Industrie + Technik

Wenn Menschen sensorische Eigenschaften bewerten, kann das nicht objektiv sein. Nun unterstützt ein Echtzeitsensor die Analyse flüchtiger organischer Verbindungen, etwa von Kirscharomen.<p>Geruchsempfinden ist ein komplexer und vor allem ein subjektiver Prozess: Erfahrungen, Assoziationen, Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, individuelle Unterschiede im Geruchssinn sowie psychologische und emotionale Zustände beeinflussen, wie wir Gerüche wahrnehmen. Dadurch unterscheidet sich die Wahrnehmung von Mensch zu Mensch. Zudem kann derselbe Mensch je nach Tageszustand – man denke nur an die Schnupfensaison – unterschiedliche Ergebnisse liefern.</p><p>Foto: domnitsky / Adobe Stock</p><h2 type="main">Geschult, aber nicht perfekt</h2><p>Ein menschliches Sensorikpanel ist eine speziell geschulte Gruppe von Menschen (Panelschulungen nach DIN EN ISO 8586). Sie sind geschult darin, die sensorischen Eigenschaften von Produkten, Lebensmitteln, Getränken oder anderen Substanzen zu bewerten. Diese Panels sollen die sensorische Qualität und Akzeptanz von Produkten beurteilen, etwa in der Lebensmittel-, Getränke- und Kosmetikindustrie, in der pharmazeutischen und der Verpackungsindustrie.</p><p>Obwohl die Schulungen dazu beitragen, die Wahrnehmung der einzelnen Panel-Teilnehmer:innen zu standardisieren und zu vereinheitlichen, bleibt der subjektive Faktor unvermeidbar. Zudem sind sensorische Bewertungen in der Regel halbquantitativ oder lediglich qualitativ. Das bedeutet: Zwar sind Aussagen über die An- und Abwesenheit von Gerüchen möglich, aber nicht zu deren Konzentration.</p><h2 type="main">Objektive Massenspektrometrie</h2><p>Um den Nachteilen der Panels entgegenzuwirken, ergänzen Unternehmen diese zunehmend mit instrumentellen Analysemethoden, die objektive Geruchsergebnisse liefern sollen.</p><p>In der instrumentellen Analytik wird in der Regel die zu analysierende vorbereitete Probe über Gaschromatographie (GC) in einen gasförmigen Zustand gebracht und anschließend in einem Massenspektrometer (MS) erfasst. Probenvorbereitung und Analyse benötigen abhängig von Gerät und Programm zirka 10 bis 30 Minuten. Darüber hinaus sind die Geräte teuer zu erwerben und zu betreiben. Ergebnisse in Echtzeit, ähnlich wie bei einem menschlichen Sensorikpanel, sind bei instrumenteller Analyse mit den gängigen Verfahren nicht möglich.</p><p>Die Lösung: Ein hochsensibler und leicht handhabbarer Echtzeitsensor, der datengetrieben die Analyse flüchtiger organischer Verbindungen unterstützt.</p><h2 type="main">Fließband-Massenspektrometrie</h2><p>Basierend auf einer neuartigen Ionisierungstechnik hat das Unternehmen Plasmion einen Echtzeitsensor zur Geruchsanalyse entwickelt. Die weiche Ionisierung durch chemische Reaktion beim Transfer (soft ionization by chemical reaction in transfer, Sicrit) öffnet neue Anwendungsgebiete für die Massenspektrometrie. Die Technik setzt an der Schnittstelle zwischen Probennahme und der Messung im Massenspektrometer an.</p><p>Herkömmliche GC/MS- und LC/MS-Verfahren kombinieren die chromatographische Trennung der Analyten, die Ionisierung und das massenspektrometrische Erfassen. Die Sicrit-Technik dagegen entkoppelt die Detektion vom Separationsverfahren und ermöglicht so, die Probe flexibel zum Massenspektrometer zu führen. Ionisiert wird dabei direkt im Durchfluss, in der Verlängerung des Atmosphärendruck-Einlasssystems von LC-Massenspektrometern. Mit anderen Worten, die gasförmige Probe wird während ihres Wegs zum Detektor ionisiert. So ist etwa das Massenspektrum von Diazinon nach weicher Ionisierung weniger fragmentiert als nach Elektronenionisation (EI).