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Rauch, der nicht so heißen soll

Nachrichten aus der Chemie, Januar 2023, S. 68-71, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Die Inhaltsstoffe erhitzten Tabaks zu inhalieren soll weniger schädlich sein als die aus verbranntem Tabak. Doch das Werbeversprechen der Hersteller ist größtenteils Augenwischerei.

Kein Feuer, keine Asche“, „kein Zigarettenrauchgeruch“, „Heat, not burn“ – mit Slogans wie diesen vermarktet das Unternehmen Philip Morris seine Tabakerhitzer „Iqos“, die in Deutschland seit 2017 erhältlich sind. Andere Tabakhersteller sind auf den Marketingzug der tabakhaltigen, aber als „rauchfrei“ bezeichneten Zukunft aufgesprungen: British American Tobacco mit dem Tabakerhitzer „Glo“, Japan Tobacco International mit „Ploom X“.

Die Tabakindustrie reitet damit auf der Welle der E-Zigaretten [Nachr. Chem. 2020, 2, 45]. Während diese ein nikotinhaltiges Liquid erhitzen, enthalten die neuen Produkte Tabak – so wie konventionelle Zigaretten. Tabakblätter werden verarbeitet und zu Sticks geformt, die in den akkubetriebenen Erhitzer gesteckt werden. Das Gerät erwärmt die Sticks mit einem Heizblatt auf eine bestimmte Temperatur, bei „Iqos“ sind das laut Philip Morris maximal 350 °C. Eine Zigarette verbrennt hingegen bei 800 bis 1100 °C.

Die Tabaksticks enthalten Wasser und Feuchthaltemittel wie Glycerin und Propylenglykol; diese ziehen beim Verdampfen Nikotin und andere Tabakinhaltsstoffe in ein Aerosol, das der Konsument durch einen Filter einatmet. Der Akku des Geräts beschränkt die Zahl der Züge – abhängig von deren Tiefe − auf 5 bis 14. Danach ist das Nikotin „aufgebraucht“, der Stick wird entsorgt (leider häufig auf der Straße), und der Akku des Geräts wird im Aufbewahrungsbehältnis wieder aufgeladen.

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Bild: Liliia / Adobe Stock

Weniger Nitrosamine

Philip Morris wirbt damit, dass die Konzentration schädlicher Substanzen im Aerosol 90 bis 95 Prozent geringer sei als im Zigarettenrauch. Denn in Tabakerhitzern verbrenne nichts, weshalb weniger verbrennungstypische Giftstoffe entständen.

Tatsächlich enthält das Aerosol weniger Substanzen, die nachweislich an der Entstehung tabakassoziierter Krebserkrankungen beteiligt sind – dies bestätigen Messungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) in Berlin und anderer unabhängiger Forschungsteams.1,2) Karzinogene Aldehyde wie Formaldehyd, Acrolein und Acetaldehyd sind um 80 bis 96 Prozent verringert, flüchtige organische Verbindungen wie Benzol, Styrol und Toluol um bis zu über 99 Prozent. Tabakspezifische Nitrosamine sind um 80 bis 90 Prozent reduziert, polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe sowie Kohlenmonoxid um 90, Quecksilber um 75 Prozent.

„Wenn man bedenkt, wie viele krebserzeugende und giftige Substanzen im Tabakrauch sind, ist es kein Kunststück, ein Aerosol mit weniger Schadstoffen zu produzieren“, kommentiert Katrin Schaller, Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Sie betont, dass das Aerosol aus Tabakerhitzern dennoch viele Schadstoffe enthalte, die eingeatmet werden. „Und Nikotin macht abhängig. Man bleibt also nach wie vor in den Fängen der Tabakindustrie.“ Die Sticks sind so zusammengesetzt, dass der Nikotingehalt des Aerosols dem von Zigarettenrauch gleicht.

