme in Leberzellen und damit den „Stealth“-Effekt. Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass sogar kleine Veränderungen maßgeblich beeinflussen, wie Polymernanostrukturen mit biologischen Systemen interagieren.

Gezielter Wirkstofftransport

Durch Modifikation mit rezeptorspezifischen Liganden sind Zellen, etwa Krebszellen, gezielt adressierbar, und die Aufnahme der Wirkstoffträger lässt sich erhöhen. Wie Schachers Gruppe zeigte, nehmen Krebszellen sowohl in 2D- als auch in 3D-Kulturen glukosemodifizierte wurmartige Mizellen selbst dann auf, wenn die Mizellen zirka 800 nm lang sind.6)

Gerade in der Krebstherapie gelten polymerbasierte Trägersysteme als vielversprechend, um unbehandelbare oder resistente Tumoren zu bekämpfen. Die Gruppe Stauber hat zunächst die Ursache für eine Cisplatin-Resistenz ermittelt.7) Ausgehend davon entwickelten sie Cisplatin-beladene Polymernanopartikel, die den kritischen Transporter der resistenten Zellen umgehen und so die Wirksamkeit wiederherstellen.

Beim Transport von Wirkstoffen mit Polymeren bleibt eine zentrale Frage, wie die Stoffe an spezifischen Wirkorten oder unter bestimmten Bedingungen selektiv freigesetzt werden. Ein Ansatz beruht auf mechanischen Bindungsbrücken, wie Göstl und Hermann berichteten.8) Sie verglichen unterschiedliche Systeme, bei denen Ultraschall, wie er in der Medizin häufiger eingesetzt wird, Bindungsbrüche initiiert und so gebundene Substanzen freisetzt (Abbildung 2).

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Systeme, die Wirkstoffe unter Einwirkung von Ultraschall freisetzen.8)

Neben externen Stimuli eignen sich spezifische Indikatoren in biologischen Umgebungen, um Wirkstoffe freizusetzen. Die erforderliche hohe Selektivität zu gewährleisten ist aber schwierig. Die Gruppe um Weil präsentierte einen Ansatz, der mehrere dynamisch kovalente Bindungen kombiniert. Nur bei Aufnahme in eine Tumorzelle wird die gesamte Bindung gelöst.9)

Bei Diabetes gibt es Bemühungen, mit Stimuli-reaktiven Systemen den Blutzuckerspiegel zu regulieren. Appelhans und sein Team entwickelten hierfür Multikompartimentstrukturen aus Polymersomen in Proteinosomen.10) Das integrierte Enzym Glucose-Oxidase wandelt Glucose in Gluconsäure um, was bei ausreichender Konzentration den pH-Wert soweit senkt, dass die pH-reaktive Membran der Polymersomen durchlässig für eingekapseltes, PEGyliertes Insulin wird.

Nachhaltigkeit

Alternative Rohstoffquellen

Mehr Nachhaltigkeit in der makromolekularen Chemie ist erforderlich, um künftigen Generationen eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen. Dazu sind mehrere Facetten zu betrachten. Ein Aspekt ist der Wandel zu Materialien wie Biopolymeren oder synthetische Polymeren aus nachwachsenden Ressourcen. Derzeit werden nach wie vor 85 Prozent der chemischen Ausgangsstoffe aus Erdöl und Erdgas gewonnen – allerdings scheint eine Wende in der Produktion greifbar, denn der Trend geht zunehmend zu alternativen Rohstoffquellen.

Dies betrifft sowohl Monomere als auch Lösungsmittel. Wie Beispiele der Gruppe um Schlaad zeigen, lässt sich selbst bei anspruchsvollen anionischen Polymerisationen beides aus erneuerbaren Ressourcen gewinnen: Die Gruppe nutzte unter anderem 2-Methyltetrahydrofuran als biobasiertes Lösungsmittel für die Polymerisation des Monoterpens Myrcen.11)

Auch bei ringöffnenden Metathese-Polymerisationen lassen sich biobasierte Monomere und Lösemittel nutzen, was besonders schön die Polymerisation von Levoglucosenonderivaten in Dihydrolevoglucosenon zeigt:12) Beide werden aus Cellulose gewonnen.

Zuckerbasierte Polymere sind eine gern genutzte Grundlage für Materialien. Ein Beispiel aus dem Jahr 2021 dafür, wie vielseitig diese Polymere geworden sind, zeigt sich in den regenerativen, superhydrophoben Papierbeschichtungen von Geissler und Biesalski, die auf Stearinsäure-modifizierter Cellulose basieren.13)

Für einen breiteren Einsatz zuckerbasierter Polymere wie Amylose oder Amylopektin ist ein genaues Verständnis von Struktur-Eigenschaftsbeziehungen erforderlich. Seebergers Gruppe stellte erstmals reine Amylosestrukturen in einem automatisierten Prozess her.14) Damit ist ein wesentlicher Schritt gemacht, um Zusammenhänge zwischen Struktur und Eigenschaften besser zu verstehen.