</p><p>Die Sicrit-Ionenquelle ermöglicht ein MS-basiertes Echtzeitscreening mit wenig bis keiner Probenvorbereitung. Das neueste Produkt des Unternehmens ist das Havoc-Sensorsystem: Massenspektrometrie mit der eigenen Ionenquelle und einer auf eine industrielle Umgebung zugeschnittenen Benutzeroberfläche. Die Echtzeitsensoren erfordern keine labortechnischen Vorkenntnisse zum Bedienen und Daten auswerten. Die Messdaten verarbeitet das System im Hintergrund, und das Analysenergebnis erhalten Anwender visualisiert.</p><h2 type="main">Der Geruch von Kirscharoma</h2><p>Ein menschliches Sensorikpanel und das Havoc-Sensorsystem haben vier kommerziell erhältliche Kirscharomen bewertet: Amarena, Sauerkirsche, Süßkirsche und Wildkirsche.</p><p>Die Analyse des sensorischen Panels wurde mit zwei Proben (Wiederholungen) jedes Aromas in flüssiger Lösung durchgeführt. Allen Proben wurde ein zufällig ausgewählter dreistelliger numerischer Code zugewiesen. Die elf Panelisten sollten an den Proben riechen und sie auf einem DIN-A3-Blatt entsprechend ihrer wahrgenommenen Ähnlichkeit positionieren. Dabei sollten ähnliche Proben nahe beieinander und unähnliche Proben weit auseinander platziert werden. Die Probanden wussten, dass sie vier unterschiedliche Kirscharomen erhielten. Die Positionen der Proben auf dem Papier wurden als X- und Y-Koordinaten aufgezeichnet und die Daten einer Hauptkomponentenanalyse unterzogen (principal component analysis, PCA). Diese verringert die Variablenzahl in einem Datensatz und stellt Beziehungen zwischen den Daten her. So lassen sich das Clustering, also das Ordnen der Datenpunkte zu Gruppen, und die Unterscheidung der Kirscharomen bewerten.</p><p>Zudem hat das Havoc-Sensorsystem die Proben analysiert (<link href="#nadc20234138414-fig-0001">Abbildung oben). Der Scores-Plot der Ergebnisse zeigt die Clusterung der Aromen, während der Loadings-Plot die Signale anzeigt, die für die Clusterung und Kategorisierung verantwortlich waren. In diesem Fall entsprechen die Messsignale den molekularen Massen der Aromastoffe.</p><figure xml:id="nadc20234138414-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/pGJiaGlRquxpjsF2OkvZ"><figcaption><label>Abb.1: </label>Scores- und Ladungsplot nach Hauptkomponentenanalyse (principal component analysis, PCA) der Geschmacksstoffe Amarena <a href="#1-AM">#1-AM</a>, Sauerkirsche <a href="#1-MO">#1-MO</a>, Süßkirsche <a href="#1-SW">#1-SW</a> und Wildkirsche <a href="#1-WI">#1-WI</a> ermittelt mit Havoc-MS-Analyse. Der Scores-Plot zeigt die Clusterung der Aromen, der Loadings-Plot die Signale, die für die Clusterung verantwortlich sind, hier die molekularen Massen der Aromastoffe.</figcaption></figure></figure><p>Wie die PCA-Clusterung des Sensorikpanels zeigt, haben die Panellisten zwei der vier Kirscharomen eindeutig unterschieden. Die Aromen Süßkirsche und Wildkirsche trennte das Sensorikpanel deutlich, während die Aromen Amarena und Morello sich in ihren jeweiligen Clustern überschneiden.</p><p>Die Havoc-Analyse lieferte ähnliche Ergebnisse. Auch hier liegen Süßkirsche und Wildkirsche weit auseinander, Amarena und Sauerkirsche eng beieinander. Die Massenspektrometrie als Datenquelle liefert eine Begründung für die ähnliche Beurteilung: Beide Aromamischungen enthalten die gleichen chemischen Inhaltsstoffe.