Mehr Glycidol

Was die Tabakindustrie unter den Tisch fallen lässt: Die 90- bis 95-prozentige Schadstoffreduktion bezieht sich ausschließlich auf Substanzen, die auf der Liste der gesundheitsschädlichen und potenziell gesundheitsschädlichen Bestandteile (HPHCs) der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) stehen. Gleichzeitig enthält das Tabakerhitzeraerosol mindestens 56 andere Substanzen, die nicht auf dieser Liste stehen, höher konzentriert als in Zigaretten.2,3) Dazu zählen die Feuchthaltemittel Propylenglykol und Glycerin sowie deren Zersetzungsprodukte Glycidol, Acetol und 2-Propen-1-ol. Die Menge an krebserzeugendem Glycidol beispielsweise ist über dreimal so hoch wie im Zigarettenrauch.

Vor allem α,β-ungesättigte Carbonylverbindungen, 1,2-Dicarbonyle, Furane und Epoxide sind im Tabakaerosol erhöht, schreiben Forschende der University of California, San Francisco, in Tobacco Control; bei vielen dieser Substanzen gebe es bisher kaum Daten zur Toxizität.3)

Gesundheitsgefahr unbekannt

Was bedeutet nun die Angabe „Das Tabakaerosol enthält bis zu 95 Prozent weniger zigarettentypische Schadstoffe“ für die Menschen, die die Produkte konsumieren? Zunächst mal nichts, meint Elke Pieper, Chemikerin in der Abteilung für Chemikalien- und Produktsicherheit am BfR. „Dieser Wert wurde an einer Rauchmaschine ermittelt, die dafür da ist, Zigaretten unterschiedlicher Marken miteinander zu vergleichen. Der Wert sagt nichts über die Gesundheitsgefahr der Produkte.“

Sicherlich lässt der logische Menschenverstand vermuten, dass ein Produkt ein niedrigeres Gesundheitsrisiko birgt, wenn sein Schadstoffgehalt um 95 Prozent verringert ist. Gerade aber wenn das Ausgangsprodukt so viele Schadstoffe enthält wie Zigarettenrauch, können 5 Prozent noch viel sein − und gerade bei krebserzeugenden Stoffen sind oft geringe Mengen schon sehr gefährlich. „Die Konzentration-Wirkungsbeziehung verläuft nicht linear, vor allem nicht bei so komplexen Giftmischungen wie Zigarettenrauch“, sagt Ed Stephens von der School of Earth and Environmental Sciences an der Universität St. Andrews in Großbritannien.

Stephens modelliert mit Werkzeugen der Geochemie, wie sich Umweltgifte auf den Körper auswirken. Er weiß: Nur das Aerosol zu analysieren, ist generell kein guter Weg, um das Gesundheitsrisiko einzuschätzen:4) „Es ist ein langer Weg vom Aerosol bis zur medizinischen Diagnose.“ Beim Rauchen habe man gesehen, dass es Jahrzehnte braucht, um die gesundheitlichen Folgen zu kennen, gerade wenn Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebs im Spiel sind. Aber Langzeitstudien gibt es für die neuen Produkte noch nicht.

Was die Biomarker sagen

Eine Möglichkeit, abzuschätzen, wie der Körper auf die neuen Produkte reagiert, sind Biomarkerstudien. Dabei erfassen die Forschenden bei Konsumenten Werte, die beispielsweise auf oxidativen Stress im Körper und durch Tabak verursachte Entzündungen hindeuten. Diese bringen sie in Zusammenhang mit dem Risiko für Lungenkrebs und Herz-Kreislauferkrankungen. Anhand dieser Werte vergleichen Forschende das Gesundheitsrisiko von Nichtrauchern mit dem von Rauchern.