Nachhaltig ist es zudem, die Lebensdauer von Bauteilen zu maximieren, ohne dabei auf eine hohe Sicherheit und Verlässlichkeit im Einsatz verzichten zu müssen. Hierfür ist es entscheidend, Materialermüdung oder -abbau eindeutig und mit einfachen Mitteln nachzuweisen, bevor das Bauteil versagt. Ein Beispiel hierzu kommt von Binders Gruppe. Sie modifizierte kommerzielle Polyesterimide mit Stilbenderivaten, die mit thermischen Abbauprodukten der Polymere reagieren.15) Dies ändert das Fluoreszenzspektrum der Stilbene und lässt sich leicht an im Einsatz befindlichen Bauteilen nachweisen.

Neben thermischem Abbau ist mechanische Belastung eine Hauptursache für Materialversagen. Mechanochromophore oder -fluorophore Materialien gelten in diesem Zusammenhang als vielversprechend, um Spannungen frühzeitig zu detektieren. Auf Basis reversibler Diels-Alder-Addukte aus Maleimid- und Antracenderivaten integrierte Göstl Sensoren in Polymere, deren Fluoreszenz sich bei einem mechanisch induzierten Bindungsbruch verschiebt.16) Mit konfokaler Fluoreszenzmikroskopie lassen sich die Bindungsbrüche lokalisieren und quantifizieren.

Die Gruppe um Sommer verfolgte einen Ansatz, bei dem Bindungen nicht gebrochen werden, sondern eine Art molekulare mechanochrome Feder in die Polymere integriert wird (Abbildung 3).17) Bei mechanischer Belastung werden hierbei aromatische Bausteine, die ohne Spannung verdreht zueinander stehen, in zunehmende Konjugation gebracht. Dies bewirkt eine kontinuierliche Verschiebung der Absorption und Fluoreszenz. Im Material lässt sich so reversibel eine molekulare Belastung ablesen.

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Molekulare mechanochrome Federn. A) Eine in die Polymerkette eingebaute, zueinander verkippte Donor-Akzeptor(DA)-Einheit wird B) bei mechanischem Zug zunehmend konjugiert. C) Verschiebung der UV-Vis-Absorptionsbande während der Deformation. D) Beispielstruktur auf der Basis von Diphenyldiketopyrrolopyrrol (PhDPP).17)

Mikroplastik

Materialien und erneuerbare Ressourcen optimal zu nutzen ist wichtig, um von den Vorteilen von Kunststoffen zu profitieren. Bereits jetzt belasten aber zunehmende Plastikabfälle unsere Umwelt. Ändert sich nichts, werden sich bis zum Jahr 2050 mehr als zehn Milliarden Tonnen Plastik in der Natur ansammeln. In den meisten Fällen entsteht in Folge von Abbauprozessen Mikroplastik.

Die Gruppen um Strohriegl und Senker haben entscheidende Faktoren beim Zerfall von Polystyrolmakropartikeln in Mikropartikel im Labor nachgestellt. Damit wiesen sie einen zweistufigen Prozess nach: eine Photooxidation der Oberfläche, die anschließend über Mikrorisse zur Abspaltung von wenigen Mikrometer großen Partikeln führt.18) Ähnliches ist für andere Massenkunststoffe zu erwarten, was bedeutet, dass Abfälle über Jahrzehnte Mikroplastikpartikel freisetzen. Aufgrund der großen Oberfläche und des zunehmenden Oxidationsgrads sind negative Auswirkungen auf aufnehmende Organismen sehr wahrscheinlich.

Die Quellen für Mikroplastik in den Ozeanen sind nach wie vor nicht eindeutig. Bisher wurde beispielsweise davon ausgegangen, dass zirka 80 Prozent aus terrestrischen Abfällen über Flüsse ins Meer gelangen. Eine Untersuchung der Zusammensetzung von Mikroplastik durch Scholz-Böttcher und Kollegen zeigt allerdings: Zumindest an den Flussmündungen zur Deutschen Bucht stammen 80 Prozent der Partikel eher von Schiffslackierungen – eine Art Bremsspur, die in der Regel umweltschädliche Additive enthält.19)

Viele Fragen zum Einfluss von Mikroplastik an Land und in Böden sind ebenfalls ungeklärt. Die Gruppe um Lozano wies nach, wie verschiedene Partikel und Materialtypen in der Erde das Pflanzenwachstum und die Bodenqualität beeinflussen.20) Interessanterweise regt Mikroplastik das Wachstum aufgrund der geringeren Dichte des Bodens an – allerdings auf Kosten der langfristigen Bodenqualität, da die mikrobielle Aktivität sinkt.

Inzwischen ist ein Trend zu einer nachhaltigeren Nutzung von Kunststoffen erkennbar, und es werden erste Schritte unternommen, die Zufuhr weiteren Plastikmülls in die Umwelt zu minimieren.