</p><h2 type="main">Maschine vor Mensch</h2><p>Um die Trennfähigkeiten der beiden Analysenarten zu vergleichen, wurden die Varianzen der PCAs bewertet, und zwar ausgedrückt als prozentuale Werte auf den Achsenbeschriftungen der Scores Plots (Abbildung oben). Eine höhere Varianz bedeutet eine bessere Trennung. Die Gesamtvarianz (PC1 + PC2) des menschlichen sensorischen Panels beträgt 58,2 Prozent; dagegen liegt der entsprechende Wert für das Havoc-Sensorsystem bei 97,4 Prozent. Dies deutet darauf hin, dass die mit dem Havoc-Sensorsystem erzielten Ergebnisse im Hinblick auf die Trennfähigkeit zuverlässiger sind als die mit dem menschlichen Sensorikpanel.</p><p>Das Havoc Sensorsystem kann also die Ergebnisse eines menschlichen Sensorikpanels datengetrieben, objektiv und in Echtzeit unterstützen und möglicherweise die Genauigkeit und den Aussagegehalt des menschlichen Sensorikpanels sogar übertreffen.</p><h2 type="main">Die Autorin und der Autor</h2><p>Die Autoren sind Alina Jessl und Klaus Wutz. Jessl ist Marketing- und Projektmanagerin bei Plasmion in Augburg. Der promovierte Chemiker Klaus Wutz ist Projektmanager bei Plasmion. Nach einer postgradualen Ausbildung in Life Science Management suchte Klaus zunächst für Robert Bosch nach Biosensoren für Point-of-Care-Diagnostik und Lebensmittelkontrolle.</p>

Analytik

Gerüche sind subjektiv ‐ oder nicht?

Wenn Menschen sensorische Eigenschaften bewerten, kann das nicht objektiv sein. Nun unterstützt ein Echtzeitsensor die Analyse flüchtiger organischer Verbindungen, etwa von Kirscharomen.Geruchsempfinden ist ein komplexer und vor allem ein subjektiver Prozess: Erfahrungen, Assoziationen, Alter, Ge...

Es sind zwei Systeme auf dem Markt, die Ausgangsstoffe mit Nahinfrarotspektroskopie prüfen. Damit spart ein Apothekenlabor nasschemische Analysen. Auch Anwendungen in der Industrie oder bei deren Dienstleistern sind denkbar.<p>Grundsätzlich hat die Spektroskopie im nahen Infrarot (NIR) für den pharmazeutischen Bereich den Vorteil, dass sie als Prüfmethode im Europäischen Arzneibuch beschrieben ist (Kapitel 2.2.40). Eine bessere formale Absicherung gibt es nicht.</p><p>Für die Pharmazeutisch-Technische Assistenz (PTA) im Apothekenlabor hat die NIR-Spektroskopie zwei Vorteile: Die Ausgangsstoffprüfung funktioniert ohne Nasschemie. Und das stattdessen verwendete NIR-Gerät gibt ein Label mit Datum zum Aufkleben aus.</p><h2 type="main">Validieren ist wichtig</h2><p>Zu untersuchende Feststoffe füllt die PTA in ein Probenglas und stellt dieses auf das Spektrometer (<link href="#nadc20234134841-fig-0001">Abbildung). Herzstück des NIR-Spektrometers ist ein Scanning-Grating, ein Rastergitter auf einem schwingenden Spiegel. Dieser spaltet das reflektierte Licht und leitet es zu einem einzigen Detektor. Als Messmethode dient diffuse Reflexion: Die NIR-Strahlung dringt in die Oberfläche der Probe ein und wird diffus reflektiert. Ein Teil des reflektierten Lichts fällt zurück ins Gerät und wird zum Detektor geleitet.