Den von Tabakherstellern durchgeführten Studien zufolge bewegten sich einige Biomarkerwerte mit dem Umstieg auf Tabakerhitzer in eine „positive Richtung“. Die Endpunkte nach mehreren Monaten ähnelten bei einigen Biomarkern sogar den Werten von Personen, die gar keinen Tabak konsumierten, schreibt das Unternehmen British American Tobacco.5–7)

Ed Stephens sagt, umfangreiche Biomarkerstudien seien teuer; nur die Tabakindustrie könne oder wolle sich solche Studien leisten. Die unabhängigen Labore, die im Auftrag der Tabakindustrie Analysen durchführen, seien exzellent und die Daten, die die Tabakindustrie in der heutigen Zeit veröffentlicht, daher höchstwahrscheinlich stichhaltig – allerdings unterlägen sie natürlich einem selektiven Bias: „Die Tabakkonzerne veröffentlichen vermutlich vorrangig die Daten, die ihnen am besten in den Kram passen.“

Das bestätigt Tabakpräventionsforscherin Sophie Braznell. Sie untersucht im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der britischen Universität Bath, wie sich Tabakerhitzer auf die öffentliche Gesundheit auswirken. „Die Autoren der Biomarkerstudie von British American Tobacco erfassten insgesamt 37 Biomarker in ihren Probanden plus weitere Daten“, sagt sie. „In ihren Publikationen berichten sie aber nur über die Ergebnisse eines kleinen Teils dieser Messungen.“ Selbst der Augmentationsindex habe es nicht in die Veröffentlichung geschafft, ein Wert, der dazu dient, das kardiovaskuläre Risiko einzuschätzen. Ihn zu beobachten, sei laut Studienprotokoll aber eines der drei Hauptziele gewesen.8)

Rauch oder kein Rauch?

Das Wort „Rauch“ hat Philip Morris aus seinem Vokabular gestrichen. Der Konzern verkündet auf seiner Webseite, komplett „rauchfrei“ werden zu wollen – sprich, in Zukunft nur noch auf „risikoreduzierte“ Produkte wie Tabakerhitzer zu setzen.

Im September 2021 gewann Philip Morris einen Gerichtsprozess gegen die Bundesrepublik Deutschland und darf seitdem offiziell mit „rauchlosen“ Tabakerzeugnissen werben, genauso wie British American Tobacco. Begründung: Nach Ansicht des Richters findet in den Geräten kein Verbrennungsprozess im Sinn der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und Rates statt.9)

„Aus chemischer Sicht ist Verbrennung ein Prozess, der irgendwo anfängt und irgendwo aufhört“, sagt Elke Pieper vom BfR. „Wir sind noch immer der Meinung, dass in diesen Geräten eine unvollständige Verbrennung stattfindet; man kann schließlich in den Emissionen typische Pyrolyseprodukte nachweisen wie Formaldehyd und Acetaldehyd, die aus Kohlenhydraten entstehen.“ Andere Stoffe, zum Beispiel Kohlenmonoxid, könnten sowohl durch Pyrolyse als auch durch unvollständige Oxidation entstehen, und wenn das Erhitzen nicht unter Sauerstoffausschluss stattfindet, könnten auch Pyrolyseprodukte wie Acetaldehyd oxidieren. „Bisher hat kein unabhängiges Labor die Reaktion in Tabakerhitzern genau charakterisiert“, sagt Pieper. „Der bestehende Rechtsrahmen ist nicht geeignet, erhitzte Tabakerzeugnisse auf der Grundlage des Abgrenzungskriteriums ‚Verbrennungsprozess‘ eindeutig als rauchfrei zu klassifizieren.“

Schaden minimieren, Gewinne maximieren

„Die Tabakkonzerne wollen mit ihren Tabakerhitzern ihr schlechtes Image aufpolieren“, sagt Katrin Schaller. „Sie stellen sich als sozial verantwortungsvolle Konzerne dar, obwohl das Gros ihrer Produkte jährlich Millionen Menschen tötet.“ Schadensminimierung ist das Schlagwort, das die Tabakindustrie zugunsten ihrer Tabakerhitzer ins Feld führt. „Die Industrie versucht, die Politik für das Prinzip der Schadensminimierung zu gewinnen, um eine strenge Regulierung von Tabakerhitzern zu verhindern.“

Die Hersteller verkaufen Tabaksticks zum Preis von Premiumzigaretten. In Deutschland wurden die Produkte nach ihrer Einführung aber wie Pfeifentabak mit 13,13 Prozent Tabaksteuer besteuert statt wie Zigaretten mit 19,84 Prozent. Da der Steueranteil am Produkt geringer war, erhöhte sich die Gewinnspanne für die Hersteller. Erst das Tabaksteuermodernisierungsgesetz vom August 2021 passte die Steuer für erhitzten Tabak an.