Stabilität

Während die hohe Umweltstabilität einst ein entscheidender Erfolgsfaktor für weitreichende Verbreitung von Kunststoffen war, gilt sie heute als zunehmend problematisch. Gerade die aliphatischen Hauptketten in Massenkunststoffen werden über natürliche Prozesse nur bedingt abgebaut. Es fehlen reaktive Gruppen, die eine Kettenspaltung ermöglichen. Einen Ansatz veröffentlichte im Jahr 2021 die Gruppe um Mecking. In einer angepassten koordinativen Polymerisation mit Kohlenstoffmonoxid baute sie Ketogruppen in Polyethylen (PE) ein, um einen photo-katalytischen oder oxidativen Abbau zu ermöglichen.21) Entscheidend war dabei, diese Gruppen gleichmäßig über die Kette zu verteilen. So bleiben die wichtigsten Materialeigenschaften erhalten, aber es entstehen Fragmente, die natürlich metabolisiert werden.

Im Idealfall landen Kunststoffe in Zukunft gar nicht mehr in der Umwelt, sondern werden vollständig rezykliert. Anfänge in diese Richtung wurden bereits vor Jahrzehnten gemacht, allerdings nur bedingt erfolgreich. Probleme bereiten unter anderem die Trennung von Verbundmaterialien und die Isolierung der reinen Kunststoffe von den Additiven und Füllstoffen. Meist liefert „Recycling“ daher nur Materialien niedrigerer Qualität, was daher oft als Downcycling gilt. Zwar steigert dies die Nutzungsdauer der Kunststoffe, aber eine echte Kreislaufwirtschaft ist damit nicht erreichbar. Die Monomere wiederzugewinnen und zu isolieren – oft chemisches Recycling genannt – könnte eine Lösung sein. Für klassische Polyolefine erfordert dies allerdings Temperaturen von über 500 °C und liefert Ethylen nur in <10 % Ausbeute. Eine Idee dazu hatte wieder Meckings Gruppe: Sie entwickelte einen Polyester und ein Polycarbonat ausgehend von Ölsäure als natürlicher Ressource (Abbildung 4).22) Die C18-Ketten ermöglichen eine Kristallisation analog HDPE, und auch die mechanischen Eigenschaften sind ähnlich. Die Materialien sind nicht nur im Spritzguss verarbeitbar, sondern lassen sich als Schmelzfilament auch 3D-drucken. Die Errungenschaft der Arbeit ist die einfache, aber nahezu vollständige Rückgewinnung (98 % Ausbeute bei Reinheiten >99 %) der Monomere durch Alkoholyse selbst aus Blends oder neben aromatischen Polyestern wie Polyethylenterephthalat. Eine erneute Polymerisation liefert Materialien gleichbleibend hoher Qualität und damit einen echten Schritt zu einem effizienten Kreislauf.

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Recyclebare Polyethylen(PE)-Derivate. A) Synthese der C18-Polyester und Polycarbonate. B–D) Die Polymere haben ähnliche Eigenschaften wie HDPE. E) Nahezu vollständiges Recycling der Polymere durch milde Alkoholyse.22)

Neben Massenkunststoffen gelten vor allem die zunehmend eingesetzten Kompositwerkstoffe als problematisch im Recycling, etwa hochvernetzte Duromere. Vitrimere sind in dem Zusammenhang eine vielversprechende Entwicklung, die auch bei diesen Materialien eine erneute Verarbeitung ermöglichen könnte. Im Jahr 2021 präsentierte die Gruppe Schlögl einen Ansatz, der die übliche thermische Aktivierung der dynamischen Bindungen umgeht.23) Stattdessen initiiert eine Photobase bei Einstrahlung von UV-Licht lokal Austauschreaktionen und erlaubt damit ortsaufgelöste Materialanpassungen.

Atomeffizienz durch Katalyse

Neben Wiederverwertung gehört zur Nachhaltigkeit die atomeffiziente Herstellung, beispielsweise von organischen Verbindungen und Wirkstoffen. Atomeffizienz meint dabei die Umsetzung vom Ausgangsstoff zum Produkt mit möglichst geringem Materialausschuss, üblicherweise verursacht durch Lösungsmittel während der Reaktion und Reinigung oder Schutzgruppen (und deren Entschützung). Katalysatoren reduzieren nicht nur den Energieaufwand von Reaktionen, sie können bei Mehrstufenreaktionen im selben Reaktor dazu beitragen, Lösungsmittel zu sparen. Allerdings sind unterschiedliche Katalysatoren durch ihre Reaktivitäten meist miteinander unverträglich (Wolf-Lamm-Dilemma); eine strikte räumliche Trennung von Katalysatoren ist daher ein Muss. Dieses Dilemma sind mehrere Arbeitsgruppen unterschiedlich angegangen:

Die Gruppe um Gröschel nutzte die sequenzielle tensidfreie Emulsionspolymerisation, um Kern-Schale-Mikropartikel mit einem Säurekatalysator im Kern (Styrolsulfonsäure) und einem Basenkatalysator in der Schale (Dimethylaminopyridin) auszustatten (Abbildung 5A).24) Beide Katalysatoren befanden sich im Abstand weniger Nanometer; die räumliche Trennung wurde durch Vernetzung der Domänen gewährleistet. Die kolloidalen Kaskadenkatalysatoren waren effizient bei säurekatalysierter Deacetalisierung und basenkatalysierter Knoevenagel-Kondensation in Wasser. Zudem ließen sich die Mikropartikelreaktoren durch Filtration rückgewinnen und ohne nennenswerten Aktivitätsverlust erneut einsetzen.