</p><figure xml:id="nadc20234134841-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/DB4RDwnMTx62kNtWndMo"><figcaption><label>Abb.1: </label>Zu untersuchende Feststoffe sind in ein Probenglas auf dem NIR-Spektrometer zu füllen. Fotos: Hiperscan</figcaption></figure></figure><p>Halbfeste oder flüssige Proben werden mit einem Transflexionseinsatz vermessen. Dieser stellt eine kontinuierliche Schichtdicke ein und reflektiert das Licht. Die Messung erfolgt nach der Transflexionsmethode, einer Mischform von Reflexions- und Transmissionsspektroskopie: Das Licht durchläuft das Probenmaterial, wird vom Transflexionseinsatz zurückgeworfen, durchläuft die Probe ein zweites Mal und wird zum schwingenden Gitterspiegel und dann weiter zum Detektor geleitet.</p><p>Das vom NIR-Gerät detektierte Spektrum wird mit den in der Referenzdatenbank hinterlegten Spektren abgeglichen und das Messergebnis angezeigt. Wichtig für die korrekte Auswertung der Spektren ist die fortlaufende Datenbankpflege, da NIR-Spektren chargenbezogene Unterschiede abbilden. Deshalb ist die Referenzdatenbank bei der NIR-Spektroskopie fortlaufend nach den Anforderungen des Arzneibuchs zu prüfen und zu pflegen (Kapitel 5.21 Chemometrische Methoden zur Auswertung analytischer Daten). Ob dies geschehen ist, erkennen Anwender an kontinuierlich gelieferten Datenbank-Updates und einer Validierungsdokumentation.</p><p>Die Pflege und Überprüfung (Validierung) der Referenzdatenbank ist nach den in den Kapiteln 2.2.40 und 5.21 ausgewiesenen Methoden vorzunehmen. Insbesondere die Parameter „Spezifität“ und „Robustheit“ sind zu prüfen. Idealerweise enthält die Validierungsdokumentation auch alle zum Erstellen und Überprüfen verwendeten Kalibrier- und Validierchargen.</p><h2 type="main">Referenzspektren-Datenbank</h2><p>Ein für Apotheken zur Verfügung stehendes Gerät mit Datenbank enthält mehr als 900 Arzneistoffe (Apo-Ident, Hiperscan, Dresden). Die Grundlagen für dieses NIR-Gerät stammen vom Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme (IPMS), Dresden. Dort erwartet man in den kommenden Jahren Fortentwicklungen über die Anwendungen für das Apothekenlabor hinaus. Es gibt weitere NIR-Spektrometer für Apotheken, darunter Apotec NIR (Wepa, Hillscheid).</p><p>Dieses Gerät ist flach, rechteckig, und der zylinderförmige Sensor ragt als Messfühlerspitze heraus; sie sehen fast aus wie eine Zigarettenstange mit Display und einem gerade nach vorn stehenden Rüssel. Diesen steckt man in den zu prüfenden Rohstoff oder das Aufbewahrungsgefäß und erhält sofort die Aussage „stimmt mit der Referenz überein“ oder „stimmt nicht überein“.</p><p>Eine Anwendungsgrenze ist bei Naturstoffen erreicht, die zahlreiche, relativ gering konzentrierte Komponenten und Unterschiede von Charge zu Charge aufweisen. So lassen sich beispielsweise Pflanzendrogen weder in der Referenzdatenbank abbilden noch eindeutig mit NIR identifizieren.</p><p>Zudem können Spektrometer unter seiner Nachweisgrenze liegende Wirkstoffkonzentrationen nicht erfassen. Eine Konzentration, ab der eine sichere Bestimmung möglich ist, ist kaum anzugeben. Dies liegt vor allem an der Probenmatrix. Bei wasserhaltigen Formulierungen dominieren die OH-Banden und mindern die Empfindlichkeit beim Bestimmen weiterer Komponenten. Eine in der Apotheke hergestellte Verreibung eines Kortikoids in einer hydrophilen Basiscreme (Deutscher Arzneimittel-Codex, DAC) enthält üblicherweise 1 bis 2 Prozent des Wirkstoffs. Hier erkennt das Gerät mit der Referenzdatenbank den Wirkstoff nicht.</p><p>Jenseits dieser grundsätzlichen Grenzen sind die Geräte in den vergangenen Jahren verbessert worden. Es sind immer kleinere Probenmengen nötig (100 bis 200 mg) und der Messvorgang dauert inzwischen nur wenige Sekunden.