Philip Morris spricht von einer „Erfolgsgeschichte“. Im Jahr 2021 verkaufte der Konzern weltweit 100 Milliarden Tabaksticks weltweit und erzielte 29,1 Prozent seiner Nettoeinnahmen mit „rauchfreien“ Alternativen – gegenüber 23,8 Prozent im Jahr zuvor. 21,7 Millionen Erwachsene nutzen die Produkte, 15,3 Millionen davon würden keine Zigaretten mehr rauchen.10)

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Werbung für Tabakerhitzer an einer Litfaßsäule. Foto: Brigitte Osterath

Kompletter Umstieg selten

Trotz aller Kritik: Eine Kettenraucherin, die komplett von Zigaretten auf den Tabakerhitzer umsteigt, könnte vermutlich – nach heutigem Kenntnisstand – ihr Gesundheitsrisiko reduzieren. Würden alle Raucher scharenweise umsteigen und kämen vor allem keine neuen Konsumenten dazu, könnte die öffentliche Gesundheit vielleicht sogar von den neuen Produkten profitieren. Aber das ist reine Theorie. Denn im Gegensatz zu den Zahlen, die Philip Morris präsentiert, zeigen Studien in vielen Ländern: In Europa gibt es dreimal so viele Dual User wie Komplettumsteiger, in Japan rauchen 63,2 Prozent aller Tabakerhitzerkonsumenten auch Zigaretten.11,12)

Das liegt möglicherweise daran, dass das Aerosol aus Tabakerhitzern weniger Partikel enthält, an die sich Nikotin anheften kann, um darüber in die Lunge zu gelangen. Das funktioniert aufgrund der Teerpartikel im Zigarettenrauch schlicht besser. „Der Nikotinkick für den Konsumenten ist bei Tabakerhitzern geringer“, sagt Elke Pieper. Viele Raucher:innen nutzten derzeit Tabakerhitzer als Schlupfloch, um Rauchverbote in Innenräumen zu umgehen, fügt sie hinzu. In Zukunft werden wir also vermehrt Schilder sehen, auf denen neben der Zigarette und der E-Zigarette auch der Tabakerhitzer durchgestrichen ist.

Und auch wenn Philip Morris betont, die neuen Produkte seien lediglich für erwachsene Raucher gedacht, die auf eine weniger gesundheitsschädliche Alternative umsteigen wollen: Laut Schaller gibt es bedenklich viele Neueinsteiger. Einer Studie aus Italien zufolge − einem der ersten Länder, in denen „Iqos“ eingeführt wurde − haben 45 Prozent aller „Iqos“-Konsumenten zuvor nie geraucht.13) Bei einer Umfrage unter 16- bis 19-Jährigen in Kanada, den USA und England äußerten knapp ein Viertel der Nie-Raucher Interesse, das Produkt auszuprobieren.14) Die schick designten Geräte, in etlichen Farben erhältlich und als „weniger gesundheitsschädlich“ beworben, ziehen offensichtlich auch junge Nichtrauchende an – verheerend für die öffentliche Gesundheit, lukrativ für die Tabakindustrie.

Die promovierte Chemikerin Brigitte Osterath arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin bei Bonn. www.writingscience.de

AUF EINEN BLICK

Verglichen mit Zigaretten enthält das Aerosol aus Tabakerhitzern bis zu 95 Prozent weniger Substanzen aus der Liste gesundheitsschädlicher und potenziell gesundheitsschädlicher Stoffe der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA).

Dafür enthält das Tabakerhitzeraerosol mindestens 56 andere Substanzen, die nicht auf dieser Liste stehen, höher konzentriert als in Zigarettenrauch.

Das Produkt wirkt auch auf Nichtraucher ansprechend.

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