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Kaskadenreaktoren. A) Kern-Schale-Mikropartikel für Säure- oder Basen-Kaskadenkatalyse.24) B) Mikroporöse Säure-Basen-Katalysatoren zur CO2-Cycloaddition von Epoxiden.26) C) Mit Enzymen beladene mesoporöse Silika-Kaseln in Blockcopolymer-Polymersomen.27)

Die Gruppe um Agarwal erreichte für die gleiche Kaskadenreaktion hohe Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten (k1 = 0,94 und k2 = 0,250 mol·L–1·min−1), indem sie photovernetzbare Benzophenonpolymere mit Säure- und Basenkatalysator (Styrolsulfonsäure beziehungsweise 4-Vinylbenzylamin) modifizierte und anschließend getrennt auf Nylonunterlagen als Fasern aufbrachte.25) Das Aufbringen erfolgte entweder durch Elektrospinnen oder 2D-Druck, wobei letztgenannter bereits aktivierter Polymere ohne weitere Entschützung eine deutlich höhere Aktivität (fünf- bis zehnmal schneller) in der Kaskadenreaktion aufwies.

Rat und Antonietti copolymerisierten mit einem Säure-Base-Katalysator lösungsmittelfrei Essigsäureanhydrid mit l-Histidin zu mikroporösen Polymernetzwerken (Abbildung 5B).26) Diese haben je nach Herstellungstemperatur eine Oberfläche von zirka 1000 m2·g–1 und nehmen 10 bis 15 Gewichtsprozent CO2 auf. Die Kaskadenkatalyse sollte lediglich die Aktivität der Säure-Base-Katalysatoren verifizieren, welche hauptsächlich als heterogene Organokatalysatoren zur CO2-Cycloaddition von Epoxiden zu Carbonaten dienen. Die Reaktion mit Epichlorhydrin zum 4-(Chlormethyl)-1,3-dioxolan-2-on beispielsweise erfolgte mit 99 % Umsatz und 99 % Selektivität nach sechs Stunden bei 130 °C und 0,8 MPa. Bemerkenswerterweise benötigt dieser Katalysator keinen Cokatalysator, obwohl zugefügtes Tetrabutylammoniumbromid schneller zu hohem Umsatz führte, vor allem bei reaktionsträgen Epoxiden.

Enzyme

Was die Umsetzungsrate von Substraten betrifft, bleiben Enzyme als Katalysatoren unschlagbar. Daher sind sie als Biokatalysatoren äußerst attraktiv für technische Anwendungen, und es gab Berichte über entsprechende Nanoreaktoren für Mehrstufenreaktionen.

Mit einer Wasser-in-Öl-Miniemulsion stellte Landfester Silikakapseln her und belud diese gleichzeitig mit Glukoseoxidase oder Meerrettichperoxidase (Abbildung 5C).27) Die 300-nm-Kapseln beherbergen jeweils hunderte Enzyme, die durch Mesoporen von außen für Substrate zugänglich sind. Beide Nanoreaktoren wurden schließlich gemeinsam in PEO-b-PB-Polymersomen eingeschlossen, um in einer Beispiel-Kaskadenreaktion mit Glukose und Sauerstoff einen Farbstoff zu einem fluoreszierenden Farbstoff zu oxidieren.

Zusammen mit der Gruppe Wurm schloss Landfester zudem Laktatdehydrogenase, Laktatoxidase und Katalase in mesoporösem Silika ein, um Nicotinamidadenindinucleotid (NAD) ausschließlich mit Sauerstoff und Wasser zur protonierten Form NADH zu regenerieren.28)

Haag nutzte ein Temperatur- und pH- sowie CO2-responsives Blockcopolymer auf N-[2-(dibutylamino)ethyl]-Acrylamidbasis, um Enzyme reversibel in einer Wasser-in-Öl-Emulsion zu verkapseln.29) Die Enzyme Candida-antarctica-Lipase B, Alkoholdehydrogenase und Benzaldehydlyase katalysierten dabei die Hydrolyse von Essigsäurebenzylester zu Benzylalkohol, der zu Benzaldehyd oxidiert und schließlich zu Benzoin kondensiert wurde.

Polymermaterialien für elektrochemische Speicher

Lithiumionenbatterien

Zur Energiewende sollen Erdöl und -gas durch CO2-neutrale Energiequellen ersetzt werden. Solar- und Windenergie sind unerschöpfliche Quellen, jedoch muss die geerntete Energie aufgrund ungenügender Vorhersehbarkeit oder absehbarer Lieferengpässe zwischengespeichert werden.

Die Dringlichkeit im Bereich elektrochemischer Speicher hat einen bis dato nicht gekannten Forschungsboom ausgelöst. In jeder Batterieart, sei es Metall-Ionen-, Feststoff- oder Polymerbatterien, kommen Polymermaterialien zum Einsatz, etwa als Template oder Kohlenstoffvorstufen mit hoher Oberfläche, als Beschichtungen, Separatoren, Binder für Positiv- und Negativelektroden oder Leitsalze.