</p><h2 type="main">Über das Apothekenlabor hinaus</h2><p>Die Industrie nutzt NIR-Spektroskopie seit den 1960er Jahren, etwa um für die Landwirtschaft den Wassergehalt in Sojabohnen und Getreide zu bestimmen. Heute ist mit einer Referenzdatenbank vieles möglich, darunter über NIR-Spektroskopie Lebensmittel wie Fleisch zu untersuchen nach den Methoden des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB, §64-Methoden).</p><p>Ebenso verbreitet ist es, die Produktion von zum Beispiel Zucker, Bier oder Käse zu überwachen. Die Eingangskontrolle beim Recycling von Textilien oder Kunststoffen nutzt ebenso NIR-Spektroskopie wie die Endkontrolle bei kosmetischen oder Nahrungsergänzungsmitteln. Der Sensor des Geräts lässt sich zudem etwa in einen Wirbelschichtgranulator halten und so der Fortschritt des Granuliervorgangs prüfen.</p><p>Eine chemometrische Datenbank zu erstellen, ist essenziell, um das Gerät anzuwenden. Denn im Gegensatz zur Anwendung mittleren Infrarots lassen sich die Spektren visuell nicht sinnvoll auswerten. Die Peaks in den Spektren sind oft breit, überlagern sich und kombinieren Informationen aus vielen Schwingungen. Alles, was das Gerät erkennen soll, muss in der chemometrischen Datenbank hinterlegt sein. Eine Extrapolation ist gar nicht möglich, eine Interpolation nur bedingt. Die Anwendung steht und fällt also mit der Qualität der Datenbank.</p><p>Im Labor gilt es als Vorteil, wenn keine Probe abgefüllt werden muss. Im Fall des Apotec-NIR-Spektrometers lässt sich der Messfühler (Rüssel) in die originalverpackte Substanz einbringen. In der Regel haben diese Geräte eine weniger umfangreiche Datenbank als Apo-Ident. Doch es gibt Vergleichsspektren, geliefert von den Firmen Europharm, Schiffweiler und Caesar &amp; Loretz (Caelo). Nach Anwenderaussagen lassen sich mit diesen NIR-Spektrometern zum Beispiel sämtliche Kortikoide identifizieren und ebenso die meisten der von den Firmen gelieferten Wirkstoffe.</p><p>Als grundsätzlich ungeeignet erweisen sich die Geräte hingegen für Tinkturen, Lösungen und viele Salbengrundlagen. Drogenspektren sind generell nicht hinterlegt. Für getrocknete Arzneipflanzen sind daher andere Analyseverfahren einzusetzen, in der Regel die Mikroskopie und die Dünnschichtchromatographie (high performance thin layer chromatography, HPTLC).</p><h2 type="main">Spektrometer-Vorteile</h2><p>Grundsätzliche Vorteile von Spektrometern gegenüber anderen Messverfahren sind: Spektrometer vermessen eine Probe berührungslos und lassen sich in vielen Feldern einsetzen – von der Materialanalyse (Elementanalytik) über die Bewertung von Recyclingprozessen und landwirtschaftliche Applikationen (Proteingehalt in Getreide) bis hin zu Erkenntnissen über die Zusammensetzung der Sonne. Dies alles gelingt über die charakteristischen Absorptionen.</p><p>Dazu bemerkt IPMS-Forscher Heinrich Grüger: „Das Messprinzip ist einfach, die Durchführung der Messung auch – nicht so die Auswertung.“ Hier ist mit mathematischen Modellen bisher ein Riesenaufwand zu betreiben, um am Ende eine mitunter simple Entscheidung zu treffen. Eine Zukunftsvision Grügers sieht so aus: Ein Käufer im Supermarkt nimmt mit seinem Mobiltelefon das NIR-Spektrum eines Apfels auf und kauft ihn – oder eben nicht. Im Spektrum stecken in diesem Fall Informationen über die Frische des Obstes.