Lithiumionenbatterien (LIB) zählen zu den erfolgreichsten Varianten; die Komponenten und Produktionsstraßen sind optimiert. Dennoch lässt sich die Energiedichte weiter steigern, etwa durch Strukturieren der Elektroden. Gallei nutzte hochgeordnete kolloidale Kristalle, um poröse Metalloxid-Anoden (Ti/Nb) mit hoher spezifischer Kapazität von 335 mAh·g−1 für die LIB zu realisieren.30) Dafür stellte seine Gruppe zunächst polymere Mikropartikel mit Kern, Zwischenschicht und äußerer Schale her, deren Zwischenschicht mit Metalloxid-Präkursoren angereichert und zu dichtesten Kugelpackungen verschert wurde. Thermisches Behandeln hinterlässt poröse Metalloxide mit inverser Opalstruktur.

Die Umweltverträglichkeit von LIB lässt sich durch ökologische Elektrolytalternativen verbessern. Paillard ersetzte die teils hochtoxischen fluorierten Lithiumsalze durch fluorfreie ternäre Polymerelektrolyte aus Polyethylenoxid (PEO) und einem Gemisch nicht-fluorierter ionischer Flüssigkeiten auf Basis von 4,5-Dicyano-1,2,3-triazolat. Diese plastinieren den Polymerelektrolyten und erhöhen die Lithiumleitfähigkeit verglichen mit Lithiumbis(trifluormethylsulfonyl)imid (LiTFSI).31)

Kathodenmaterialien

Auch für vielversprechende Hochperformanz-Kathodenmaterialien wie nickelreiches Lithium-Nickel-Mangan-Cobalt-Oxid (NMC) wird weiterhin an Polymerbindern und Coatings geforscht, um sie gegen Luftfeuchtigkeit zu stabilisieren (vor allem während der Verarbeitung). Passerini, Iojoiu und Bresser modifizierten Poly(arylethersulfone) mit Lithiumphosphonat und nutzten diese als Ummantelung für NMC-Mikropartikel, um die Entstehung von LiOH und LiCO3 zu unterdrücken.32) Das Polymer/NMC-Komposit ist thermisch stabiler als das reine NMC-Kathodenmaterial und ist zudem besser zyklisierbar, Coulomb-effizienter und hält die Kapazität besser.

Elektrolyte

Verbesserte NMCs sind ebenfalls für die nächste Batteriegeneration interessant. Dazu zählen vor allem Lithium-Metall-Batterien (LMB) mit einer Anode aus reinem Lithium, also mit der höchsten theoretisch möglichen spezifischen Energiedichte von 3860 mAh·g–1. Dies ist deutlich höher als bei modernen Lithiumionenbatterien mit Graphit-Elektroden (372 mAh·g–1). Passende Elektrolyte sind der Schlüssel, um LMB zu etablieren. Um beispielsweise das Wachstum von Lithium-Dendriten und den damit einhergehenden Kurzschluss der Batterie zu verhindern, kommen vor allem polymere und anorganische Festkörperelektrolyte (und deren Hybride) als ionenleitfähige Trennschicht zwischen Anode und Kathode zum Einsatz. Mehr Polymerelektrolyt verbessert zwar die mechanische Stabilität, verschlechtert aber die Ionenleitfähigkeit. Winter zufolge eignet sich hochmolekulares PEO zusammen mit LiTFSI als Polymerelektrolyt für Li||NMC622, wenn ein Abstandshalter zwischen den Elektroden die thermische Verformung des Elektrolyten kompensiert.33) Diese einfache Modifikation des Batteriezellenaufbaus zeigt gute Zyklisierbarkeit, Coulomb-Effizienz und spezifische Kapazität von 150 mAhg–1 bei 60 °C.

Als Alternative zu PEO entwickelte Brunklaus ein fluoriertes Poly(arylenethersulfonimid) mit anionischen Sulfonimid- und C(CF3)2-Gruppen.34) Dieses Polymer ist stabil gegenüber Lithiummetall und hat gute Einzelionen-Leitfähigkeit von 1,8·10–2 S·m–1. In Lithium-Eisenphosphat-Zellen (Li||LiFePO4) führt das zu einer guten Zyklisierbarkeit und einer Coulomb-Effizienz größer 99 % bei 60 °C.

Brunklaus und Theato vereinten die mechanische Stabilität von Polystyrol (PS) und die ionische Leitfähigkeit von PEO in einem Blockcopolymer (BCP): Polystyrol-b-Poly ([4-Vinylbenzylethylenoxid)methylether] (Abbildung 6).35) BCP bilden durch Mikrophasenseparation spontan eine Lamellen-Morphologie mit einer Periodizität von <30 nm. Die PEO-haltige Lamelle erlaubt den Ionentransport durch den BCP-Elektrolyten, wohingegen die PS-Lamelle mit einem G-Modul von etwa 1 GPa eine mechanische Starrheit in der Größenordnung metallischen Lithiums aufweist (3,4 GPa). Diese Filme zeigen eine hohe oxidative Stabilität gegenüber Lithium-Metall-Grenzflächen von zirka 4,75 V und dadurch eine stabile Zyklisierung in Li||NMC622-Zellen.

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Blockcopolymer(BCP)-Festkörperelektrolyte. A) Funktionsprinzip der Li||NMC622 mit BCP als Festkörperelektrolyt. B) Flexible stabile BCP-Membran und C) Kleinwinkel-Röntgenstreuung (SAXS) der Lamellen-Periodizität. D) Rheologie zur Bestimmung der mechanischen Eigenschaften und E) Ladungs-/Entladungsprofile.35)

Theato synthetisierte die BCP mit unterschiedlichen Blocklängen und variierte den Anteil an ionischer Flüssigkeit, um flexible Blockcopolymer-Elektrolyte herzustellen.36) Diese zeigten eine Ionenleitfähigkeit von bis zu 1,5 × 10–3 S·m−1 bei 60 °C und wurden exemplarisch in Li||LiFePO4-Zellen eingesetzt, mit einem Kapazitätsverlust von weniger als zehn Prozent über 50 Zyklen. In Anbetracht der Vielzahl an denkbaren Blöcken und Morphologien bilden diese Arbeiten erst den Anfang einer vielversprechenden Forschungsrichtung.

Andere Komponenten

Mittlerweile steht nicht mehr nur die Leistung der Batterie im Vordergrund, sondern die Nachhaltigkeit der Komponenten, deren Produktion und Wiederverwertung. Qi, Hu und Winter brachten in freistehende Membranen aus nanofibrillierter Cellulose (CNF) in Tauch- und Waschprozessen sequenziell Cu- und Li-Ionen ein (Abbildung 7).37) Durch die Cu-Beladung bilden sich Ionenkanäle zwischen den kristallinen CNF-Domänen. Diese eignen sich dann als Biopolymer-Festkörperelektrolyt mit hoher Ionenleitfähigkeit von 1,5 × 10−1 S·m−1 und hoher Überführungszahl von 0,78 sowie als Binder für die LiFePO4-Kathode mit elektrochemischer Stabilität von 0 bis 4,5 V). In Li||LiFePO4-Zellen blieben nach 200 Zyklen 94 Prozent der ursprünglichen Kapazität von zirka 150 mAh·g–1 erhalten, und die Flexibilität der Biopolymermembran erlaubt sogar, faltbare Festkörperbatterien herzustellen.

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Biopolymer-Festkörperelektrolyte. A) Nanofibrillierte Cellulose aus Pflanzen extrahiert. B) Tausch- und Waschprozess bis zur Li/Cu-beladenen Membran. C) Einfluss der Cu-Ionen auf molekulare Struktur der Nanofasern und Bildung von Transportkanälen. D) Biopolymermembran als Festkörperelektrolyt (links) und LiFePO4-Kathodenmaterial dispergiert mit Nanocellulose-Bindemittel (rechts). E) Spezifische Kapazität einer faltbaren Li||LiFePO4 Batterie-Zelle.37)

Außer CNF zeigen Polysaccharide wie Chitosan, Alginat, Carboxymethylcellulose und Xanthan hohe Ionenleitfähigkeit bei Raumtemperatur und könnten somit den Weg zu skalierbaren und nachhaltigen Polymer-Festkörperelektrolyten ebnen.

Funktionale Polymermaterialien

Membranen

Membranen trennen nicht nur Schichten räumlich und erlauben dennoch Transport dazwischen; mit ihnen lassen sich auch Stoffe und Partikel aus Lösung abtrennen.

Wessling synthetisierte Ultra- und Nanofiltrationsmembranen durch Polyelektrolyt-Komplexbildung in Wasser und anschließende Phasenseparation.38) Dabei unterdrückt zunächst Kaliumbromid die Komplexbildung von Natrium-Polystyrolsulfonat (PSSNa) und Polydiallyldimethylammoniumchlorid (PDADMAC). Die gesättigte Polymerlösung wird in Wasser gegeben, wodurch die KBr-Konzentration sinkt, bis sich die Polyelektrolyt-Komplex-Phase und Wasser auf mikroskopischer Ebene trennen. Der einfache und skalierbare Prozess lässt sich auf viele Polyelektrolyte anwenden und ist eine Alternative, Membranen ohne organische Lösungsmittel herzustellen.

Abetz präsentierte einen vielseitigen Ansatz zur Herstellung hybrider isoporöser BCP-Membrane sowie zur Oberflächenmodifikation der Poren mit Aluminiumoxid und hydrophoben, kationischen oder anionischen Gruppen.39) Die Porendurchmesser lassen sich durch die Schichtdicke des Aluminiumoxids exakt einstellen; sie sind selektiv und permeabel für 3 bis 4 nm große Proteine sowie 1 bis 2 nm große organische Moleküle.

Oberflächen und hierarchische Strukturen

Die Gruppe um Andrieu-Brunsen modifizierte die Oberfläche mesoporöser Materialien durch lokale Aktivierung eines lichtempfindlichen Chain Transfer Agents (CTA) und einer lokal stattfindenden Raft-Polymerisation (Photo-Iniferter).40) Einbringen von Gold-Silber-Nanopartikeln in die mesoporösen Strukturen begrenzt die Polymerisation auf die lokalisierten Oberflächenplasmonen der Nanopartikel und führt somit zu einer zielgenauen Oberflächenmodifizierung.