</p><p>Bei NIR sehen die Auswerte-Algorithmen besonders komplex aus. Darüber hinaus bedarf es eines ausreichend kleinen Sensors, damit er ins Mobiltelefon passt – keine triviale Aufgabe, weil die Messanordnung per se einen gewissen Raum beansprucht. Denn das durch den Eintrittsspalt ins Spektrometer einfallende Licht muss zunächst in seine Wellenlängen aufgespalten werden, und dann sind die Intensitäten der einzelnen Wellenlängen zu messen. Die Aufspaltung erfolgt in der Regel an einem Gitter. Doch damit das Licht dort sinnvoll gebeugt werden kann, sind die einzelnen Strahlen zunächst zu parallelisieren. Dafür sorgt ein Kollimationsspiegel. Die Parallelstrahlen fallen auf das Gitter, das unterschiedliche Wellenlängen in unterschiedliche Richtungen lenkt. Durch einen Fokussierspiegel werden die nach wie vor parallelen Strahlen jetzt wieder fokussiert. Dies ist bei einem für eine gute Auflösung wichtigen schmalen Austrittspalt entscheidend. Die wellenlängengetrennten, fokussierten Strahlen fallen schließlich auf einen Detektor aus Halbleitermaterial. Dort werden sie erfasst und die Intensität wird gemessen.</p><h2 type="main">Hintergrund: Spektrometer-Geschichte</h2><p>Nachdem die Physiker Czerny und Turner in den 1930er Jahren die Grundlagen gelegt hatten, wurde das nach ihnen benannte Czerny-Turner-Spektrometer seit den 1950er Jahren weiterentwickelt. Die Spektrometer arbeiteten in den ersten Ausführungen mit einer mechanischen Kurbel oder einem Schrittmotor. Damit ließ sich das Gitter bewegen und so das Spektrum Wellenlänge für Wellenlänge scannen.</p><p>Als Alternative wurden in den darauffolgenden Jahren ele ktronische Detektoren in einer Zeilenanordnung entwickelt: Das vom Gitter rückgestreute Licht wird auf einen Zeilendetektor abgebildet, und so werden alle Wellenlängen gleichzeitig erfasst. Erst später kamen Varianten zu akzeptablen Preisen auf den Markt, die ohne bewegliche Teile auskamen. So lautete im Jahr 1992 der Slogan der drei Jahre zuvor in Florida gegründeten Firma Ocean Optics: „no moving parts“.</p><p>Diese Entwicklung führte letztlich zu kleineren Spektrometern. Erst im Jahr 2022 kaufte Ocean Optics die LIBS-Technik (laser induced breakdown spectroscopy) vom US-amerikanischen Unternehmen Rigaku Analytical Devices. Die LIBS-Spektrometer lassen sich in der Hand halten, um beispielsweise Elementanalytik, darunter Kohlenstoff, an Aluminiumschrott durchzuführen und ihn so zu klassifizieren.</p><h2 type="main">Miniaturisierte NIR-Spektrometer</h2><p>Während die bisherigen Ausführungen grundsätzlich auf alle Spektrometer zutreffen, darunter sichtbares Licht, Ultraviolett, Raman, haben seit der Jahrtausendwende besonders Harald Schenk und Heinrich Grüger am IPMS die Entwicklung miniaturisierter Nahinfrarot-Spektrometer vorangetrieben. Der dabei überspannte Wellenlängenbereich – 1100 bis 2500 nm – umfasst charakteristische Absorptionsbanden organischer Verbindungen, die für unser tägliches Leben interessant sind: landwirtschaftliche Erzeugnisse, Textilien, generell organische Biomoleküle.</p><p>Die Konzeption des Fraunhofer IPMS setzt beim Czerny-Turner-Spektrometer an: vom Zeilendetektor zurück zum Einzeldetektor. Das Gitter ist bei dieser klassisch-modernen Konstruktion beweglich. Das elektromechanische Herzstück dieser Art von Spektrometern ist ein mikroelektromechanisches System (MEMS), genauer: ein Scanning-Grating-Bauelement mit einem zirka 9,5 mal 6,5 mm² großen und 0,5 mm dicken Siliciumchip. Hieraus ist das Optiksystem des Spektrometers aufgebaut. Es misst 10 × 10 × 6,5 mm³ und würde damit in ein Mobiltelefon passen (<link href="#nadc20234134841-fig-0002">Foto links).