Um in einer willkürlichen 3D-Form definierte Poren einzufügen, kombinierte Levkin den 3D-Druck über Photopolymerisation mit der Unverträglichkeit zwischen wachsendem Polymernetzwerk und einem nichtmischbaren Lösungsmittel (Porogen).41) Damit lassen sich je nach Mischungsverhältnis komplexe 3D-Objekte drucken und ihre Porosität von 10 nm bis 1000 µm einstellen. Die hierarchischen Strukturen sollten für alle Anwendungen interessant sein, die eine möglichst hohe Oberfläche und schnelle Transportwege benötigen.

Hierarchische Strukturen lassen sich auch durch Selbstassemblierung realisieren, wie Schmalz und Schmidt an kristallisierenden Mizellen zeigten.42) Sie dekorierten elektrogesponnene PS-Fasern mit oberflächenstrukturierten kristallinen Wurmmizellen, die wiederum die molekulare Selbstassemblierung von 1,3,5-Benzoltricarboxamid zu Tannen-artigen Überstrukturen dirigieren.

Schmalz nutzte die kristallisationsgetriebene Selbstassemblierung, um aus einem PS-b-PE-b-PEO-Triblock-Terpolymer 1D-Fasermizellen mit strikt separierter Janus-Korona zu bilden.43) Zusammen mit Gröschel kamen semikristalline Polymere in der verdampfungsinduzierten Bildung von Mikropartikeln mit innerer Nanostruktur zum Einsatz.44) Der Konflikt zwischen planarer Kristallisation und gekrümmter Grenzfläche der Mikropartikel lässt frustrierte Morphologien entstehen, die teilweise Strukturen aus der Biomineralisation ähneln, etwa Muscheln.

Donie, Lemmer und Gomard stellten den Tintenstrahldruck von Polymerblends vor, eine vielseitig und industriell skalierbare Methode, um phasenseparierte Nanostrukturen aus Homopolymeren zu realisieren, die zwischen wenigen Mikrometern bis unter 100 nm groß sind und photonische Eigenschaften haben (Abbildung 8).45) Der Prozess wurde an PS/PMMA demonstriert und lässt sich auf jede Polymerkombination ummünzen.

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Photonische Nanostrukturen durch Phasenseparation von Homopolymeren. A) Druckprinzip der PS/PMMS-Homopolymer-Blends. B) Photonisches Abbild eines Chamäleons (Maßstab 1 cm) mit unterschiedlichen Farben in Abhängigkeit der PS-Domänengrößen (farbige Kästen).45)

Polymeranalytik

Die Gruppe um Buschbaum nutzte Beschichtungsanlagen, um magnetische Filme aus PS-b-PMMA-BCP mit ultrahohem Molekulargewicht von 870 kg·mol–1und Eisen-Platin-Nanopartikeln zu produzieren. Die Trocknung der Filme wurde mit In-situ-GISAXS-Messungen direkt nach der Beschichtung verfolgt. Anders als beim reinen BCP-Film ergeben sich während der Trocknung metastabile Zustände, die in Anwesenheit der FePt-NPs 21,0 s anhalten und damit deutlich länger als im BCP-Film (8,4 s), da die Nanopartikel vermutlich die Reorganisation der BCP-Ketten behindern.46)

Ebenfalls aus der Polymeranalytik berichteten Murano, Müller und Knoll über eine AFM-basierte Methode zur thermischen Bildgebung von BCP-Morphologien mit einer Auflösung kleiner 10 nm.47) Die Methode ermöglicht, gleichzeitig die thermische Leitfähigkeit und den Wärmetransport im Größenbereich einzelner Makromoleküle zu bestimmen. Er könnte somit für den Wärmeabtransport an Grenzflächen relevant sein und um die Selbstassemblierung von BCP-Schichten zu verfolgen.

Eigenschaften programmieren und steuern

Mit Thiomorpholin-basierten Monomeren stellte die Gruppe um Brendel in einer polymerisationsinduzierten Selbstassemblierung (PISA) Polymersome her, die bei Oxidation des Thioethers schlagartig, aber zeitverzögert zerfallen.48) Die Zerfallszeit lässt sich über die Wandstärke der Polymersomen oder durch kontrollierte Voroxidation steuern. Durch Verkapselung von Glucoseoxidase werden die Polymersome reaktiv gegenüber Glucose, was zeigt, dass die Polymersomwand auch durchlässig für größere Moleküle wie Zucker ist.

Die Gruppe um Walther zeigte zeitlich programmierbare Quellung von Mikrogelen,49) die aus einem vernetzten hydrophoben Poly(2,2,2-trifluoroethyl-Methacrylat)-Kern und einer nur leicht vernetzten Polymethacrylsäure-Schale bestehen. Durch Zufügen von 1-Ethyl-3-(3-dimethylaminopropyl)carbodiimid (EDC) bilden benachbarte Carbonsäuregruppen ein hydrophobes Anhydrid, das in wässrigem Medium mit der Zeit wieder zur Carbonsäure hydrolysiert. Somit wird die Quellung der Schale in Abhängigkeit der EDC-Konzentration und des pH-Werts zeitlich programmierbar und lässt sich zur Aufnahme und Abgabe von Stoffen nutzen.