</p><figure xml:id="nadc20234134841-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/Xt02wgKdRieVJSzA1PrA"><figcaption><label>Abb.2: </label>Beispiele miniaturisierter Scannerspiegel. Foto: Fraunhofer IPMS</figcaption></figure></figure><p>Das IPMS hat sein MEMS auf Siliciumbasis entwickelt und stellt es auf 200-mm-Wafern in Pilotfertigung her. In der Mitte des Chips befindet sich die verkippbare Gitterplatte (3 × 3 mm<sup>2</sup>), mit der sich der Scanvorgang Schritt für Schritt, also Wellenlänge für Wellenlänge durchführen lässt. Diese Komponente bildet das Herzstück des Hiperscan-NIR-Spektrometers.</p><p>„Während andere ein unbewegliches Gitter, aber viele Detektorelemente kombinieren, arbeiten wir mit einem bewegten Gitter und einem Einzeldetektor“, sagt Heinrich Grüger. „Das auf unserem Konzept basierende Gerät von Hiperscan steht klassischen Laborspektrometern in puncto Performance in nichts nach. Aufgrund der Vergleichsdatenbank lassen sich mehrere hundert Substanzen unmittelbar und rechtssicher identifizieren.“</p><p>Es gibt an die zwanzig Anbieter, die mit ähnlichen Ansätzen Spektrometer fertigen und diese vermarkten. Besonders leistungsfähige Geräte nutzt beispielsweise die physikalische Grundlagenforschung. Einfachere Geräte reichen nur für eine Vorentscheidung: Diese oder jene Substanz könnte es sein. Dafür lässt sich ein Messsystem mit zum Beispiel 16 Kanälen realisieren.</p><h2 type="main">Massenproduktion</h2><p>Ein MEMS wie vom IPMS ist günstig in Massenproduktion herstellbar. Womöglich geht es sogar noch preiswerter. Einen Ansatzpunkt bieten 3-D-Herstellungsverfahren für Spektrometer mit W-förmigem Strahlengang; für den sind fünf Komponenten wie Spiegel und Gitter dreidimensional zu justieren, und zwar auf 5 Mikrometer genau. Eine Idee am IPMS: Im ersten Schritt wird ein Substrat mit eingeprägten Biegestrukturen zweidimensional bestückt und anschließend wie ein Karton gefaltet. Dann soll alles am richtigen Platz sein. Erste Versuche laufen mit einem 2-D-Montagewerkzeug; gefaltet wird von Hand. Drei bis fünf Jahre soll es schätzungsweise bis zur vollautomatischen 3-D-Bestückung dauern.</p><h2 type="main">Alternativen</h2><p>Ließen sich Zeilendetektoren zu niedrigeren Preisen herstellen, wäre das womöglich eine günstige Alternative. Aber das dabei verwendete Halbleitermaterial Indiumgalliumarsenid (InGaAs) birgt Probleme, vor allem die Toxizität des Arsens. Und möchte man Intensitäten im Wellenlängenbereich über 1900 Nanometern messen – dort sind wichtige Banden organischer Verbindungen – bedarf der Detektor der Kühlung. Eine ganze Zeile statt eines kleinen Detektorchips zu kühlen, wird zumindest bei handgehaltenen Spektrometern schwierig. Auch die Ansteuerelektronik erfordert zusätzlichen Aufwand.</p><h2 type="main">Prozessanalytik</h2><p>Unabhängig davon, welche Technik gewinnt: Die Anwendungsmöglichkeiten mehren sich. Wichtig ist zurzeit das Textilrecycling. Eine unkomplizierte NIR-Messung könnte Baumwolle von Polyester unterscheiden und sogar Baumwolle-Polyester-Gemische klassifizieren.</p><p>Das sollte auch als Prozessanalytik funktionieren: Textilien aus dem Sammelbehälter kommen auf ein Förderband und werden dort mit einer gewöhnlichen Kamera nach Farbe, Bedruckung und Zustand sortiert. Anschließend klassifiziert ein NIR-Spektrometer nach dem verwendeten Stoff. Roboter sammeln alles sortenrein vom Band. Des Weiteren sind kaum Grenzen gesetzt: Wie viel Fett ist im Käse, wie viel Wasser im Honig? Welchen Kunststoff habe ich vor mir? Bei all diesen Fragen können Mini-NIR-Geräte die Antwort geben, ob als Tischgerät im Labor, ob handgehalten oder in die Prozessanalytik integriert.