Walther und Boekhoven übertrugen dieses Prinzip auf ein PEO-b-Poly(styrol-alt-maleinsäure)-BCP, das durch die EDC-getriebene Anhydridbildung aus Maleinsäure von bishydrophil zu amphiphil schalten kann. Es liegt somit entweder gelöst vor oder bildet Mizellen. Die temporären Mizellen setzen hydrophobe Substrate im hydrophoben Mizellkern katalytisch um, wobei die Reaktionsgeschwindigkeit für hydrophobe Substrate um das Siebenfache steigt, solange die Mizelle existierte.50)

Boekhoven nutzte die reversible Anhydrid-Bildung durch EDC außerdem, um transiente Coacervate zu generieren (Abbildung 9).51) Hier wurde Asparaginsäure am Kettenende eines Oligopeptids mit einer bis vier Guanidin-Seitengruppen angebracht, wodurch sich die Ladung exakt auf −1, 0, +1 und +2 einstellen ließ. In Verbindung mit EDC entsteht so ein Ladungsträger mit zeitlich programmierbarer Ladungsstärke. In Gegenwart negativ geladener PSSNa bilden sich so Coacervate mit einstellbaren Zerfallszeiten, die je nach Konzentration und Kettenlänge zu transienter Trübung führen, Gelierung oder Bildung von Mizell-Morphologien.

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Zeitlich programmierbare polyionische Komplexe. A) Konzept der zeitlichen Ladungskontrolle für Oligopeptide und B) damit einhergehende zeitliche Coacervat-Bildung mit PSSNa. C) Kryo-TEM-Aufnahmen transienter Mizell-Morphologien aus Oligopeptiden und PEO-b-PSSNa: Wie Polymersomen über Zylindermizellen zu sphärischen Mizellen werden.

Zeitliche Programmierung transienter Strukturen bringt also nicht nur zusätzliche Funktionalitäten, sondern macht diese vorhersagbar und ohne Eingreifen von außen schaltbar. Chemischer Treibstoff ist dabei den biologischen Systemen am nächsten. Jedoch entsteht so auch Abfall, der abtransportiert werden muss, da er ansonsten akkumuliert und Systeme unter Umständen blockiert. Hier setzt der vor kurzem gestartete SFB 1459 „Intelligent Matter“ an. Sein Ziel ist, dissipative Systeme über Photoschalter herzustellen und mit deren nichtlinearem Stimulierungs- oder Relaxationsverhalten synaptische Plastizität in nanophotonischen Netzwerken zu imitieren. Ein Übersichtsartikel zu diesem Thema heißt „The rise of intelligent matter“.52)

Drei Fragen an den Autor: Johannes C. Brendel

Was würden Sie gerne entdecken oder herausfinden?

Besonders interessant finde ich die Entwicklungsstufen hin zu den ersten Formen des Lebens. Ich würde gerne herausfinden, wie sich erste (Makro-)Moleküle zu komplexeren Strukturen organisiert haben und wie wir diese synthetisch nachstellen können.

Welche Methode hat sich in den letzten zwölf Monaten aus Ihrer Sicht am meisten weiterentwickelt?

Nicht nur über die letzten zwölf Monate, sondern schon länger haben sich die Möglichkeiten der Elektronen- als auch Lichtmikroskopie enorm weiterentwickelt, besonders in Hinblick auf Live-Aufnahmen.

Was sind derzeit Ihre Hauptforschungsprojekte?

Der Fokus meiner Forschung liegt aktuell auf der Entwicklung reaktiver Polymerbausteine, die nur unter Energiezufuhr supramolekulare Fasern bilden, aber in diesem Zusammenhang auch lernfähig sein sollen.

Johannes C. Brendel, Jahrgang 1984, leitet seit September 2017 eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe an der Universität Jena. Er forscht an der gezielten Assemblierung supramolekularer Polymerbausteine zu faserartigen Nanostrukturen und der Entwicklung reaktiver Polymere.https://media.graphassets.com/PQosWT3TaSaPlJve9lBP

Drei Fragen an den Autor: André Gröschel

Welche Anregung hat Ihnen das Sichten der Trendbericht-Literatur für Ihre eigene Forschung geliefert?

Geeignete Biomaterialien in Batterien können zu anwendungsrelevanter Leistung führen, wodurch nachhaltigere Batterien grundsätzlich machbar sind.

In welchem Gebiet erwarten Sie in den nächsten zwölf Monaten die größten Entwicklungen und warum?

Ebenfalls auf den Gebieten der biologischen Rohstoffe und elektrochemischen Speicher, da der Drang zur Energie- und Rohstoffwende präsenter ist denn je.

Ihre Forschung in 140 Zeichen?

Blockcopolymere und deren Nanostrukturen in Bulk, Lösung und im Confinement sowie abbaubare Polymere und Polymermaterialien für elektrochemische Speicher.

André Gröschel, Jahrgang 1983, ist seit Februar 2020 Professor am Institut für Physikalische Chemie der Universität Münster. Seine Gruppe beschäftigt sich mit der Synthese und Anwendung funktionaler Polymernanostrukturen.https://media.graphassets.com/szs6sfoUTLKES4KdFT7U

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