</p><p>Man braucht für die Prozessanalytik Fenster, durch die das NIR-System in den laufenden Prozess hineinsehen kann, oder eine faseroptische Ankopplung. Idealerweise verwendet der Prozessanalytiker dabei modulare Systeme und eröffnet sich dabei die Möglichkeit, von NIR auf mittleres Infrarot (MIR) oder auf sichtbares Licht (vis) umzuschalten oder auch auf UV-Fluoreszenz, etwa beim Aflatoxin- und Mykotoxin-Nachweis in Nüssen. Mit einem Edge-Computing-Front-End-System lassen sich alle Informationen direkt an der Quelle extrahieren, bearbeiten und auswerten. Das IPMS hat dazu ein Demonstrationssystem aufgebaut. Es gibt allerdings noch kein Referenzprojekt zusammen mit einer Firma.</p><p>Über den Tellerrand der Spektroskopie hinausgedacht bieten sich Kombinationen mit Ultraschallmessungen oder Festkörpersensorik an. So erhält man weitere Informationen über die chemische Zusammensetzung und physikalische Eigenschaften. Allgemein geht der Trend weg vom Einzelverfahren hin zur Multi-Parameter-Analytik. Anwendungen finden sich in der Flüssiganalytik (einschließlich der von Wasser), bei Molkereierzeugnissen, Schmiermitteln, Getriebeölen (Offshore-Windkraftanlagen) und Ölen (Vakuumpumpen).</p><h2 type="main">Patienten messen selbst</h2><p>Möglicherweise liefern medizinische Anwendungen den größten Entwicklungsschub: Blutzucker messen ohne einzustechen, Lactatwerte bestimmen und vieles mehr – dafür wäre ein miniaturisiertes Spektrometer der richtige Ansatz.</p><p>Politische, medizinische und demografische Entwicklungen könnten dazu führen, dass Patienten selbst medizinisch relevante Werte messen. Ein Arzt könnte dann sagen: Diesem Patienten ist schon mit einer Tablette geholfen, jene Patientin ist nicht akut in Gefahr und soll zunächst drei Tage weiter messen, und vielleicht muss dann nur einer von zehn sofort einen Arzttermin wahrnehmen. Eine regelmäßige und systematische Erhebung durch den Patienten kombiniert mit künstlicher Intelligenz (KI) und eventuell Telemedizin könnten das Gesundheitssystem entlasten.</p><p>„Technisch ist das machbar“, sagt Heinrich Grüger. „Software und KI müssen aber noch nachziehen und die Kosten sicher im Griff sein. Dazu kommt noch der übliche Zulassungsprozess. Daher dürfte es bis zu dieser Vision noch zehn Jahre dauern.“</p><p>Und der Käufer im Supermarkt? Der braucht gar keine so komplizierten Spektrometer wie die Medizinisch-Technische Assistenz (<link href="#nadc20234134841-fig-0003">Foto oben). Der Einbau ins Mobiltelefon ist nach den Studien am IPMS möglich. Aber für die Frische des Apfels reicht statt eines Spektrometers wohl ein einfacheres Messsystem mit 4, 8 oder 16 Filtern, das drei bis fünf Euro kosten sollte.</p><figure xml:id="nadc20234134841-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/hCHOMHbUS9qh4aXN0c2v"><figcaption><label>Abb.3: </label>Die Idee einer mobilen Vor-Ort-Lebensmittelanalyse könnte wahr werden, beispielsweise an einer Avocado. Foto: Fraunhofer IPMS</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Der Autor</h2><p>Der promovierte Chemiker Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.</p>

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